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Allgäu: Trinken und Täuschen: Die Beichte eines Alkoholikers

Allgäu

Trinken und Täuschen: Die Beichte eines Alkoholikers

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    Selbstbild und Realität klaffen auseinander – das ist bei Alkoholikern häufig der Fall. Meist hilft nur eine Therapie. Hilfsangebote gibt es auch im Allgäu.
    Selbstbild und Realität klaffen auseinander – das ist bei Alkoholikern häufig der Fall. Meist hilft nur eine Therapie. Hilfsangebote gibt es auch im Allgäu. Foto: Matthias Becker

    Der Mann passt nicht ins Bild des klassischen Trunkenbolds.Er hat eine Familie, Kinder, ein Haus und arbeitet als Ingenieur. Ein vermeintliches Bilderbuchleben. Aber er war jahrelang alkoholkrank. Ist es immer noch: „Heilung gibt es nicht“, sagt der Allgäuer, der seinen Namen nicht nennen möchte. Angefangen hat es ganz harmlos: „Beim Fußball habe ich immer gerne getrunken, und auch in der Familie war das ganz normal“, erzählt er. Eben so, wie das bei vielen sei.

    Eine ganze Badewanne voll Bier, Wein, Sekt und Spirituosen trinken Deutsche durchschnittlich pro Jahr – 130 Liter, sagt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Die Caritas, die im Allgäu fünf Suchtfachambulanzen betreibt, berät dort mehr als 1000 Alkoholsüchtige pro Jahr. Darunter seien Männer, Frauen, Alte, Junge, Reiche, Arme, Menschen mit gutem sozialem Umfeld und welche, die ausgegrenzt sind, veranschaulicht Barbara Habermann, die bei der Caritas Augsburg den Bereich Sucht und Psychatrie leitet. Auch der 62-jährige trockene Alkoholiker aus dem Allgäu sagt: „Ich behaupte, es kann jeden erwischen. Das hat nichts mit Bildung, Vernunft oder Intelligenz zu tun, auch nicht mit Willensstärke“.

    70 Jahre Anonyme Alkoholiker: Allgäuer erzählt von seiner Alkoholsucht

    Über sich erzählt er: „Ich war schon immer einer, der mehr getrunken hat als die Anderen, aber ich hatte am Anfang nicht das Bedürfnis alleine zu trinken oder unter Tags.“ Der Mann trank über die Jahre hinweg langsam immer mehr, ohne konkreten Auslöser, ohne klaren Grund: „Ich hatte nicht ständig einen Alkoholpegel, sondern hab auch mal ein bis zwei Tage nichts getrunken.“ Unbemerkt blieb der Konsum nicht: „Meiner Frau ist aufgefallen, dass ich viel trinke und auch Freunden und Kollegen. Die haben mich darauf angesprochen, aber selbst will man sich das nicht eingestehen.“ Er spielte es herunter, trank heimlich. „Man will nicht auffallen, man will einfach ganz normal weiter machen“.

    Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen trinken etwa 16 Prozent der erwachsenen Männer und 11 Prozent der Frauen riskante Mengen Alkohol. Riskant bedeutet für Frauen 10 Gramm Reinalkohol pro Tag, das entspricht 0,3 Litern Bier. Für Männer gilt die doppelte Menge als kritisch. Wer mehr trinkt, hat ein deutlich höheres Risiko für alkoholbedingte Erkrankungen.

    Bei dem 62-jährigen Allgäuer bestimmte der Alkohol Stück für Stück, Schluck für Schluck, immer mehr den Alltag: „Irgendwann habe ich auch in der Firma getrunken, wenn ich länger gearbeitet habe, wenn ich wusste, niemand bekommt es mit.Das war dann eine Flasche Wein, später auch Schnaps.“ Seine Gedanken waren immer öfter bei dem Rauschmittel: „Ich habe mir schon in der Früh überlegt: Wo kaufe ich mir was? Und wann trinke ich das dann?“ Sein Leben drehte sich um den Alkohol und sein Kopf drehte sich vom Alkohol.

    Vom gelegentlichen Trinken in die Sucht: Erst eine Langzeit-Reha half

    Wie hat der Mann es geschafft, da wieder herauszukommen? „Es gibt wenige, die sich von selbst dafür entscheiden“, sagt der 62-Jährige. Bei ihm war der Auslöser der Druck von Familie und Freunden. Er ging zu einer Beratungsstelle, hatte Einzelgespräche mit einem Suchttherapeuten, immer wieder, über einen Zeitraum von etwa einem Jahr. Aber mit dem Trinken aufgehört hat er während dieser Zeit nicht. Erst eine Langzeit-Reha half. 16 Wochen war der Allgäuer in einer Suchtklinik. Dort machte er einen Entzug und ist, wie er sagt, zu einem anderen Menschen geworden. Einer, der nicht mehr zu allem ja sagt. 

    Laut Barbara Habermann sind solche Behandlungen meist erfolgreich. Mehr als die Hälfte der Menschen, die eine stationäre oder ambulante Therapie machen, sind auch ein Jahr danach noch trocken, sagt die Suchtberaterin.

    Für den Allgäuer war die Abhängigkeit nach der Reha noch nicht überwunden. „Es gibt natürlich die Gefahr, wenn man zurückkommt, dass man in den alten Trott zurückfällt. Ich hatte auch Rückfälle nach der Therapie“, sagt er. Auslöser waren für den 62-Jährigen besonders Dinge, die mit Schnaps zu tun haben, auch so etwas wie Werbung. „Erstaunlicherweise war das gar nicht, wenn es mir schlecht ging. Im Gegenteil, die Rückfälle sind immer passiert, wenn ich hoch motiviert war.“ Er trank dann zum Beispiel, um sich für etwas zu belohnen, dachte, er hätte es unter Kontrolle. „Danach habe ich mir natürlich Selbstvorwürfe gemacht“, gesteht der Allgäuer, aber er macht auch Mut: „Sobald man dazu steht, ist der Rückfall vorbei.“ Der 62-Jährige geht inzwischen relativ offen mit seiner Alkoholsucht um: „Wenn es jemand wissen will, spreche ich schon darüber, und in meinem Bekanntenkreis wissen es sowieso alle.“

    Selbsthilfegruppen, Beratung, Therapie: Anlaufstellen für Alkoholabhängige

    Bis heute geht der Mann zu einer Selbsthilfegruppe. Auch um andere zu unterstützen. Er sagt: „Es ist nie zu Ende, auch wenn man meint, es geht gar nichts mehr.“

    Im Suchthilfeverzeichnis der DHS finden Betroffene und deren Angehörige passende Hilfsangebote in der Nähe. Beispielsweise die Caritas hat Beratungsstellen in mehreren Städten im Allgäu. 

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