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Unterallgäu: Missbrauchs-Vorwürfe gegen Unterallgäuer waren erfunden

Unterallgäu

Missbrauchs-Vorwürfe gegen Unterallgäuer waren erfunden

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    Vor dem Amtsgericht Memmingen ging es um einen Missbrauchs-Vorwurf.
    Vor dem Amtsgericht Memmingen ging es um einen Missbrauchs-Vorwurf. Foto: Kurt Kraus

    Es muss ein hartes Jahr gewesen sein für einen 41-jährigen Unterallgäuer: Im Oktober 2019 saß er auf der Anklagebank im Amtsgericht Memmingen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, seine Stieftochter jahrelang misshandelt zu haben. Doch schon damals kamen Zweifel auf. Sagte die psychisch angeschlagene junge Frau wirklich die Wahrheit? Ein aussagepsychologisches Gutachten sollte Licht ins Dunkel bringen. Doch das dauerte.

    Erst jetzt, knapp ein Jahr später, kam es erneut zur Gerichtsverhandlung. Das Warten hat sich für den Unterallgäuer gelohnt: Er wurde freigesprochen – und zwar nicht aus Mangel an Beweisen, sondern weil das Gericht ihn für unschuldig hält.

    Die Zweifel an der Aussage der jungen Frau hatte bereits Folgen

    Die Zweifel an der Aussage der jungen Frau waren schon vor einem Jahr groß. So groß, dass Richter Markus Veit, der die Verhandlung aussetzte und das Gutachten anforderte, sich damals sogar beim Angeklagten entschuldigte: „Es tut mir leid, weil das jetzt so lange über Ihnen hängt“, sagte er. „Aber es geht nicht anders. Ich kann das so nicht beurteilen.“

    2003 hatte der heute 41-Jährige eine Beziehung mit einer Frau begonnen, die bereits eine Tochter hatte. Stiefvater und -tochter verstanden sich anfangs gut. „Ich habe sie immer behandelt wie mein eigenes Kind“, sagte der Mann. Die junge Frau nahm sogar seinen Nachnamen an. Ihr leiblicher Vater wohnte zwar in der Nähe, kümmerte sich aber nicht weiter um sie. Nach einigen Jahren aber bekam das gute Verhältnis zwischen Stiefvater und -tochter Risse. Wann genau, darüber sind sie sich nicht einig. Sie sagt: Alles begann, als ihre Mutter mit ihm das erste gemeinsame Kind bekam. Er sagt: Die „Quertreiberei“ ging los, als das Mädchen auf eine Realschule nach München kam.

    Das Tagebuch der Stieftochter spielte vor Gericht eine Rolle

    In ihrem Tagebuch schilderte die Stieftochter in erster Linie Alltägliches, irgendwann aber auch, wie ihr Stiefvater sie schlägt, stößt und sich ihr sexuell annähert. „Ich weiß nicht, aus welchen Fingern sie sich das saugt“, sagte der Mann vor Gericht dazu. Seine Stieftochter habe zwar immer wieder blaue Flecken und Schrammen gehabt – aber nicht, weil er sie geschlagen habe. „Sie war schon immer so: Wenn sie sich irgendwo anstoßen konnte, hat sie es geschafft.“ Er betonte: „Ich habe noch nie ein Kind geschlagen, schon gar nicht meine eigenen.“

    Doch was bewegte die junge Frau dann dazu, diese brutalen Schilderungen über Jahre hinweg in ihrem Tagebuch niederzuschreiben? Als Zeugin wirkte sie in der ersten Verhandlung extrem verunsichert und eingeschüchtert, obwohl der Angeklagte ihretwegen bereits den Gerichtssaal verlassen hatte. Als Richter Veit die heute 21-Jährige auf die konkreten Vorwürfe ansprach, kam sie teilweise durcheinander und vermischte Vorfälle, die sie in ihrem Tagebuch beschrieben hatte.

    Als die Frau immer heftiger zitterte, reichte ihr Anwalt ein psychiatrisches Gutachten des Bezirkskrankenhauses Augsburg ein. Darin wurde eine dissoziative Störung – vereinfacht gesagt: eine gespaltene Persönlichkeit – diagnostiziert, die mit Gedächtnisstörungen einhergeht. Inwiefern die Schilderungen der angeblichen Misshandlungen der Wahrheit entsprachen, konnte das Dokument jedoch nicht klären.

    Angesichts des labilen Zustands der Frau verständigten sich Richter, Verteidigung und Staatsanwaltschaft darauf, die Verhandlung auszusetzen und ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen. „Es wird herausfinden, ob all das fantasiert wurde oder ob darin ein Funken Wahrheit steckt“, Richter Veit.

    Nun, ein Jahr später, ging die Verhandlung in die zweite Runde. Der Gutachter war sich sicher: Die Aussagen der jungen Frau über die angeblichen Misshandlungen ihres Stiefvaters sind falsch. Für den 41-Jährigen bedeutet das große Erleichterung. Auch darüber, dass er keinen Freispruch „zweiter Klasse“ bekommen hat, weil man ihm die Taten schlicht nicht nachweisen konnte, sondern darüber, dass er „richtig“ freigesprochen wurde, weil das Gericht von seiner Unschuld überzeugt ist.

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