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Unterallgäu/Kettershausen: Herzlichen Glückwunsch, Kettershauser Ried!

Unterallgäu/Kettershausen

Herzlichen Glückwunsch, Kettershauser Ried!

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    Das Breitblättrige Knabenkraut – eine Orchidee – liebt feuchte Wiesen.
    Das Breitblättrige Knabenkraut – eine Orchidee – liebt feuchte Wiesen. Foto: Baumberger

    Herr Franke, das Naturschutzgebiet „Kettershauser Ried“ feiert 20. Geburtstag. Nehmen wir an, Sie schrieben eine Glückwunschkarte. Was stünde drauf?

    Jens Franke: Ich würde schreiben: Herzlichen Glückwunsch, Kettershauser Ried. In den 20 Jahren bist du deutlich bunter und vielfältiger geworden – Mach so weiter!

    In welchem Zustand befand sich das Kettershauser Ried, bevor es 1998 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde?

    Franke: Ich bin erst seit 2003 dabei, habe aber Bilder gesehen und kenne Beschreibungen von Kollegen, die das Gebiet damals betreut haben. Es war stark entwässert durch Gräben, die die Bauern benötigten, um überhaupt auf das Gelände fahren zu können. Dafür musste es trocken sein. Außerdem war es verbuscht. Das ist die traurige Geschichte, die viele Niedermoore durchgemacht haben. Manche Flächen sind aber auch noch gut gewesen.

    Was bedeutet Verbuschung?

    Franke: Wenn Wiesen nicht mehr gemäht werden, würde in Deutschland fast überall Wald wachsen. Dann sprießen dort Pioniergehölze wie Faulbaum, Weiden, Birke, Pappel und Erle – es kommt zur Verbuschung. Alle anderen, nichtholzigen Pflanzen gehen dann im Schatten unter und es gibt nur noch etwa fünf Arten. Zum Vergleich: Auf einer Streuwiese finden sich bis zu 200 Arten.

    Wurde das Ried zuletzt auch landwirtschaftlich genutzt?

    Franke: Beweidet worden ist das Gebiet eher nicht. Es war zu nass. Die Rinder hätten sich auch Parasiten wie Egel geholt. Die Hauptnutzung war eher das Mähen, um Einstreu für Ställe zu bekommen als Ersatz für Stroh. Am Ende ist das für Bauern nicht mehr lukrativ gewesen.

    Was wäre gewesen, wenn das Kettershauser Ried kein Naturschutzgebiet geworden wäre?

    Franke: Schwer zu sagen. Es hätte sicher jemand versucht, die Entwicklung umzukehren – im Naturschutz waren artenreiche Wiesen und Niedermoorlandschaften schon immer von hoher Bedeutung. Wäre es kein Naturschutzgebiet geworden, hätte der Landkreis aber wahrscheinlich nicht 90 Prozent der Flächen gekauft. Auch die Gelder für Wiederherstellungsmaßnahmen wären nicht so üppig geflossen und die Maßnahmen wären nicht finanzierbar gewesen. Die Förderung liegt in der Kategorie Naturschutzgebiet bei 70 bis 90 Prozent. Der Status „Naturschutzgebiet“ ist die oberste Auszeichnung im Naturschutzrecht – und am strengsten geschützt.

    Wer hegt und pflegt das Ried heute?

    Franke: Im Großen und Ganzen der Landschaftspflegeverband Unterallgäu (LPV) – in Absprache mit den Behörden. Die Gemeinde Kettershausen, die Stiftung Kulturlandschaft Günztal und das Wasserwirtschaftsamt beschäftigen sich eher mit Flächen in der Umgebung. Da geht es zum Beispiel um Ausgleichs- und Pufferflächen.

    Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

    Franke: Ziel ist es, Arten zu verbreiten und zu schützen. Wir vom LPV schauen sieben, acht, neun Mal im Jahr raus. Wie entwickelt sich das Gebiet? Welche Auswirkungen hat das Wetter? Zu welchem Zeitpunkt sollte man mähen und wie oft? In diesem Jahr zum Beispiel waren die Pflanzen etwas früher dran als sonst. Wir versuchen, das Bestandsbild im Auge zu haben. Auch Gutachter kartieren von Zeit zu Zeit bestimmte Arten, zum Beispiel bei den Schmetterlingen. Außerdem reflektieren wir, ob unsere Maßnahmen fruchten. Und es ist wichtig, den Kontakt zu Landwirten zu halten, die für uns die Pflegearbeiten machen.

    Haben sich die Aufgaben mit den Jahren geändert?

    Franke: Hinzugekommen ist die FFH-Richtlinie nach EU-Recht (Anm. d. Red.: Flora-Fauna-Habitat), sodass wir nun alles unter einen Hut bringen müssen: europäische Regeln und das, was für uns in Bayern besonders wichtig ist. Außerdem ist der Biber aufgetaucht. Als ich 2003 kam, war schon einer da, jetzt ist das Gebiet vollständig besetzt. Der Biber schiebt Bäume auf Wiesen, staut Gewässer auf. Wir können in der Folge nicht mähen. Und manche Tiere brauchen auch fließende Gewässer.

    An welchen Stellschrauben gilt es, heute zu drehen?

    Franke: Wir sind jetzt so weit, dass wir den aktuellen Zustand stabilisieren wollen. Wir haben eine gute Artenzusammensetzung – aber das hat auch 15 Jahre gedauert. Wir müssen nun zum Beispiel die Witterung, den Biber und Problempflanzen wie das Kreuzkraut im Blick haben. Manche Arten wie die Orchideen sollen sich ausbreiten. Das geht immer weiter: beobachten, pflegen, mähen. Außerdem sollte man anstreben, die restlichen Privatgrundstücke und weitere Pufferflächen zu kaufen. Gerade ist auf diesem Markt keine Bewegung. Das kann sich aber wieder ändern.

    Kettershausen nennt sich „Naturgemeinde“. Profitiert sie vom nahegelegenen Ried?

    Franke: Das Naturschutzgebiet ist ein Kerngebiet für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Kettershausen. Eine gewisse Strahlwirkung geht von dem Gebiet aus. Wir hatten zum Beispiel auch einen Stand beim Naturgemeindetag, zu dem viele Menschen kamen, die gut finden, was wir machen. Aber Naturschutz ist nicht für jeden gleich wichtig. Es gab und gibt sicher Skeptiker. Unsere Strategie – nicht nur in Kettershausen – ist es, örtliche Landwirte einzubinden, die gern mithelfen und dann mit Berufskollegen darüber sprechen.

    Was ist in einem Naturschutzgebiet verboten?

    Franke: Man darf Streuwiesen nicht mit Weihnachtsbäumen bepflanzen, also die Nutzung ändern. Auch eine Beweidung ist verboten. Und klar – man darf keinen Stall und kein Haus dort bauen. Motocrossfahren muss man auch woanders.

    Und wie sieht es mit einem Picknick aus?

    Franke: Man darf sich auf den Wegen aufhalten. Sie zu verlassen, ist nur mit Genehmigung erlaubt. Zu „lagern“ ist auch verboten – also zum Beispiel, irgendwo zu zelten und ein Lagerfeuer anzuzünden. Die Auflagen und Ausnahmen stehen in der Naturschutzgebietsverordnung.

    Was sind Ihre persönlichen Highlights unter den Pflanzen und Tieren im Ried?

    Franke: Orchideen wie das Breitblättrige Knabenkraut und Zwei-blatt. Der Schwalbenwurzenzian und das Breitblättrige Wollgras. Bei den Tierarten sind es Schmetterlinge wie der Randring-Perlmuttfalter, bei den Libellen die Helm-Azurjungfer und der Frühe Schilfjäger. Die stehen auf der Roten Liste in Bayern.

    Zur Person Jens Franke, 54 Jahre alt, ist Diplom-Biologe und Geschäftsführer des Landschaftspflegeverbands Unterallgäu.

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