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Unterallgäu: Der letzte Tag als Unterallgäuer Landrat

Unterallgäu

Der letzte Tag als Unterallgäuer Landrat

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    In den vergangenen Tagen hat Hans-Joachim Weirather in seinem Büro fleißig Kisten gepackt. Auch das Schild, mit dem die Allgäu GmbH ihren Aufsichtsratsvorsitzenden schon vor drei Jahren verabschiedet hat, zieht mit um.
    In den vergangenen Tagen hat Hans-Joachim Weirather in seinem Büro fleißig Kisten gepackt. Auch das Schild, mit dem die Allgäu GmbH ihren Aufsichtsratsvorsitzenden schon vor drei Jahren verabschiedet hat, zieht mit um. Foto: Sandra Baumberger

    Sein Büro hat Landrat Hans-Joachim Weirather schon so gut wie ausgeräumt. Nach 14 Jahren war am vergangenen Donnerstag sein letzter Arbeitstag, der – ein letztes Mal – mit dienstlichen Terminen gefüllt war. Einer davon war der Abschied von seinen Mitarbeitern im Landratsamt, der jetzt, in Corona-Zeiten, so ganz anders ausfallen wird, als er sich das eigentlich vorgestellt hatte. Ein lockerer Umtrunk, am Ende noch mit Händeschütteln oder sogar Umarmungen, das ist in Anbetracht der Abstandsregeln einfach nicht drin. „Aber da gibt’s momentan wirklich Wichtigeres als meine Befindlichkeiten“, sagt er mit Blick auf die Corona-Krise.

    Der damalige stellvertretende Landrat Georg Fickler (rechts) vereidigte 2006 Hans-Joachim Weirather.
    Der damalige stellvertretende Landrat Georg Fickler (rechts) vereidigte 2006 Hans-Joachim Weirather. Foto: Sandra Baumberger

    Die habe sich in seinem Alltag bislang kaum bemerkbar gemacht, im Dienst dafür umso mehr: Grob geschätzt 100 Termine sind deswegen in den vergangenen Wochen ausgefallen, doch spät wurde es abends meist trotzdem. Von der größten Krise im Laufe seiner Amtszeit will der 61-Jährige gleichwohl nicht sprechen. „Es gab auch andere schwierige Zeiten“, sagt er.

    Die Finanzkrise 2008 traf auch das Unterallgäu

    Die Finanzkrise 2008 zum Beispiel habe er auch als sehr dramatisch erlebt. Damals seien Massenentlassungen im Raum gestanden, die letztlich nur dank Kurzarbeit zu verhindern gewesen seien. Er hofft, dass dieses Instrument auch in den nächsten Monaten dazu beitragen wird, Stellen – und damit die Wirtschaftskraft des Landkreises – zu erhalten. „Ich bin in Sorge, wie sich die Dinge in den nächsten Monaten weiterentwickeln“, gibt er zu und ist vielleicht auch ein Stück weit froh, sich darum nicht mehr kümmern zu müssen. Denn so sehr er sich stets geehrt gefühlt habe, Verantwortung für den Landkreis übernehmen zu dürfen: Sie sei auch eine Last. „Es ist toll, wenn man der Rucksackträger sein darf. Aber der Rucksack ist auch schwer.“

    Das habe ihn letztlich auch dazu bewogen, sich nicht ein drittes Mal zur Wahl stellen. Zwei, drei weitere Jahre wäre er gerne noch Landrat gewesen, das schon, aber keine sechs. „Ich glaube nicht, dass ich das noch mal sechs Jahre mit dem Drive und der Kraft geschafft hätte.“

    Dass der Landrat ein passionierter Radfahrer ist, ist allgemein bekannt.
    Dass der Landrat ein passionierter Radfahrer ist, ist allgemein bekannt.

    Seine größten Erfolge hat Weirather auf 19 Seiten zusammengefasst

    Und Projekte, die Kraft gekostet haben, gab es in den vergangenen Jahren genug. Nach seinen größten Erfolgen gefragt, klappt Weirather einen Aktendeckel auf, gefüllt mit 19 Seiten. Da die drei größten Herzensprojekte herauszugreifen, „das ist fast schon willkürlich“. Aber sicherlich gehöre die Geburt des Klinikverbunds Allgäu dazu. „Da hat sich für mich der Kreis geschlossen. Ich bin 2006 angetreten und hab’ gesagt, das müssen wir irgendwie schaffen.“ Dass aus der geplanten Fusion mit dem Memminger Klinikum nichts wurde, bedaure er „zutiefst und bis zum heutigen Tag“, aber vielleicht sei der jetzige Klinikverbund Allgäu ja nur ein Umweg. Schließlich seien alle Partner guten Willens „und die Türen in Richtung Memmingen stehen offen“.

    Als zweite „absolute Herzensangelegenheit“ nennt er – als „überzeugter Anhänger der Gesamtallgäu-Idee“ – die Gründung der Allgäu GmbH. Sie habe nicht nur verschiedene Produkte auf den Markt gebracht, sondern neben der Marke auch ein Bewusstsein geschaffen, „von dem wir alle profitieren – hundertprozentig“. Das reiche bis ins wirtschaftliche Leben hinein. „Wir sind als Gesamtregion attraktiv, positiv besetzt und haben die Marke Allgäu sauber rausgearbeitet. Ich glaube, da haben wir auf vorbildliche Art und Weise geliefert.“

    Weirather ist stolz auf die Infrastruktur im Unterallgäu

    Und drittens ist da der große Bereich der Infrastruktur, zu dem Weirather die Straßen, die Perspektive für den Regionalflughafen in Memmingerberg und nicht zuletzt die Schullandschaft zählt. „Da haben wir schon ganz schön hingelangt. Das war nicht nur kosten-, sondern brutalst arbeitsintensiv“, sagt er mit Blick auf die gleichzeitige Sanierung der Schulen in Bad Wörishofen, Türkheim, Babenhausen und Ottobeuren sowie den Neubau der Technikerschule. Schließlich wollte jedes dieser Projekte so begleitet werden, dass die Kosten nicht explodierten, der Zeitplan eingehalten wurde und der Schulbetrieb aufrechterhalten bleiben konnte. „Das war schon ein Punkt, wo ich am meisten Kraft gelassen habe, wo ich mich am meisten mit reinhängen musste und wo auch meine Profession als Diplom-Ingenieur nicht ganz verkehrt war.“

    Gleichwohl habe er „echt selten“ bereut, das Wasserwirtschafts- zugunsten des Landratsamtes verlassen zu haben. „Und wenn es so war, dann nicht, weil mir die Projekte gefühlt über den Kopf gewachsen wären oder weil ich es mit den Mitarbeitern im Landratsamt nicht gut ausgehalten hätte, sondern dann war es das manchmal ganz spezielle politische Umfeld, dem ich ausgesetzt war. Es waren ja nicht immer alle ganz nett zu mir.“

    Die Unterallgäuer dafür aber schon. In all den Jahren sei er nie beschimpft oder gar bedroht worden – jedenfalls nicht bis zum Tierskandal in Bad Grönenbach. „Da gab’s ein paar heftige E-Mails, aber aus dem Kölner und Berliner Raum.“ Obwohl der Skandal auch zu den eher schwierigen Zeiten gehört haben dürfte, habe er morgens nie Angst davor gehabt, was der Tag bringen könnte. „Wenn ich im Krisenmodus bin, bin ich immer ziemlich cool“, sagt Weirather und begründet das mit seinem üblicherweise eher niedrigen Blutdruck. Ein bisschen Adrenalin sei da gar nicht so verkehrt.

    Der Bürgerentscheid zum Allgäu-Airport bleibt dem Landrat im Gedächtnis

    Im Gedächtnis wird ihm aber nicht nur dieser Skandal bleiben, sondern vor allem der Bürgerentscheid zum Allgäu-Airport vor fünf Jahren. Darin ging es darum, ob sich der Landkreis und die Stadt Memmingen an einer Grundbesitzgesellschaft beteiligen und in Gewerbeflächen auf dem Gelände des ehemaligen Militärflughafens investieren sollen. „Für mich war das was Hochanständiges. Wir wollten uns ja nie am Allgäu Airport beteiligen“, so Weirather. Die fliegerische Nutzung sei nicht Thema des Landkreises. Der Widerstand habe ihn deshalb irritiert. „Das hat mich viele Nerven gekostet.“ Letztlich – und dafür ist Weirather heute noch dankbar – sprachen sich die Unterallgäuer mehrheitlich für eine Beteiligung aus. „Bei einem Nein wäre das ganze Konversionsprojekt mausetot gewesen“, ist er überzeugt.

    Und dann ist da noch der Wahlabend 2012, den er ebenfalls nicht vergessen wird: Als feststand, dass er die Wahl gegen Marita Kaiser von der CSU für sich entschieden hatte, überreichten ihm seine Mitarbeiterinnen rote Rosen. „Da kommen mir jetzt noch vor Rührung die Tränen.“

    Auf andere Erfahrungen oder Begegnungen hätte er dagegen gerne verzichtet. „Aber das lässt sich an einer Hand abzählen“, sagt er und umgeht es geschickt, konkreter zu werden. Und nein, rückgängig machen würde er rückblickend nichts. Auch die fristlose Entlassung des damaligen Chefarztes der Ottobeurer Klinik, die 2009 hohe Wellen geschlagen hatte, sieht er nicht als Fehler. „Das würde ich heute sogar mit noch mehr Nachdruck machen.“ Damals, erst wenige Jahre im Amt, habe er sich das noch nicht getraut.

    Laut einer Legende soll CSU-Minister Franz-Josef Pschierer den Freien Wähler unterstützt haben

    Apropos Anfang: Eine Legende besagt, dass Franz-Josef Pschierer im Wahlkampf 2006 weniger seinen CSU-Parteikollegen Klaus Holetschek unterstützt haben soll als vielmehr Weirather. Ist da was dran? „Also so weit ich das weiß, war der Herr Pschierer 2006 nicht besonders erbaut über die Art und Weise der Kandidatenfindung nach der Rücktrittserklärung von Herrn Haisch. Und ich glaube, aus dieser Situation raus hat er sich dann halt auch positioniert und im Wahlkampf den Herrn Holetschek nicht so mit Inbrunst unterstützt. So wird’s wohl gewesen sein. Mehr mag ich dazu nicht sagen“, sagt Weirather.

    Wenn er ab dem 1. Mai nicht mehr im Dienst ist, hat er sich vorgenommen, sich nicht mehr zu kommunalpolitischen Themen zu äußern. Wie überhaupt eine neue Zeit anbrechen wird: Die Aussicht auf Freiheit und Selbstbestimmtheit löse große Freude aus. „Also als Landrat hat man viel, aber Freiheit und Selbstbestimmtheit nicht so. Da ist schon eine Sehnsucht da.“

    Angst, dass ihm langweilig werden könnte, hat er nicht: Seine Frau Hermine ist seit Kurzem im Ruhestand, in der Garage warten drei Motorräder, ein Triumph TR6, ein Porsche und mehrere Fahrräder auf Ausfahrten, und ein Unimog darauf, restauriert zu werden. Außerdem will Weirather mehr Zeit für seinen Körper finden und endlich etwas gegen die Rückenschmerzen unternehmen, die ihn seit Längerem plagen. Auch das eine oder andere Ehrenamt kann er sich gut vorstellen. Nur zu viel soll es nicht werden, damit die neu gewonnene Freiheit nicht gleich wieder dahin ist.

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