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Unterallgäu: Baby nach Schütteln schwerstbehindert - sein Vater hat zwei Seiten

Unterallgäu

Baby nach Schütteln schwerstbehindert - sein Vater hat zwei Seiten

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    Ein 37-jähriger Unterallgäuer wird beschuldigt, seine kleine Tochter so stark geschüttelt zu haben, dass das Baby erblindete und schwere Hirnschäden davontrug.
    Ein 37-jähriger Unterallgäuer wird beschuldigt, seine kleine Tochter so stark geschüttelt zu haben, dass das Baby erblindete und schwere Hirnschäden davontrug. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Im Laufe der Verhandlung kämpft der 37-jährige Unterallgäuer immer wieder mit den Tränen. Mehrfach nimmt er seine Brille ab, reibt sich die Augen und stützt den gesenkten Kopf auf die Hände. Er wirkt verzweifelt und schuldbewusst. Vielleicht kann er selbst nicht verstehen, wie es zu der Tat kommen konnte, für die er sich nun, rund eineinhalb Jahre später, vor dem Memminger Landgericht verantworten muss.

    Zeugen beschreiben Vater als verantwortungsbewusst und liebevoll

    Wie berichtet soll er seine sechs Monate alte Tochter Mia (alle Namen von der Redaktion geändert) Anfang Januar 2017 geschüttelt und dadurch so schwer verletzt haben, dass sie schwerstbehindert bleiben und immer auf fremde Hilfe angewiesen sein wird. Das Mädchen war nachts aufgewacht, hatte geweint und sich laut einer von seinem Verteidiger vorgetragenen Erklärung nicht beruhigen lassen.

    Zeugen beschreiben den 37-Jährigen als sehr verantwortungsbewussten, liebevollen Vater – zumindest in der Zeit, als er sich nur um Mias rund ein Jahr ältere Schwester Emma kümmern musste. Weil ihre psychisch kranke Mutter vor und nach der Geburt im April 2015 wieder in der Klinik war, hatte sich der Vater im Vorfeld dafür eingesetzt, Emma bei sich aufnehmen zu dürfen. Das Jugendamt willigte ein: Die Wohnverhältnisse im Haus seiner Eltern seien zwar als beengt, aber zumutbar eingeschätzt worden, sagte ein Mitarbeiter des Sozialdienstes vor Gericht. Die Mutter des Angeklagten habe einen seriösen Eindruck gemacht und zudem zugesichert, ihren Sohn bei Emmas Erziehung zu unterstützen.

    Beteiligte beschreiben den Unterallgäuer als kooperativ

    Zusätzlich wurden eine sozialpädagogische Familienhilfe und eine Kinderkrankenschwester bewilligt, die dem Vater stundenweise zur Seite standen. Dabei habe der Angeklagte einen „absolut positiven Eindruck“ hinterlassen, so der Zeuge. Die Beteiligten hätten ihn als kooperativ und zuverlässig beschrieben, souverän und liebevoll im Umgang mit Emma. Weil die Unterstützung der Familienhelferin und der Kinderkrankenschwester nicht mehr nötig schien, wurden beide Hilfsangebote Ende 2015 beendet.

    Im Sommer 2016 wandte sich der 37-Jährige dann erneut ans Jugendamt, weil seine psychisch nach wie vor instabile Frau erneut schwanger war. Doch als Mia dann auf der Welt war, lernten die Mitarbeiter einen ganz anderen Vater kennen. Einen, der Termine kurzfristig absagte oder versäumte, der die Anregungen der erneut eingesetzten Familienhelferin nicht umsetzte und sich zwar um die Grundbedürfnisse seiner Töchter kümmerte, ihnen aber wenig emotionale Nähe oder Förderung bot. Bei Emma, die inzwischen in einer Pflegefamilie lebt, stellte die Familienhelferin Entwicklungsverzögerungen fest: Das fast zweijährige Mädchen konnte etwa noch nicht laufen.

    Der Unterallgäuer wirkte besorgt und ungewöhnlich ruhig

    Die Besuche der Sozialpädagogin verstand der 37-Jährige offenbar mehr als Kontrolle denn als Hilfe. Auf sie habe der Vater übermüdet und blass gewirkt, sagte sie vor Gericht. Er habe unrealistische Zukunftspläne gehabt und in einer Traumwelt gelebt, die in ihr den Verdacht weckte, dass er vielleicht kiffe. Konkrete Anzeichen dafür oder für das Alkoholproblem, das der Angeklagte in der Verhandlung eingeräumt hatte, habe es aber nicht gegeben.

    Auch die Rettungskräfte, die der 37-Jährige verständigt hatte, als seine Tochter am Morgen nach der Misshandlung apathisch im Bett lag, hatten keine Alkoholisierung bemerkt. Auf sie habe der Angeklagte einen zwar sehr besorgten, aber ungewöhnlich ruhigen Eindruck gemacht, gaben sie vor Gericht an. Dort wurde auch die Ärztin gehört, die Mia derzeit behandelt und als Gutachterin prognostizierte, dass sich der Zustand des Mädchens nicht mehr verbessern werde. Es ist durch das Schütteltrauma erblindet und leidet unter täglichen Krampfanfällen, es kann nicht sprechen und seinen Körper nicht kontrollieren. Voraussichtlich werde Mia das junge Erwachsenenalter nicht erleben, sagte sie.

    Urteil im Prozess gegen den Unterallgäuer soll am 13. Juli fallen

    Die Sachverständige der Rechtsmedizin München sprach ebenfalls von massiven Schädigungen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Vater sie auch massiv geschüttelt habe. Die Version des Angeklagten, wonach er Mia zunächst im Arm gewiegt und dieses Wiegen, bei dem ihr Kopf über die Armbeuge hinunterhing und so nicht gestützt war, schließlich zu einem Schütteln gesteigert habe, hielt sie für nicht plausibel.

    „Es ist für mich bis heute schwierig, das Geschehen zu rekonstruieren“, erklärte darauf der 37-Jährige, der die Tat bereits am ersten Verhandlungstag gestanden hat. „Ich kann nicht ausschließen, dass ich sie mit beiden Händen genommen habe.“ Das Urteil soll am 13. Juli fallen.

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