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Unterallgäu: Als auch im Unterallgäu der Tod regierte

Unterallgäu

Als auch im Unterallgäu der Tod regierte

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    Dieses Deckengemälde im ehemaligen Elsbethenkloster zeigt die sogenannte Schutzmantelmadonna. Ganz oben in der Mitte ist Gott zu sehen. Darunter steht Maria mit Kind. Ihren Mantel, der von vier Engeln gehalten wird, breitet sie über einer Gruppe von Menschen aus. Sie schützt die Menschen vor den schwarzen Pest-Pfeilen, die herabregnen. Die Wandmalerei entstand wohl zwischen 1475 und 1483 und wurde von der Strigel-Werkstatt gefertigt.
    Dieses Deckengemälde im ehemaligen Elsbethenkloster zeigt die sogenannte Schutzmantelmadonna. Ganz oben in der Mitte ist Gott zu sehen. Darunter steht Maria mit Kind. Ihren Mantel, der von vier Engeln gehalten wird, breitet sie über einer Gruppe von Menschen aus. Sie schützt die Menschen vor den schwarzen Pest-Pfeilen, die herabregnen. Die Wandmalerei entstand wohl zwischen 1475 und 1483 und wurde von der Strigel-Werkstatt gefertigt. Foto: Sabine Streck, stv. Heimatpflegerin

    In einem Arzneibuch von 1677 steht folgende Empfehlung: „Tinctur aus Menschenfleisch bewahrt den Leib vor allen giftigen und pestilenzischen Krankheiten“. Heutzutage unvorstellbar, galt Leichenfett – das sogenannte Armsünderfett – noch bis zum 19. Jahrhundert als Heilmittel. Doch nicht nur gegen die Pest sollte diese Tinktur helfen.

    Auch bei Anämie, Gicht, Brüchen oder Tuberkulose fand sie Anwendung. Angeboten hat die Behandlung unter anderem der Scharfrichter. Dieser hatte ja gewissermaßen den Zugang zum „Rohstoff“: Aus den Menschen, die er hängte, stellte er das Menschenfett her. Eine wirksame Behandlung gegen die Seuche stellte dieses „Heilmittel“ freilich nicht dar.

    Mehr als die Hälfte der Memminger starb 1349 an der Pest

    Die Pestbakterien bekämpfen kann nur ein Antibiotikum, das Alexander Fleming 1928 entdeckte. Die Menschen waren dem „Schwarzen Tod“ also ausgeliefert – und er schlug erbarmungslos zu: Der Memminger Stadtarzt und Universalgelehrte Christoph Schorer berichtet in seiner Chronik von der „erschröcklichen Pest“ im Jahr 1349, an der 2070 Menschen starben. Sollte diese Zahl stimmen, dann kostete die Pest damals mehr als der Hälfte der Stadtbevölkerung das Leben. Und die Seuche blieb auch noch nach dem 14.Jahrhundert ein ständiger Begleiter. Schorer berichtet alleine im 15.Jahrhundert von acht Pestjahren in Memmingen.

    Rückblickend kann es deshalb wohl als seltener Glücksfall gewertet werden, wenn die Stadt einmal zwanzig Jahre lang von der Seuche verschont blieb. Zahlreiche Pestkreuze, Heiligenfiguren und Kirchlein erinnern noch heute im gesamten Unterallgäu an diese schwere Zeit. In der Pfarrkirche St. Stephan in Mindelheim wird zum Beispiel immer noch ein Kreuz aus der Pestzeit verehrt. Ob die „Pestilenz“ vielleicht auch schon vor der großen Pandemie im 14.Jahrhundert über Memmingen hereingebrochen ist, ist nicht abschließend geklärt. Außer Frage steht jedoch, dass Infektionskrankheiten durch die damals mangelhaften hygienischen Verhältnisse begünstigt wurden. Um die Ansteckungsgefahr gering zu halten, wurden die Kranken deshalb in Einrichtungen außerhalb der Stadtmauern behandelt.

    Der Name "Totenhaus" besagt bereits, wie groß die Chancen auf Heilung der Pest waren

    In Memmingen wird ein sogenanntes Siechenhaus erstmals 1317 erwähnt, das draußen vor dem Kalchtor stand. Dorthin gingen die Erkrankten jedoch nicht freiwillig: „Jeder verbarg ängstlich die Anzeichen der Seuche, solange er irgend konnte“, erzählt die Stadtführerin Heidi Stölzle.

    Das Siechenhaus vor dem Kalchtor wurde in der Reformationszeit zu einem Totenhaus umgewandelt. Im Gegensatz zum Siechenhaus war das

    Ein weiteres Totenhaus befand sich am Lindentor in der heutigen Bahnhofstraße. Im Pestjahr 1521 hatte es eine Kapazität von 31 Betten. 1535 wurde außerdem ein Totenhaus in der Ulmer Vorstadt mit 34 Betten eingerichtet. Bei großen Pestepidemien war diese Kapazität aber oft nicht ausreichend, erzählt Streck: „Die meisten Leute blieben und starben zu Hause.“ Hinzu kam der soziale Stand: Wer es sich leisten konnte, floh gleich aufs Land.

    Viele Memminger Apotheker unterhielten auch Krankenherbergen

    Diejenigen, die in den Einrichtungen für Kranke arbeiteten, waren einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Sie erhielten deshalb eine besondere Bezahlung und weitere Annehmlichkeiten – zum Beispiel täglich mehrere Liter Wein und Verpflegung.

    Neben dem Personal in den Krankenhäusern und den Ärzten gab es damals aber noch weitere wichtige medizinische Dienstleister. „Der Gesundheitsmarkt war groß und vielfältig“, erzählt Stölzle. Beispielsweise dienten Apotheken auch oft als Krankenherberge. In Memmingen betrieb der „apotegger“ Hans Mair 1567 die „Herberg zum gulden Hirsch“ am Marktplatz, und auch der als Arzt und Apotheker tätige Dr. Ivo Strigel führte im heutigen Gasthaus zum Schwanen eine solche Herberge für Kranke.

    Der Schafrichter war einem Medicus oder Bader fachlich oft überlegen

    Konkurrenten zu den Apotheken waren die sogenannten Materialisten – also Kaufleute, die allerhand Waren, Gewürze, Kräuter und Heilmittel im Angebot hatten. Und auch weniger seriöse Anbieter offerierten immer wieder ihre Dienste. Dieser „graue Markt“ wurde meist toleriert, solange er nicht den etablierten Ärzten in die Quere kam.

    Außerdem war der bereits erwähnte Scharfrichter als medizinischer Leistungserbringer sehr gefragt. Diese Tätigkeit habe sogar rund die Hälfte seines Einkommens ausgemacht, berichtet Stölzle. Sein umfangreiches Wissen eignete er sich bei der Arbeit an: Nach der peinlichen Befragung eines Delinquenten – wobei sich das Wort peinlich von „Pein“, also Schmerz, ableitet – musste der Scharfrichter den Angeklagten medizinisch so behandeln, dass dieser zu seiner Urteilsverkündung erscheinen konnte. „Im praktischen Wissen war der Scharfrichter einem Medicus oder Bader wohl überlegen“, mutmaßt Stölzle deshalb. „Er wusste genau, wie die Knochen liegen.“ (mit iss)

    Auch andernorts wüteten schon vor Jahrhunderten oder auch Jahrzehnten Seuchen. Mehr dazu lesen Sie hier:

    Als eine Seuche in Rommelsried und Horgau grassierte

    Als die Spanische Grippe 1918 ins Allgäu kam

    Der „Schwarze Tod“ wirft immer noch Schatten

    Eine Zeitzeugin erzählt: Als in Mindelheim die Seuche grassierte

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