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Unterallgäu: 27-Jähriger zwingt seine Bekannte zu Nacktvideos

Unterallgäu

27-Jähriger zwingt seine Bekannte zu Nacktvideos

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    Ein 27-Jähriger aus dem Unterallgäu hat eine gute Bekannte erpresst. Sie sollte sich vor der Kamera für ihn ausziehen - und tat es auch (Symbolfoto).
    Ein 27-Jähriger aus dem Unterallgäu hat eine gute Bekannte erpresst. Sie sollte sich vor der Kamera für ihn ausziehen - und tat es auch (Symbolfoto). Foto: Julian Stratenschulte (dpa)

    Es ist der Herbst 2018, als Gülcan C. (Name von der Redaktion geändert) auf Instagram eine Nachricht erhält. Ein Unbekannter schreibt der jungen Frau über das soziale Netzwerk, dass sie sich vor der Kamera ausziehen soll. Er droht, ansonsten ihren Eltern, die wieder in die Türkei zurückgegangen sind, davon zu berichten, was die Tochter im Unterallgäu treibe: Sie habe einen Freund und mit mehreren Männern Sex. Gülcan C. bekommt es mit der Angst zu tun. Sie weiß: Wenn ihre Eltern solche Gerüchte über sie zu hören bekämen, würden sie sie sofort in die Türkei zurückholen. Also tut die junge Frau das, was ihr in dem Moment am sinnvollsten erscheint: Sie gibt dem Drängen des Unbekannten nach, zieht sich aus, befriedigt sich vor der Kamera ihres Handys selbst und überträgt das Ganze live. Dass der Empfänger alles andere als ein Unbekannter für sie ist, ahnt sie damals noch nicht.

    Einige Zeit später meldet sich der Mann erneut bei Gülcan C.. Entgegen ihrer Absprache hatte er das Live-Video mitgeschnitten. Nun erpresst er die junge Frau damit: Er werde den Film an ihre Eltern schicken – es sei denn, Gülcan C. würde sich wieder vor der Kamera befriedigen. Dann würde er das erste Video von ihr löschen. Sie willigt ein und zum Beweis lässt der Unbekannte ihr ein Video davon zukommen, das angeblich zeigt, wie er das erste Video von ihr von seinem Handy löscht.

    Es kommt zu weiteren Kontaktaufnahmen, in denen der Unbekannte immer mehr von der jungen Türkin fordert. Doch sie will das nicht. Als sie im Januar 2019 ihren Instagram-Account löscht, herrscht erst einmal Ruhe.

    Der Angeklagte und das Opfer kennen sich schon seit Kindertagen

    Im Mai 2019 meldet sich Erkan Z. (Name geändert) bei ihr. Sie kennt ihn seit dem Kindergarten, hat zusammen mit ihm die Schule besucht, er war zeitweise für sie wie ein Bruder. Er habe eine Nachricht von einem Unbekannten bekommen, sagt Erkan Z. zu Gülcan C.. Sie solle den Unbekannten kontaktieren, denn er hätte Videos von ihr. Die junge Frau will einen Beweis und Erkan Z. leitet ihr den entsprechenden Film weiter, den er angeblich von dem Unbekannten bekommen hat. Es ist das Video vom Vorjahr. Wieder droht der Unbekannte, den Film zu veröffentlichen. Wieder gibt er vor, es nicht zu tun, wenn sich Gülcan C. vor der Kamera selbst befriedigt. Und wieder geht sie darauf ein. Erst als sich der Unbekannte kurze Zeit später erneut meldet, reicht es der jungen Frau und sie geht zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Dass ihr guter Freund Erkan etwas mit der Sache zu tun haben könnte, daran denkt sie nicht im Traum.

    Den Polizeibeamten wird in den Ermittlungen hingegen bald klar, dass an der Sache mit dem großen Unbekannten etwas faul sein muss. Wieso sollte der Unbekannte Erkan Z. kontaktieren? Wieso hatte Z. seinen Instagram-Account gelöscht und sein Handy verkauft, kurz nachdem Gülcan C. Anzeige erstattet hatte? Und wieso waren auf seiner Speicherkarte drei Nacktvideos, die Gülcan C. zeigten, und auch das Video, das den Löschvorgang dokumentiert – alles abgespeichert zu einem Zeitpunkt, an dem Erkan Z. noch gar nichts von dem Unbekannten und dessen Forderungen wissen konnte? Hinzu kommt eine weitere Anzeige gegen Erkan Z.: Ein Mädchen wirft ihm vor, sie zu Nacktvideos genötigt zu haben.

    Der Angeklagte aus dem Unterallgäu beteuert seine Unschuld

    In diesem Fall sei er freigesprochen worden, betont Erkan Z. in seiner Verhandlung vor Richter Nicolai Braun und den beiden Schöffen am Memminger Amtsgericht. Und auch im Fall von Gülcan C. sei er unschuldig, erklärt er mehrfach. Beweisen kann er das aber nicht – im Gegenteil: Der 27-Jährige sagt häufig, dass er sich nicht mehr erinnern könne, was passiert sei, und er verwickelt sich immer mehr in Widersprüche, wenn es um seine Aussage und die Daten auf der Speicherkarte geht, die nicht zusammenpassen.

    Irgendwann reicht es selbst dem sonst so geduldigen Richter Nicolai Braun. „Das sind die Fakten und daran kommen Sie nicht vorbei“, wendet er sich energisch an den Angeklagten. „Überlegen Sie es sich gut, ob Sie ins Gefängnis gehen wollen oder nicht.“

    Er gibt dem Angeklagten noch eine kurze Bedenkzeit. In dieser Verhandlungspause nimmt sich Verteidiger Peter Schreiner seinen Mandanten noch einmal zur Brust und macht ihm klar: Mit einem Geständnis kann er Gülcan C. die Aussage ersparen und so für sich selbst eine mildere Strafe erwirken. Erkan Z. willigt ein und gibt alles zu, was ihm vorgeworfen wird. Dieses Geständnis – auch wenn es spät kommt – wertet das Gericht als strafmildernd, weil der jungen Frau so die Aussage über das intime Thema erspart bleibt.

    So urteilt das Memminger Amtsgericht über den Fall

    Negativ hingegen wirken sich der immense Vertrauensbruch gegenüber Gülcan C. aus sowie der Aufwand, den der Angeklagte mit den Fake-Chats zwischen sich und dem „Unbekannten“ betrieben hat. Zudem ist der 27-Jährige vorbestraft: Er hat 2014 mit anderen Familienmitgliedern versucht, eine Schwester aus einer anderen Wohnung „zurückzuholen“, mit einer Gasdruckpistole herumgeschossen und dabei auch Menschen getroffen. Er war einmal mit einem nicht zugelassenen Auto und ein anderes Mal ohne gültigen Führerschein unterwegs.

    Am Ende verurteilte das Schöffengericht den 27-Jährigen zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung. Er muss 1600 Euro an die Psychosoziale Beratungsstelle in Memmingen zahlen und darf sich in den nächsten vier Jahren nichts zuschulden kommen lassen. „Sonst gehen Sie ins Gefängnis“, warnte ihn Richter Braun. Das Urteil ist rechtskräftig.

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