Ein paar Sandalen sind die Attraktion der Kapuzinerkirche von Türkheim. Sie haben eine besondere Geschichte – wie auch die Kirche selbst. „Wir hängen an dieser Kirche“, sagt Gudrun Wufka. Die Kirche sollte, so wie früher, wieder als zweite Kirche für Türkheim genutzt werden, fordert die Türkheimerin.
Wer die Geschichte der Kapuzinerkirche erzählt, muss auch die Geschichte von Marco d´Aviano erzählen. Vor 390 Jahren, 1631, wurde er im Friaul in Norditalien geboren. Er war Theologe, Ordenspriester und Kapuziner. Im Jahr 2003 wurde er seliggesprochen. In Türkheim war der Pater genau ein Mal – doch dieser Besuch hat Spuren hinterlassen.
Wien war die Hauptwirkungsstätte des Kapuzinerpriesters Marco d´Aviano. Nach ersten Predigten und Bekehrungen in Italien war er viel unterwegs in Mittel- und Westeuropa, er predigte in Belgien, Frankreich und Deutschland. Auf einer seiner Reisen kam er nach Türkheim, zu einer Zeit, als Herzog Maximilian Philipp zwar noch Regierungsgeschäften in München nachging, er und seine Frau Mauritia Febronia aber schon Türkheim zu ihrer zukünftigen Residenz gewählt hatten. 1681 weilte also Pater d´Aviano als Gast des Herzogpaares in Türkheim. Beim Abschied überließ er ihnen seine Wandersandalen. Die kamen später ins Archiv des Kapuzinerordens in Altötting und sind heute als Leihgabe hinter Glas in der Kapuzinerkirche in Türkheim ausgestellt: solide handwerklich gefertigt und in einem erstaunlich guten Zustand.
Vier Jahre später, im Jahr 1685, beabsichtigte das Türkheimer Herzogpaar die Gründung und Finanzierung eines Klosters der Kapuziner. Im selben Jahr wurde der Grundstein für die Kapuzinerkirche gelegt. Die Klosterkirche wurde nach nur zweijähriger Bauzeit geweiht. Es ist anzunehmen, dass der Kapuzinerpater d´Aviano dem Herzogpaar diese Klostergründung bei seinem Besuch einige Jahre zuvor nahegelegt hatte. Außerdem ist anzunehmen, dass das herzogliche Paar auf Kindersegen hoffte, denn Pater d´Aviano war nicht nur als Prediger bekannt. Ihm wurden auch viele Wunderheilungen zugeschrieben.
Das Kloster in Türkheim wurde 1973 aufgelöst - das Gebäude wird heute völlig anders genutzt
Das herzogliche Türkheim hat Pater d´Aviano nur ein einziges Mal besucht: im Jahr 1681. Aber dieser Besuch habe für die Kapuziner vor Ort eine große Bedeutung, sagt Martin Skalitzky, Pfarrer in Türkheim, „einfach weil er hier war.“ Das Türkheimer Kapuzinerkloster bestand über knapp 300 Jahre und wurde 1973 aufgrund von Nachwuchsmangel aufgelöst. Im ehemaligen Kloster ist heute das Pflegeheim Dübbel untergebracht. Ein ehemaliger Eingang des Klosters mit Holzpforte, an der Hauptstraße direkt neben dem Ludwigstor, ist bis heute erhalten.
Es gibt Geschichten und Legenden, in denen Pater d´Aviano maßgeblich im Jahr 1683 an der endgültigen Vertreibung der Türken aus Wien mitgewirkt haben soll. Sicher ist, dass er militärischer Berater des damaligen österreichischen Kaisers Leopold l war. Auch vielen Fürsten war der Pater ein Ratgeber in durchaus irdischen Angelegenheiten. Er soll an politischen Verhandlungen mitgewirkt haben. Dargestellt wird Pater d´Aviano mit dem Kreuz in der Hand („in diesem Zeichen wirst du siegen“). Eine solche Skulptur, geschaffen 2006 vom Wörishofer Künstler Heinrich Wolf, erinnert in der Türkheimer Kapuzinerkirche zusammen mit den Sandalen des Seligen an den Prediger.
Gudrun Wufka ist in Türkheim aufgewachsen. Es beschäftigt sie, was Pater Aviano heute, über 300 Jahre später, den Menschen zu sagen habe. „Viel zu wenig ist bekannt von ihm“, meint die Türkheimerin. Sein Auftritt 1681, auf dem Türkheimer Viehmarktplatz neben der neuerbauten Bennokapelle, habe eine Zuhörerschaft von Tausenden bis Zehntausenden gehabt. Im Marktflecken Türkheim gab es zu der Zeit nur wenige Hundert Einwohner. Es musste sich also herumgesprochen haben, wer da kommt. Die meisten Zuhörer reisten wohl von sehr viel weiter her an, und das, obwohl der Pater auf seinen Missionsreisen nur auf Italienisch und Latein predigte. Einige seiner Gebete, Ermahnungen und Segensworte sind überliefert.
Wie die Kapuzinerkirche von Türkheim derzeit genutzt wird
Sie sind Ausdruck eines tiefen Glaubens und gaben den Menschen der damaligen Zeit, nach den verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges, vermutlich Trost und Hoffnung.
Gudrun Wufka ist überzeugt, dass der Pater sich zu einer Zeit für (christlich verstandene) Menschenrechte einsetzte, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Sie sagt, dass er den Frieden gewollt und sich für eine Versöhnung mit den damaligen Erzfeinden Europas, den Türken, eingesetzt habe. Hier stellt sie einen Bezug zur heutigen Situation der Flüchtlinge her: „Für diese Versöhnung wollte er sogar zu Fuß ins Osmanische Reich pilgern.“
Was dann nicht zustande kam, weil es etwas weit und eine Art von Diplomatie gegenüber Feinden war, die beim Papst und den Oberen der katholischen Kirche nicht gut ankam.
Die Kapuzinerkirche stehe für „den oberen Flecken von Türkheim“, sagt Gudrun Wufka. Dort seien die Leute vom oberen Dorf unter sich.
Deshalb wünscht sie sich, wie andere Türkheimer auch, dass die Kapuzinerkirche wieder regulär als zweite Türkheimer Kirche genutzt wird. Derzeit hält dort die Petrusbruderschaft Messen im alten Ritus. In der Loretokapelle der Kapuzinerkirche eine „Ewige Anbetung“ angeboten, eine Art Gebets-Marathon bei Tag und Nacht.