Sie zeugen von Vermächtnissen großer Namen, von historischen Begebenheiten oder orthografischen Verbindungen: Straßennamen geben dem Ort eine Prägung, ein Gesicht. „Nomen est omen“, sozusagen. Alte Adelsgeschlechter werden so bedacht, Dichter und Denker - und natürlich auch Altbürgermeister. Gerade bei personenbezogenen Straßennamen fällt jedoch auf: sie sind in der Regel männlich. Auch Türkheim gibt da bis dato ein eher klägliches Zeugnis ab, denn einzig der Mauritia-Febronia-Platz an der Kapuzinerkirche zeugt von einer weiblichen, historischen Persönlichkeit - ein Ort, der zudem noch ohne Postadresse auskommen muss. Doch nun ändert sich dieser Zustand. Weitere Frauen aus Türkheims Geschichte sollen gewürdigt werden.
Viele Gedanken darüber gemacht haben sich wohl auch die Türkheimer Marktgemeinderäte, und wohl auch über alle Fraktionen hinweg. Zwar sollte die SPD unter Federführung von Rätin Carina Fritsch mit ihrem dazu gestellten Antrag etwas zu Papier gebrachtes dazu liefern - und auch die Grünen-Fraktion dieses wichtige Anliegen durch den SPD-Antrag aufgegriffen wissen, zeigte sich schließlich bei allen Räten großes Einvernehmen, zukünftig auch verdiente Türkheimer Frauen bei der Vergabe von Straßennamen zu berücksichtigen. „Sie haben Kultur geschaffen und klaren Ortsbezug“, wie es Otto Rinninger (FW) treffend zusammenfasste.
Es geht um die neuen Baugebiete in Türkheim
Im Rahmen der letzten Marktgemeinderatssitzung vor der konstituierenden Sitzung konnte das Unterfangen bereits mit zwei weiblichen Namensfestlegungen gestartet werden, denn sowohl für das neue Baugebiet „nördlich Laternenweg“ als auch für das „südlich der Ramminger Straße“ mussten Straßennamen vergeben werden. Ersteres setzt sich, so einvernehmlich verabschiedet, durch Völkernamen fort, da dort bereits damit begonnen worden war. Das Gremium einigte sich für das Gebiet „nördlich Laternenweg“ auf Wittelsbacher-, Welfen- und Germanenstraße.
Zwei Straßennamen waren für das Gebiet „südlich der Ramminger Straße“ zu wählen; so einigte sich der Rat auf Altbürgermeister-Schäffler-Straße für die West-Ost-Querung - und setzte anschließend mit der Paula-Jakwerth-Straße für die Nord-Süd-Verbindung das Ansinnen um, Türkheims Straßen weiblicher zu machen. Zudem wird es nördlich der Albert-Drexel-Straße nun die Maria-Seitz-Straße geben. Für beide Vorschläge seitens Bürgermeister Christian Kähler gab es das Einvernehmen. Zudem einigte sich das Gremium darauf, auch ein in Erwartung stehendes Neubaugebiet mit weiblichen, historisch-bedingten Frauennamen zu beschildern.
Paula Jakwerth Die Heimatdichterin Paula Jakwerth, geborene Sauter, kommt am 11. Dezember 1916 als zweite Tochter der Eheleute Georg und Anna Sauter im elterlichen Haus Rosenstraße 222 in Türkheim zur Welt. Der Vater betrieb ein Säge- und Hobelwerk, später kam noch eine Landwirtschaft hinzu. Ihr Leben war geprägt durch harte Arbeit und christliche Erziehung, durch ein strenges, aber durchaus liebevoll-fürsorgliches Elternhaus. Freiheiten waren für die junge Paula dennoch gegeben, die sie etwa durch Theaterspielen oder bei Tanzkursen auslebte.
Als eine Magd aus gesundheitlichen Gründen den elterlichen Hof verlässt, muss Paula mit ihrer Schwester Loni das Melken übernehmen. Die Abschlussfeier des vorausgegangenen Melkkurses wird die Bühne für ein erstes verfasstes Gedicht Paulas. Als der 2. Weltkrieg ausbricht, muss über die Hälfte der Belegschaft des elterlichen Betriebs sofort in den Wehrdienst. Zurück bleiben die Frauen und alte Leute.
Der Vater schafft eine Zugmaschine mit Seilwinde an, aus Ermangelung männlicher Arbeiter wird Paula das große Gefährt bedienen. Fortan erlernt das toughe Mädchen den Umgang mit weiteren Zugmaschinen, lässt sich den Schneid - trotz Kriegswirren - nicht abkaufen.
Geprägt wurde die junge Frau auch durch die Einquartierung von Kriegsgefangenen aus Polen und Frankreich; auch der Tod der Mutter, noch während des Krieges, prägt sie. Die harte Arbeit und der Umgang mit den Männern habe ihr wohl ein „Mundwerk wie ein Scherenschleifer“ verpasst, erinnert sie sich in ihren Lebensaufzeichnungen, die Dr. Alois Epple und Ludwig Seitz auszugsweise in den Türkheimer Heimatblättern Heft 29-30 (1997) herausbrachten.
In einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“: Erinnerungen an eine grausame Zeit
In einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“, so erinnert sich Paula darin, wurde am Oberen Bahnhof „das Judenlager errichtet“, ein Jahr vor Kriegsende. Die hell erleuchteten Wachtürme konnte sie von Zuhause aus sehen. Einmal holten Wachsoldaten in Begleitung ausgemergelter Juden Stangen beim Sägewerk ab, es waren „ausgehungerte Gestalten“, wie sie sich erinnert. Der Vater wies die Haushälterin an, einen Topf Suppe für sie zu kochen. Eine mögliche Aufnahme der Juden als Arbeitskräfte scheitert, da sich der Vater die zusätzlichen Kosten für deren Bewachung nicht leisten konnte.
Kurz bevor die Amerikaner schließlich das Lager befreiten, ließ man die Gefangenen laufen, die sich nach Türkheim aufmachten; die Familie nimmt vier jüdische Mädchen auf.
Wenig später ist das Haus voller Amerikaner. Schneid beweist Paula Jakwerth noch einmal, als sie ihren zukünftigen Mann kennenlernt, der als Flüchtling zu Kriegsende im Unterallgäuer Raum strandet. Nicht wenige im Ort konnten dieser Verbindung positives abgewinnen, doch auch da setzt sich die toughe junge Frau durch, diesmal der Liebe wegen.
Als Heimatdichterin erlangt Paula Jakwerth Bekanntheit
Im Laufe der Zeit erfährt Paula Jakwerth als Heimatdichterin auch über die Grenzen Türkheims hinaus Bekanntheit, dank ihrer „Versla“. Traditionell gehören sie im Schwäbischen zu bestimmten Anlässen, etwa Hochzeiten oder Beerdigungen, einfach dazu. Alltägliche Begebenheiten bekommen darin, dank der Reimform, eine ganz eigene Verdichtung und Veredelung.
Maria Seitz Über Maria Seitz gibt es leider nicht so bilderreiche Niederschriften; wenn überhaupt, steht sie in der öffentlichen Wahrnehmung ein wenig im Schatten ihres Mannes Willy Seitz - obschon anzunehmen ist, dass sie maßgeblich die Versorgung heimlich aufgenommener Juden übernommen hat. In Aufzeichnungen des Yad Vashem, der „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“ mit Sitz in Jerusalem, findet sich eine Erinnerung Willy Seitz’. Er und seine Frau wurden schließlich im Jahr 1987 als „Gerechte unter den Völkern“ durch das Yad Vashem ausgezeichnet.
Auch Willy Seitz stößt bei einem Spaziergang über Türkheims Felder auf entflohene Jüdinnen aus dem nahen Türkheimer KZ. Beide Frauen und die Tochter einer von beiden betteln um Hilfe. Seitz rät ihnen, sich im Wäldchen am Haldenberg zu verstecken, bis es Nacht wird. Dann werde er sie holen und bei sich und seiner Frau Maria aufnehmen. So sollte es auch kommen, das Paar kümmert sich um die drei Polinnen, Maria kocht und sorgt für sie.
Gefährlich war dieses Unterfangen allemal. Einmal hätte man die heimlich versteckten Frauen fast bemerkt, denn eine von ihnen hustete viel. Auf Argwohn der Nachbarn habe Seitz geantwortet, es sei ein grunzendes Schwein zu hören gewesen. Die Erleichterung tritt ein, als schließlich die Amerikaner in Türkheim einmarschieren. Das Versteckspiel hatte ein Ende.
Aus Dankbarkeit halten die jüdischen Frauen lange danach noch Kontakt mit dem Ehepaar Seitz; sie sollten es auch gewesen sein, die Willy Seitz für eine Auszeichung durch das Yad Vashem vorgeschlagen haben.