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Siebnach: Mordversuch: Angeklagter sah sich vom „Bösen“ verfolgt

Siebnach

Mordversuch: Angeklagter sah sich vom „Bösen“ verfolgt

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    In einem Siebnacher Flüchtlingsheim kam im vergangenen August zu einem Messerangriff.
    In einem Siebnacher Flüchtlingsheim kam im vergangenen August zu einem Messerangriff. Foto: MZ-Archiv

    Ein Messerangriff in einer Flüchtlingsunterkunft in Siebnach bei Ettringen wird nun vor dem Landgericht aufgearbeitet. Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Christian Leibhart steht vor der Frage, warum es zu der Tat kam und ob der 22-jährige Angeklagte zur Tatzeit voll schuldfähig war. Der Gambier schilderte nämlich einen Tathergang, der sich von den Zeugenaussagen unterschied und machte deutlich, dass er sich vom „Bösen“ verfolgt fühlt.

    Der 22-Jährige berichtete vor Gericht von Angstzuständen vor dem „Bösen“, gegen das er sich zur Wehr habe setzen müssen. Von seiner Umgebung fühle er sich mehr oder weniger verfolgt, diese Personen hätten ihn alle „runter ziehen wollen“. Der Angeklagte und die Zeugen aus dem Heim konnten nur in englischer Sprache vernommen werden. Die beiden Dolmetscherinnen waren also gefordert.

    Staatsanwältin Patricia Fink trug die Ergebnisse der Ermittlungen in der Anklageschrift zusammen. Am 31. August 2020 sei der Angeklagte um 5 Uhr morgens vor der Tür des Opfers gestanden. Er habe mit der Absicht, den anderen Mann zu töten, geklopft und als der damals 29-Jährige die Tür öffnete, habe der Angeklagte mit einer 7,5 Zentimeter langen Messer sofort zugestochen. Das wehrlose Opfer habe eine 1,5 Zentimeter lange Stichwunde erlitten. Danach sei es zu einer Rangelei auf dem Flur gekommen. Das Opfer habe den Angreifer weggestoßen und so Schlimmeres verhindert.

    So will der Angeklagte "spirituell" mit seinem Opfer in Siebnach kommuniziert haben

    Der Angeklagte schilderte den Vorfall aus seiner Sicht. Er habe in der Unterkunft gut gelebt, bis eben das spätere Opfer eingezogen sei. Dieser habe ihn immer wieder „runtergezogen“ und kritisiert. Einmal habe er Kleidung von ihm angezogen und sei damit nach Augsburg gefahren. So sei es zu ständigen Sticheleien gekommen. In der Tatnacht habe er schlecht geschlafen. Er habe „spirituell“ mit dem Opfer kommuniziert und festgestellt, dass der Zimmernachbar das „Böse“ sei, dessen Nähe er vermeiden solle. In seiner Aussage berief er sich auch immer wieder auf „Gott“. Und so sei er zur Tür gegangen und geklopft, um dem Nachbarn dies zu sagen. Doch dieser habe ihn mehrfach weggeschubst. Er habe sich schwach gefühlt und plötzlich lag da im Flur ein Messer und er habe sich damit verteidigt. Er behauptete, er habe das Messer an der Klinge angefasst. Das Opfer habe im weiteren Verlauf mit einer Hantel nach ihm geworfen, er habe sich mit einer Flasche bewaffnet. Auch nach dem Stich ging die Rangelei weiter, bis weitere Bewohner kamen, um die Streitenden zu trennen. „Ich war es nicht, der angegriffen hat“, sagte der Angeklagte.

    Bei einer Vernehmung schlug der 22-Jährige seinen Kopf an eine Wand, bis er blutete

    Der 22-Jährige kam in Gambia zur Welt, das Zusammenleben der Eltern sei kompliziert gewesen, weil sie unterschiedlichen Stämmen angehörten. Zudem starb die Mutter sehr früh. Weil der Vater in Gambia keine Arbeit fand, suchte er zusammen mit dem Sohn das Glück im Ausland. Sie kamen nach Senegal, wo es nicht viel besser gewesen sei. Täglich hätten sie um das tägliche Essen kämpfen müssen. So ging es weiter nach Mali, wo der Vater Arbeit fand. Sie wollten weiter nach Norden und kamen nach Libyen. Insgesamt sei er fünf Jahre zur Schule gegangen. In Libyen habe der Vater dann einen guten Job in einem Laden gefunden. Der sei aber von Gangstern überfallen worden und sein Vater wurde dabei erschossen. Ein Arbeitskollege setzte den heute 22-Jährigen in ein Flüchtlingsboot und so landete er in Italien. Mit dem Zug sei er dann nach Deutschland gekommen. Nach Stationen in Stuttgart und Donauwörth sei er als Asylbewerber in Ettringen gelandet. Dort sei er zur Ruhe gekommen, bis der Zimmernachbar eingezogen sei.

    Seine Aussagen gaben aber auch einen Einblick in das Leben in einem derartigen Heim. Sein Zimmer beschrieb er als sein Haus. Gestritten wird zum Teil um Bagatellen.

    Alle Zeugenaussagen beschrieben den Angeklagten als kompliziert. Er könne ganz ruhig am Geschehen teilnehmen, um dann plötzlich aufbrausend zu werden. Er habe viel nachgedacht und manchmal einen Joint geraucht. Ein Zeuge sagte, der Angeklagte habe gesagt, dass der Teufel versuche ihn los zu werden und die Teufel würden überall auf ihn warten.

    Eine Vernehmung in der Inspektion Bad Wörishofen musste abgebrochen werden, weil der Angeklagte kurz vor dem „Ausrasten“ gestanden sei. Und bei einer zweiten Befragung durch einen Kripobeamten sei der Angeklagte plötzlich eineinhalb Meter hoch gesprungen und habe seinen Kopf an die Wand geschlagen, dass er blutete.

    Auch ein behandelnder Arzt wurde nicht schlau aus ihm und sprach von einer eventuell „phasenweise auftretenden psychischen Erkrankung“.

    Nach fast sieben Stunden ging dann der erste Verhandlungstag zu Ende. Aufschlüsse über die Schuldfähigkeit sollen in der nächsten Woche die Einlassungen von zwei weiteren Experten bringen. Nicht ganz einfach für die Wahrheitsfindung ist auch, dass das Opfer samt Frau untergetaucht ist und nicht zum Prozess erschienen war.

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