Startseite
Icon Pfeil nach unten
Mindelheim
Icon Pfeil nach unten

Rückblick: Angst vor Dachau: Wie Allgäuer den Zweiten Weltkrieg erlebten

Rückblick

Angst vor Dachau: Wie Allgäuer den Zweiten Weltkrieg erlebten

    • |
    Frieda Leinfelder, hier abgebildet im Frühjahr 1943, hat den Zweiten Weltkrieg in Memmingen miterlebt. Sie wuchs in der Pfluggasse auf. Ihr Vater war Sozialdemokrat. „Nazifreunde gab es in unserer Familie nicht“, sagt sie.
    Frieda Leinfelder, hier abgebildet im Frühjahr 1943, hat den Zweiten Weltkrieg in Memmingen miterlebt. Sie wuchs in der Pfluggasse auf. Ihr Vater war Sozialdemokrat. „Nazifreunde gab es in unserer Familie nicht“, sagt sie. Foto: Archiv

    Gertrud Stetter beschreibt ihre Kindheit als eine schöne Zeit. Und das, obwohl sie von Bomben, Zerstörung und Not geprägt war. Sie habe ja nichts anderes gekannt, sagt die 86-Jährige. „Aber unsere Eltern haben vieles von uns ferngehalten.“ Was Eltern nicht von ihren Kindern fernhalten konnten, war die Angst. Jeden Abend, bevor sie ins Bett ging, hat sich Stetter schon ihre Kleidung zurechtgelegt. Und das hat einen Grund gehabt.

    Aufwühlende Erinnerungen an den Krieg

    „Damit ich bei Fliegeralarm gleich reinschlupfen konnte“, sagt sie. „Man durfte ja kein Licht anmachen.“ Noch heute erinnert sie sich mit Grausen an den Motorenlärm der nahenden Flugzeuge und daran, wie sie angsterfüllt im Keller auf dem Boden lag, mit der Gasmaske am Arm. Stetter war im letzten Kriegsjahr elf Jahre alt. Sie hat damals in der Hopfenstraße in Memmingen gewohnt.

    Als der Krieg sich seinem Ende näherte, gab es fast jeden Tag und jede Nacht Fliegeralarm, erzählt Stetter. Die Kinder mussten aber weiterhin in die Schule. Da diese zu Lazaretten umfunktioniert wurden, fand der Unterricht in Gasthäusern statt.

    Albert Grambihler, der eigentlich auf die Bismarckschule ging, wurde im Gasthaus Schwanen in der Kalchstraße unterrichtet. „Die Schultafel hatte kaum Platz“, erinnert er sich. Bei jedem Fliegeralarm rannten die Kinder nach Hause, nicht immer schafften sie es. Einmal sei er durch Bomben arg in Bedrängnis gekommen, erzählt Grambihler. „Eine Frau aus der Ulmer Straße fing mich ein und ging mit mir schnell in einen Keller.“

    So haben Schüler aus dem Allgäu den Weltkrieg erlebt

    Auch Stetter erinnert sich daran, wie sie bei Alarm schnell Heim gerannt ist. Ihren Ranzen ließ sie zurück. Sobald der Alarm vorbei war, sind alle Kinder wieder zur Schule gelaufen, sagt Gertrud Stetter. „Aber ganz gemächlich“, fügt sie schmunzelnd hinzu. „Und irgendwann hatten wir dann gar keine Schule mehr.“ Stattdessen lernten die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes fürs Leben – nämlich zu überleben, wenn Bomben fallen. „Uns hat man beigebracht, uns auf den Bauch zu legen, die Ohren zuzuhalten und den Mund aufzureißen“, erzählt Josef Redl. Ein geöffneter Mund sollte verhindern, dass das Trommelfell platzt.

    undefined

    Redl war 1945 sechs Jahre alt. Er erinnert sich noch gut an die überfüllten Luftschutzkeller, in denen der Putz von der Wand bröckelte, wenn in der Nähe eine Bombe einschlug. Viele wollten irgendwann nicht mehr dorthin gehen, weil sie sich außerhalb der Stadt im Freien sicherer fühlten. Auch Redl und seine Mutter suchten bei Alarm nicht mehr Schutz im Keller, sondern fuhren mit ihren Fahrrädern zum Jungwald, der etwas außerhalb der Stadt lag. Ob er sich dort sicherer gefühlt hat, kann Redl nicht sagen. Als Kind habe er kein Empfinden dafür gehabt, was sicher oder unsicher war. „Ich wusste nur, Gefahr ist im Verzug.“

    Luftkampf über dem Allgäu

    Hermann Petrich, der in Eldern bei Ottobeuren aufgewachsen ist, sind besonders die feindlichen Jagdbomber, die sogenannten „Jabos“, im Gedächtnis geblieben: „Über uns fanden einige Luftkämpfe mit Abschüssen statt“, sagt er.

    Damals erzählte man sich, die Jabos würden auf Mensch und Tier schießen. Die Bauern auf den Feldern hatten deswegen große Angst. Auch er habe oft um sein Leben gebangt – zumal es auf dem Land keine Luftschutzkeller gab. „Sobald Jabos im Anflug waren, haben meine Eltern immer gesagt: Legt euch sofort hin!“ Was die Jabos besonders gefährlich machte: Sie kamen immer zweimal. „Die sind immer eine Schleife geflogen, um zu sehen, ob sie beim ersten Mal getroffen haben“, sagt Petrich. Der 83-Jährige erinnert sich auch noch gut an die sogenannten Stanniolstreifen, die die Flugzeuge abwarfen.

    Sie sahen so ähnlich aus wie Lametta und sollten das Radar stören. Als Kind habe er diese Streifen aufgesammelt. „Aber die rochen so komisch“, erzählt er. Neben den Schreckmomenten gab es für die Kinder auch immer wieder Momente der Normalität. Gertrud Stetter erinnert sich daran, wie sie unbeschwert mit den Nachbarskindern draußen gespielt hat. Sie hatten genau einen einzigen Ball, sagt sie. „Wir waren damals vielleicht reifer, ernsthafter als die Kinder heute“, sagt Stetter. „Aber nicht traurig.“

    Angst vor dem Nazi-Regime

    Die gedrückte Stimmung sei für ihn als Kind dennoch spürbar gewesen, sagt Josef Redl: „Im Radio gab es einen Sender, und auf dem lief pausenlos Propaganda. Wir haben schon mitgekriegt, dass es Lügen waren. Aber man durfte es nicht sagen.“ Wer nicht mit dem Nazi-Regime konform lief und Kritik äußerte, musste Angst vor Strafen haben.

    So wie der Vater von Zeitzeugin Frieda Leinfelder. Er war Sozialdemokrat, sein Schwager Kommunist. Leinfelder erinnert sich noch gut daran, wie ihre Mutter oft sagte: „Sei still, sonst kommen wir alle nach Dachau!“ Manchmal waren aber selbst Kleinigkeiten verdächtig: Josef Redls Mutter wurde einmal von einer Aufseherin getadelt, weil sie ihrem Sohn noch nicht den „Deutschen Gruß“ beigebracht hatte – gemeint war „Heil Hitler“. „Aber die hatte gar kein Interesse daran, mir das beizubringen“, sagt Redl. „Die meisten wollten das nicht.“

    Lesen Sie auch:

    Nach dem Krieg: Wie Wörishofen wieder auf die Beine kam

    Wie Jude Charly in Hohenreuten die Nazi-Zeit im Erdloch überlebte

    Die düsterste Seite der Türkheimer Geschichte

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden