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Rammingen: Als die amerikanischen Panzer in Rammingen einrollten

Rammingen

Als die amerikanischen Panzer in Rammingen einrollten

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    Luftaufnahme vom Schienenübergang „Am Bahnhof“ in Rammingen aus dem Jahr 2005. Im Vordergrund das Elternhaus von Walter Felser. Das Haus gibt es noch, das Wäldchen dahinter nicht mehr.
    Luftaufnahme vom Schienenübergang „Am Bahnhof“ in Rammingen aus dem Jahr 2005. Im Vordergrund das Elternhaus von Walter Felser. Das Haus gibt es noch, das Wäldchen dahinter nicht mehr.

    Walter Felser wird das 75-jährige Jubiläum der Befreiung nicht in Rammingen erleben. Er wohnt schon lange im Oberallgäu. Für die Erinnerung kehrte er nochmals in die Zeit der letzten Kriegstage zurück.

    Seine Familie fühlte sich nicht als Teil der Ramminger Dorfgemeinschaft

    Die Familie des damals acht Jahre alten Buben lebte in einem kleinen Haus am Wald in der Nähe des ehemaligen Ramminger Bahnhofs, etwas erhöht und außerhalb, aber in Sichtweite zum Dorf. „Wir waren die Bahnhöfer“, erzählt er, „geduldet, aber nicht zugehörig, nicht Teil der Dorfgemeinschaft.“ Die Familie war zum großen Teil Selbstversorger. Es gab Hühner, einen Gemüsegarten, Obstbäume und ein kleines Wäldchen, das zum Grundstück gehörte.

    Lesen Sie dazu auch: Vor 75 Jahren: Der Irrsinn der letzten Kriegstage

    Das Brot bekam man vom Bäcker in Rammingen, es gab sogar zwei Bäckereien, eine in Unter- und eine in Oberrammingen. Butter? Fehlanzeige. Sie musste durch Schweineschmalz ersetzt werden. Schwarzschlachten war zwar nicht erlaubt, aber es fand statt. Zum Einkaufen fuhr die Mutter mit dem Zug nach Mindelheim, dort gab es Fleisch und Wurst.

    Walter Felser heute.
    Walter Felser heute.

    Wenn für eine besondere Feier einmal eine Torte gebraucht wurde, hätte man die Zutaten wie Zucker, Mehl und Butter selbst bei der Konditorei und dem Café Lörcher in Mindelheim abliefern müssen, die die Torte fertiggebacken hätte.

    Nach Kriegsende dann waren über die Lebensmittelkarten die Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker rationiert. Man durfte die zugeteilten Mengen im Kolonialwarenladen im Dorf, gegen Bezahlung natürlich, abholen, und es wurde genauestens Buch geführt.

    In der Zeit vor Kriegsende gab es für die Dorfkinder keine Schule mehr. Der Pfarrer, auch Religionslehrer für die Kinder, konnte ihnen so keine Verhaltensregeln mehr mitgeben. Die Kinder waren sich selbst überlassen und erlebten im Wald ihre eigenen, manchmal sehr gefährlichen Abenteuer. Denn die vor den einrückenden Amerikanern fliehenden deutschen Militärangehörigen ließen im Wald um den Ort herum alles zurück, was sie bei einer Gefangennahme verdächtig hätte machen können: Gewehre, Sprengkapseln, Munition. Nur Pistolen hätten die Buben dort nie gefunden, sagt Walter Felser. Das gefährliche Spielzeug animierte die jungen Burschen zu gewagten Sprengaktionen.

    Walter Felser als Achtjähriger.
    Walter Felser als Achtjähriger.

    Umgekehrt waren sie aber selbst Angriffen von außen ausgesetzt. „Im Wald versteckten sich Weißkosaken, die bei den Deutschen „mitgemacht“ hatten“, erinnert sich Felser. Die hätten nichts zu essen gehabt, sich von gewilderten Tieren ernährt, aber genug Munition besessen, um in die Rückseite des Elternhauses aus sicherer Entfernung Löcher zu schießen: zum Spaß und aus Langeweile.

    Tiefflieger machten bei Rammingen Jagd auf Menschen

    Schon früher wäre auch die Bahnschlucht zwischen Mindelheim und dem alten Ramminger Bahnhof aus der Luft bombardiert worden. Feindliche Tiefflieger hätten Jagd auf Menschen im Freien gemacht. Er selbst habe sich einmal nur knapp vor einem solchen Angriff auf freier Wiese in Sicherheit bringen können: „Wie ein Hase bin ich im Zickzack gerannt, während neben mir die Geschosse einschlugen.“

    Am 27. April 1945 waren die amerikanischen Verbände von Tussenhausen her nach Süden vorgerückt, ein Teil Richtung Türkheim, ein zweiter Richtung Rammingen. Es war schon dunkel, als die Lichter und der Lärm der Militärfahrzeuge über die Dorfstraße rollten, vom Haus der Familie aus gut zu sehen. Sonst existierte im Dorf ja keine weitere Beleuchtung.

    Von der alten B 16 hinter dem Wald im Süden gab es auch ein „ständiges Gebrumm in beiden Richtungen“, wie sich Walter Felser erinnert. Das konnte er zwar nicht sehen, aber vorher hatte auf dieser Straße nur mehr wenig Verkehr stattgefunden. Alle hätten gewusst, dass da jetzt das amerikanische Militär unterwegs war.

    Lesen Sie dazu: Als der 2. Weltkrieg vorbei war, der Fanatismus aber nicht

    Für Felser hat sich besonders eine Begebenheit dieses 27. April 1945 ins Gedächtnis gebrannt: Die amerikanische Militärkolonne wäre schon durch das Dorf gefahren, als sein Vater eine weiße Fahne aus dem Dachlukenfenster wehen ließ. Und als zwei SS-Leute heftig an die Haustür gehämmert und mit vorgehaltenen Pistolen gefordert hätten: „Die Flagge ist in zwei Minuten drunten“.

    Was dann natürlich schleunigst und zum Glück ohne weitere Folgen geschehen sei. SS- Leute wären zu diesem Zeitpunkt schon auf der Flucht vor den Amerikanern gewesen, erinnert sich der heute 83-Jährige.

    Einige Tage nach dem 27. April 1945 hätte es dann in der kleinen Siedlung am ehemaligen Bahnhof stichprobenartig Durchsuchungen durch das amerikanische Militär gegeben: in der Gaststätte, in den Häusern der Familien Müller und Wegener, auf der Silberfuchs-Farm. Auch das Haus der Familie Felser war dran, aber ohne dass etwas beschlagnahmt worden wäre.

    In den Tagen nach der Besetzung änderte sich erst einmal für die Dorfbewohner nicht wirklich viel. Auch wenn es für viele wenig und karg war: es gab zu essen. Wer Geld hatte, konnte sich einen neuen Anzug beim Schneider in dessen Werkstatt an der Straße in Richtung Türkheim-Bahnhof bestellen.

    Die letzte Kommunionskerze wurde unter den jüngeren Geschwistern weitergereicht. Zu den früher traditionellen Raufereien zwischen den Hitzköpfen aus Unter- und Oberrammingen nach der heiligen Messe am Sonntag hatte wohl niemand mehr Lust, und verboten war das jetzt sowieso. Kein Aufpasser mehr musste wie früher während der Sonntagsmesse durch das Dorf gehen und es bewachen, weil es Gewohnheit gewesen war, die Häuser nicht abzusperren.

    Walter Felser verließ sein Dorf Rammingen nach Kriegsende und ging dann in Augsburg zur Schule. Es war damals ein schwieriger Start für den nun Neunjährigen, denn in der Großstadt war der meiste Unterricht für die Kinder auch in Kriegszeiten gewährleistet gewesen, ganz anders als für die Ramminger Dorfkinder.

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