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Pfaffenhausen: Als Kind in Pfaffenhausen zwischen Krieg und Frieden

Pfaffenhausen

Als Kind in Pfaffenhausen zwischen Krieg und Frieden

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    Kanonen gegen die Angst: Kanonen auf dem Viehmarktplatz sollten Pfaffenhausen schützen.
    Kanonen gegen die Angst: Kanonen auf dem Viehmarktplatz sollten Pfaffenhausen schützen. Foto: Archiv hlz

    Ein kurzer Rückblick auf die Zeit vor 75 Jahren: Seit 1939 tobte der furchtbare Zweite Weltkrieg. Als im Frühjahr 1945 das Kriegsgeschehen immer näher in Richtung Allgäu rückte, war der Autor dieses Artikels ein knapp sechsjähriges Büblein. Er schildert, wie er das Kriegsende und die Zeit danach erlebt hat.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg: Das erlebte Josef Hölzle als Kind in Pfaffenhausen

    Diese bewegten Zeiten prägten sich bei uns Kindern tief ein, obwohl wir Landkinder damals immer noch ein relativ ungestörtes Leben führen konnten. Wir wussten es nicht und konnten es auch nicht erahnen: Während Deutschland in Schutt und Asche fiel und die Menschen in den Städten und Kriegsgebieten buchstäblich verhungerten, erlebten wir auf dem Land den allmählich näher rückenden Krieg quasi als eine aufregende Erweiterung unseres dörflichen Alltags.

    Immer öfter tauchten versprengte deutsche Soldaten mit Militärfahrzeugen auf. Sie suchten für ein paar Tage Deckung in Hütten oder unter Bäumen, um dann wieder weiterzuziehen. Manchmal durften wir Kinder in deren Autos mitfahren oder aus dem blechernen Essgeschirr der Soldaten löffeln. Jedenfalls ging es in den letzten Kriegsmonaten 1945 recht turbulent rund um unsere kleine Landwirtschaft in Pfaffenhausen zu. So schlüpften auf dem Rückzug befindliche deutsche Soldaten für ein paar Tage in unserem Haus unter. Sie wurden auch mit Essen versorgt. Einige Fremde fanden im kleinen „Kellerloch“ einen geschützten Unterschlupf, andere nächtigten auf dem Boden der extra mit Stroh ausgelegten Stube. Das war natürlich eine besonders aufregende und spannende Abwechslung für uns Kinder. Die Unterbringung fliehender Soldaten war aber angesichts der unkontrollierten Bedrohungslage nicht ungefährlich, wie wir später erfahren haben.

    Ständige Angst in den Köpfen der Kinder

    Jedenfalls wuchsen wir Kinder mit dem Thema „Krieg“, mit dem Mangel, mit der Trauer um Gefallene und auch mit der Gefahr und ständiger Angst auf. Was „Krieg“ wirklich bedeutete, konnten wir aber nicht ahnen. Wir lernten jedoch zunehmend, mit Gefahren und Bedrängnissen zu leben. Selbst der Aufenthalt in der freien Flur war plötzlich nicht mehr ungefährlich. Immer wieder erschienen feindliche Flugzeuge am Himmel, die meist auf alles schossen, was sich bewegte. So erfuhren wir Kleinen bald von den Größeren, dass man sich beim Auftauchen von Flugzeugen sofort in einen Graben oder in den Rain legen sollte.

    Trotz alledem lebten wir in relativer Sicherheit und hatten wenigstens genug zu essen. Allerdings bekamen wir die alltäglichen Aufregungen und Härten mit. Wir hörten von Gefallenen und Vermissten, wir sahen verwundete „Kriegsbeschädigte“ und lernten auch Evakuierte aus fernen Regionen kennen. Darunter waren auch einige Mädchen aus dem Ruhrgebiet, die wir Buben wegen ihrer großen Klappe „dick“ hatten und als freche Bauernbuben sogar mit Rossbollen beworfen haben. Quasi in solch kriegsbedingte Umstände eingebettet, lebten wir in den relativ behüteten Tag hinein.

    Sorge um kleinere Geschwister: Angst vor einer Flucht

    Doch eine tiefe Sorge, die mich als damals knapp Sechsjährigen umtrieb, blieb mir bis heute in Erinnerung: Falls wir fliehen müssten, wären ich und meine ältere Schwester wenigstens schon „groß“. Was machen wir bloß mit den zwei kleineren Geschwistern, die kaum laufen können? Gott sei Dank kam es nicht dazu. Ende April 1945 fielen noch Bomben auf zwei Häuser in unserem friedlichen Marktflecken. Der Angriff galt einem kleinen Trupp durchziehender deutscher Soldaten, von denen einige dabei umkamen. Noch heute sehe ich die Toten und die herumliegenden Kadaver toter Militärpferde vor meinen Augen. Fast alle Fensterscheiben im Ort waren kaputt und die Angst war groß.

    Wenige Tage später war der Krieg aus, das Schlimmste war vorerst überstanden. Unsere Familie hatte Glück: Unser Vater kam unversehrt wieder heim, doch vielen anderen Kindern hat der Krieg ihren Vater genommen. Die Amerikaner zogen mit Panzern und Lastwagen über Hydranten und Gartenzäune hinweg ein. Sie wurden von Haus zu Haus mit weißen Tüchern und Fahnen begrüßt. Einige Häuser durchsuchten sie und holten sich auch, was sie brauchten. Wo jedoch kleine Kinder vor der Tür standen, nahmen die Amerikaner Abstand davon.

    Amerikaner brachten Kaugummi und Schokolade mit

    Wir Kinder sahen damals zum ersten Mal dunkelhäutige Menschen und lernten bald auch Kaugummi, Schokolade, Orangen und eiförmige Bälle kennen. Die Besatzer hatten auch Zigaretten, deren weggeworfene Kippen wir Kinder zur Gaudi der Amis eifrig für unsere Väter eingesammelt haben. Das Leben ging weiter. Bald kamen die ersten „Flüchtlinge“ und Vertriebenen in den Ort, die zwangsweise einquartiert wurden und oft bettelarm in einer kleinen Kammer hausen mussten. So waren bald viele fremde und anders sprechende Kinder mit in der Schule. Für diese gab es täglich eine eigene Schulspeisung.

    Die neuen Mitschüler waren meist evangelisch, was wir damals mit „ungläubig“ gleichsetzten. Not, Armut und Angst blieben auch uns Kindern nicht verborgen, ohne dass wir deren Ausmaße überhaupt ermessen konnten. Erst später wurde es uns bewusst, wie gut wir es damals in unserer – vom direkten Kriegsgeschehen nur gestreiften – Heimat gehabt haben und wie zufrieden und bescheiden wir in unserem kleinen Kosmos leben konnten, während im ganzen Land, vor allem in den Städten, Not, Armut und Verzweiflung herrschten. Es dauerte danach viele arbeitsreiche Jahre, bis sich das Leben „nach dem Krieg“ wieder normalisierte.

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