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Mindelheim: Zu Fuß heraus aus der Dunkelheit der Depression

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Zu Fuß heraus aus der Dunkelheit der Depression

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    Mario Dieringer ist in Europa unterwegs und will mit seinem Projekt auf das Thema Depressionen und Suizid aufmerksam machen. In Mindelheim machten er und Hund Tyrion Station bei Pam Metzeler, die ebenfalls einen Angehörigen verloren hat, weil er sich das Leben genommen hat.
    Mario Dieringer ist in Europa unterwegs und will mit seinem Projekt auf das Thema Depressionen und Suizid aufmerksam machen. In Mindelheim machten er und Hund Tyrion Station bei Pam Metzeler, die ebenfalls einen Angehörigen verloren hat, weil er sich das Leben genommen hat. Foto: Metzeler

    Pam Metzeler und Mario Dieringer verbindet etwas, auf das sie lieber verzichtet hätten: Beide haben einen nahen Angehörigen durch einen Suizid verloren. Und es gibt noch eine Verbindung zwischen ihnen. Sie kämpfen dafür, dass diese Todesfälle nicht umsonst waren. Beide wollen andere Menschen für psychische Krankheiten sensibilisieren und Betroffenen Mut machen, sich Hilfe zu holen – und beide machen auf ihre ganz eigene Art auf das Thema Depression und

    Pam Metzeler, die in Mindelheim ein Tattoostudio betreibt, hat vor zwei Jahren ein Buch veröffentlicht, in dem sie den Tod ihres Sohnes Timo verarbeitet hat. Dass der Teenager depressiv war, hatte sie damals nicht erkannt, wie sie heute weiß: Es gab zwar Anzeichen, aber sie konnte sie einfach nicht richtig deuten. Nun will sie andere Menschen aufklären: über die Krankheiten, Warnsignale und die richtige Hilfe – mit ihrem Buch, aber auch, indem sie Vorträge hält, etwa an Schulen.

    2014 wollte Mario Dieringer seinem Leben ein Ende setzen, überlebte seinen Suizidversuch aber durch eine Reanimation. Als sich sein Lebensgefährte zwei Jahre später das Leben nahm, war für ihn klar: „Mein Leben liegt in Scherben und das kann auch nicht mehr zusammengefügt werden.“ Er wollte etwas Neues beginnen, einen neuen Weg suchen – und hat das im wahrsten Sinn des Wortes getan.

    Die beiden wollen Menschen helfen, die depressiv sind und einen Suizid planen

    Für den gemeinnützigen Verein „Trees of Memory“ läuft der Journalist seit März 2018 durch Deutschland und um die Welt und pflanzt Bäume der Erinnerung für Suizidopfer. Der 54-Jährige will damit der Menschen gedenken, deren letzter Ausweg der Suizid war, aber auch gegen das Tabu und Stigma ankämpfen, das Hinterbliebene erfahren. Und – wie Pam Metzeler – will Dieringer Menschen, die mit Depressionen und Suizidgedanken kämpfen, Mut und Hoffnung machen, dass auch aus einem Leben, das einem tiefen, schwarzen Loch gleicht, wieder etwas Großes, Buntes entstehen kann. Für ihn selbst ist das Projekt mit einem persönlichen, spirituellen und emotionalen Wachstum verbunden, wie er sagt: „Ich gesunde.“

    Dieringers ständiger Begleiter ist Schlittenhundmischling Tyrion. Zusammen sind sie unterwegs, von Mindelheim aus geht es weiter nach Ulm, über die Schwäbische Alb nach Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg, Freiburg, den Bodensee und dann wieder gen Berchtesgaden. Im kommenden Jahr ist Österreich dran.

    Die beiden übernachten in der Natur, auf Campingplätzen oder bei Menschen, die sie einladen. Häufig sind das Personen, die den Verein „Trees of Memory“ kennen und die selbst einen Bezug dazu haben, etwa, weil sie einen Angehörigen durch einen Suizid verloren haben – so auch bei Dieringers Stopp in Mindelheim, wo er in einem Dorf in der Nähe untergekommen ist. „Es ist einfach immer Thema“, sagt der 54-Jährige.

    Wenn ihn Menschen auf der Straße ansprechen und er ihnen erzählt, warum er unterwegs ist, gibt es verschiedene Reaktionen. Manche sind neugierig, andere verstummen plötzlich, weil ihnen das Thema so wehtut, und wieder andere sprechen mit Dieringer über ihre eigenen Erfahrungen.

    Für viele Hinterbliebene ist das Suizid-Projekt ein Neubeginn

    Die Baumpflanzaktionen seien für viele Angehörige eine Art Neubeginn, sagt er. „Das ist Benzin für meinen Motor, dass ich mit meinem Lauf Veränderungen bewirken kann.“ Auch an Pam Metzeler wenden sich immer wieder Menschen, die sich von ihr Hilfe erhoffen – vor allem, seit sie das Buch über ihren Sohn veröffentlicht hat. „Umso offener man selbst ist, umso offener sind die Menschen“, sagt die Westerheimerin.

    Da sind etwa Jugendliche, die nach einem Vortrag an einer Schule das Gespräch mit ihr gesucht haben, weil die Depression zu ihrem Alltag gehört und sie selbst die Zeichen bislang nicht richtig deuten konnten. Und da sind die Menschen, die immer wieder in das Tattoostudio kommen, die aber gar kein Tattoo oder Piercing wollen, sondern einfach nur ihre Geschichte erzählen.

    Diesen Baum – halb knorrig, halb voller Leben – hat sich Mario Dieringer in Mindelheim stechen lassen. In jedem Land kommt ein Tattoo hinzu.
    Diesen Baum – halb knorrig, halb voller Leben – hat sich Mario Dieringer in Mindelheim stechen lassen. In jedem Land kommt ein Tattoo hinzu. Foto: Metzeler

    Mario Dieringer hingegen will das Mindelheimer Studio mit einem Tattoo verlassen. Für jedes Land, das er im Rahmen seines Projekts besucht, lässt er sich einen Baum und ein paar Fußspuren auf den linken Arm stechen. „Knorrig oder mit Blättern?“, wollte Pam Metzeler im Vorfeld von ihm wissen. Und schnell stellten beide fest: am besten beides. Denn auch das Leben ist einfach beides, manchmal knorrig-kahl und manchmal bunt-belaubt.

    Hier gibt es Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken:

    • Telefonseelsorge Die Telefonseelsorge berät gebührenfrei am Telefon unter den Nummern 0800/1110111 und 0800/1110222, per Mail oder Chat unter www.telefonseelsorge.de.
    • Junge Leute U25 ist eine Mail-Beratung für suizidgefährdete Jugendliche bis 25 Jahre. Die Beratung von speziell ausgebildeten Gleichaltrigen erfolgt kostenlos und anonym unter www.u25.de.
    • Psychologische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen Die Beratungsstelle hilft diskret und kostenlos. Sie ist in Mindelheim, in der Landsberger Straße 5, Telefon 08261/730351, Terminvergabe unter 08331/9843420, E-Mail an efl-mindelheim@bistum-augsburg.de.
    • Info-Telefon Depression Das Info-Telefon soll Betroffenen und Angehörigen den Weg zu Anlaufstellen im Versorgungssystem weisen. Telefonnummer: 0800/3344533 (gebührenfrei, zu bestimmten Sprechzeiten besetzt).
    • Deutsche DepressionsligaHier gibt es viele Informationen und Hilfsangebote zum Thema Depression, etwa eine Klinik-Datenbank: https://www.depressionsliga.de/
    • Bereitschaftsdienst In Krisensituationen sollten sich Betroffene immer an den Arzt wenden. Der ärztliche Bereitschaftsdienst kann außerhalb der Sprechzeiten weiterhelfen (Telefon 116 117).
    • Notfall Im Notfall hilft der Notarzt unter Telefon 112 weiter.
    • Für Hinterbliebene gibt es zum Beispiel die Agus-Selbsthilfegruppe Memmingen, Tel. 08394/9257141, oder den Verein „Trees of Memory“ als erste Hilfe, www.treesofmemory-ev.com.
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