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Mindelheim: Vor 75 Jahren: Der Irrsinn der letzten Kriegstage

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Vor 75 Jahren: Der Irrsinn der letzten Kriegstage

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    Engelbert Satzger ist im April 1945 hingerichtet worden.
    Engelbert Satzger ist im April 1945 hingerichtet worden. Foto: Archiv Linker

    Der Krieg war im Winter 1944/45 längst verloren. Und doch prasselten noch im März und April 1945 weiter Durchhalteparolen auf die ausgemergelten Menschen ein. Noch so kleine militärische Erfolge wurden als der Anfang vom „Endsieg“ dargestellt. Daheim dagegen gehe das Leben seinen normalen Gang. In der Mindelheimer Filmschau wurde zum Beispiel am 6. März 1945 der Heile-Welt-Ufa-Film „Junge Herzen“ gezeigt.

    Warum sich im April 1945 die Lage in Mindelheim zuspitzte

    Im April 1945 spitzte sich die Lage auch in der Nähe von Stadt und Kreis Mindelheim zu. Mitte April wurden im Hof des ehemaligen Jesuitenkollegs nahe dem Kollegturm umfangreich Akten verbrannt. Das Reichsfinanzministerium hatte das in Auftrag gegeben. Spuren der Schreckensherrschaft sollten vernichtet werden. Auch im Mayenbad wurde gezündelt. Dort gingen sämtliche Akten und Unterlagen des Bannes der Hitlerjugend Mindelheim in Flammen auf. Kreisleiter Ludwig Schug und Parteigenosse Otto Bürger schlossen daraufhin die Kreisleitung der NSDAP, die sich im ehemaligen Jesuitenkolleg befand.

    Zwei Tage, bevor die US-Truppen von Nordwesten her Mindelheim erreichten, kam es bei Hausen am 23. April 1945 zu einer Bluttat, die noch heute fassungslos macht. An sie erinnert eine Gedenktafel. Der Gendarmerieoberwachtmeister der Reserve, Engelbert Satzger wurde nach einem Standgericht hingerichtet. Drahtzieher der Aktion war Major Siegfried Keiling. Dieser hatte im Kloster Lohhof Quartier aufgeschlagen. Dort hörte er von angeblichen Äußerungen Satzgers, die die Wehrkraft und die Moral von versprengten Mitgliedern der Wlassow-Armee untergraben würden.

    Zweiter Weltkrieg: Russische Soldaten haben sich nach Mindelheim durchgeschlagen

    Bei diesen Soldaten handelte es sich um Russen, die aufseiten der Nationalsozialisten gegen Stalin gekämpft hatten. Ein paar von ihnen hatten sich nach Mindelheim durchgeschlagen. Mit ihrer abgerissenen Ausrüstung waren sie ohnehin zum Kämpfen nicht mehr in der Lage. Nach dem Krieg übrigens haben die Siegermächte England und USA diese russischen Soldaten Stalin ausgeliefert.

    Der glühende Nazi Major Keiling ließ sieben Polizisten verhaften. Neben Satzger waren das Brenner, Heiligmann, Frank, Fraidling, Haugg und Peller. Ein Standgericht unter einem Offizier von Busse wurde eingerichtet. Heiligmann und Fraidling waren geflohen. Sie wurden in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Peller wurde freigesprochen. Die Verfahren gegen Brenner, Frank und Haugg wurden an das Gaustandgericht München überwiesen.

    Tod durch Strang in Mindelheim

    Blieb also Satzger. Als Satzger zum Schein vernommen wurde, stand bereits der Galgen am Ortsausgang von Pfaffenhausen. Sieben Stricke lagen bereit. Zeugen wurden nicht vernommen. Das Urteil „Tod durch Strang“ war rasch gefällt. Eine Begründung, weder schriftlich noch mündlich, gab es nicht. Die Bitte Satzgers, Frontbewährung zu erhalten oder doch zumindest erschossen zu werden, wurde ohne Gnade abgewiesen.

    Wie Dr. Berndt Michael Linker in seinem Maßstäbe setzenden Werk „Mindelheim im 20. Jahrhundert“ weiter berichtet, war zwar der Kommandeur der Gendarmerie Augsburg nach Hausen gekommen. Der Vorgesetzte sprach aber lieber über Pferde und Kavallerie mit Major Keiling, als sich für den Verhafteten einzusetzen.

    Zwei Tage später rückten die Amerikaner an. Die US-Soldaten brachten die Leiche Satzgers zum Friedhof Hausen, wo sie ihn ablegten. Am 1. Mai wurde der 51-jährige Satzger in Mindelheim beigesetzt.

    Erst später Anklage am Schwurgericht Augsburg

    Die Teilnehmer des Standgerichts wurden erst vier Jahre nach der Tat vom Schwurgericht Augsburg zur Rechenschaft gezogen. Der Angeklagte von Busse musste für ein Jahr und sechs Monate hinter Gitter wegen dem gemeinschaftlich begangenen Verbrechen des Totschlags. Keiling bekam fünf Jahre Haft.

    Im Urteil hielt das Gericht im Oktober 1949 fest: „Das Entsetzen musste um so größer sein, als die Hinrichtung des bei seinen Vorgesetzten wie bei der Bevölkerung von Hausen geachteten und beliebten Polizeibeamten sich in der schimpflichsten Form vollzog und außerdem zu einem Zeitpunkt erfolgte, da kein vernünftig denkender Mensch, ob Soldat oder Zivilperson, sich für den Ausgang des Krieges oder den weiteren Verlauf der letzten Kampfhandlungen irgend eine Wendung oder auch nur eine Verzögerung des von der überwiegenden Mehrheit des Volkes ungeduldig erwarteten Kriegsendes versprechen konnte“.

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