Herr Stark, Sie haben Theologie und Sozialpädagogik studiert und sind als Pastoralreferent beim Bistum Augsburg angestellt. Dort arbeiten sie zur einen Hälfte in der Personalentwicklung und zur anderen Hälfte als Referent für Gemeindeentwicklung im Dekanat Mindelheim, wo sie beispielsweise Pfarreiengemeinschaften mit all ihren Haupt- und Ehrenamtlichen in Veränderungsprozessen begleiten. Welche Rolle spielen Komplimente in Ihrem Alltag?
Thomas Stark: Was immer eine Rolle spielt, ist, ein gutes Wort füreinander zu haben, damit man offen miteinander reden kann. Wertschätzung zum Ausdruck bringen, etwa durch ein Kompliment oder ein Lob, das ist etwas ganz Wichtiges.
Werden in der Kirche zu wenig Komplimente gemacht? Gerade hierzulande ist nicht geschimpft ja genug gelobt ...
Stark: Ja, es geht oft in der Routine des Alltags unter, gerade in Corona-Zeiten, wo einen vieles bedrückt und wo alles so schwierig ist. Es sind Zeiten, in denen man sich selbst wieder erinnern muss, dass man Hoffnung hat. Dabei steckt ja in unserem Glauben viel Hoffnung! Kirchlicherseits ist man häufig auf eine gewisse Seriosität bedacht, da wird die Gefühlsebene nicht so beachtet, weil man sie vielleicht als oberflächlich oder vergänglich ansieht. Auf der anderen Seite ist es ganz wichtig, diese Ebene anzusprechen und Wertschätzung und Zuneigung auszudrücken, weil man in Beziehung zueinander steht – wir sind ja alle Menschen! Gerade wenn man mit Ehrenamtlichen arbeitet, ist es wichtig, Lob und Dank und Anerkennung auszudrücken.
„Darf“ man denn in alle Richtungen Komplimente machen? Zum Beispiel auch dem Pfarrer?
Stark: Je mehr ein Pfarrer als Autoritätsperson angesehen wird, desto weniger bekommt er auch mal ein Kompliment. Aber das braucht ein Priester natürlich trotzdem. Zum Beispiel ein Lob dafür, wie einfühlsam er ein Gespräch geführt hat, oder dass er in der Predigt etwas gesagt hat, was einen berührt. Man muss dazusagen: Pfarrer bekommen aber auch selten ehrliches, kritisches Feedback, das ihnen weiterhilft. Wenn die Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, tun sich die Leute leichter, dem Pfarrer auch mal ein Kompliment zu machen oder ihm zu sagen, was sie weniger gut finden. Ich finde, im Dekanat Mindelheim klappt das schon ganz gut.
Welche Rolle spielt der Glaube, wenn man einem anderen ein Kompliment macht?
Stark: Glaube ist die Basis für die Wertschätzung, an die wir glauben: Gott nimmt uns an, liebt und wertschätzt uns. Ganz bedingungslos, jeden von uns. Eigentlich ist es unsere Aufgabe, diese Wertschätzung weiterzugeben. Durch den Glauben haben wir einen Grund, weiterzumachen, auch wenn es schwierig ist, wenn einen das Leben stresst. Da kann eine Kraft entstehen: Ich sag dir trotzdem was Schönes und mach dir Mut. Ein Regionaldekan, der mal mein Chef war, sagte immer: „Du bist ein guter Mensch.“ So hat er fast jeden begrüßt. Er hat es sehr locker gesagt und spaßig, aber man hat es ihm abgenommen, weil er es ernst meinte. Und es hat immer gut getan. Wir hatten immer eine gelöste Atmosphäre im Team. Vielleicht haben wir in der Kirche da manchmal Nachholbedarf, dass wir die gute Stimmung auch mehr nach außen tragen müssen.
In der katholischen Kirche hat man ja auch jahrhundertelang auf das geschaut, was nicht funktioniert: die Sünde, die man beichten musste ...
Stark: Früher hat man die Sünde in den Vordergrund gestellt, auch, um eine gewisse Disziplin zu erreichen. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich das Gottesbild verändert: Sehen wir in Gott den strengen Richter, vor dem wir alle erst einmal Sünder sind? Oder sehen wir einen wertschätzenden Gott, von dem wir erst mal alle geliebt sind? Das heißt nicht, dass es keine Sünde mehr gibt. Aber es gibt ein grundsätzliches „Ja“ zu dir, auch wenn du Mist gebaut hast. Das ist die Botschaft Jesu: Fürchtet euch nicht! Und nicht: Fürchtet Euch! Früher ist das zu wenig betont worden in der Kirche. Heute sieht man mehr den liebenden Gott, den barmherzigen. Das kann uns anstiften, das weiterzutragen – gerade jetzt, in der Zeit, wo man sich fragt, wie es weitergehen soll. Da ist es besonders wichtig, sich gegenseitig zu ermutigen.
So funktionieren Komplimente in der Bibel
Kommen Komplimente denn auch in der Bibel vor?
Stark: Komplimente gibt es weniger, häufig steht das Lob Gottes im Vordergrund. Es gibt verschiedene Stellen, wo es etwa um Verhaltensregeln, Frömmigkeit oder Weisheit geht. Im Hohelied Salomos machen sich aber zwei Liebende Komplimente. Da heißt es zum Beispiel: Schön bist du, meine Freundin, siehe, du bist schön. Hinter dem Schleier deine Augen wie Tauben. Wie ein purpurrotes Band sind deine Lippen und dein Mund ist reizend.
Und Jesus?
Stark: Jesus lobt die Menschen oft für ihren Glauben – zum Hauptmann von Kafarnaum sagt er: „So einen Glauben habe ich noch bei niemandem gefunden.“ Im Johannesevangelium zeigt Jesus seine Wertschätzung: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt.“ Auch in den Paulusbriefen wird die Gemeinde als die „berufenen Heiligen“ begrüßt. Das ist ein großes Kompliment, wenn einer zum anderen sagt: Du bist ein Heiliger oder eine Heilige. Wir kennen heutzutage ja nur die Heiliggesprochenen, aber Jesus sagt das zu uns, dass wir für Gott Heilige sind, Geliebte sind, eine Familie sind. Das sind die Komplimente, die nochmal tiefer gehen. Das bewirkt mehr als wenn sich ein Kompliment nur auf etwas Äußerliches bezieht. Es heißt: Du bist ein geliebter Mensch, ein guter Mensch.
Lässt sich eine solche Wertschätzung auch innerhalb eines Gottesdienst vermitteln?
Stark: Da ist zunächst die Frage: Wie viel Kontakt hat man im Gottesdienst zueinander? Das direkte Wort gibt es oft nur in der Predigt. Oder – in normalen Zeiten – beim Friedensgruß, wenn man dem anderen nicht nur Frieden wünscht, sondern auch noch einen weiteren guten Wunsch sagen kann. Oder wenn man dem anderen am Ende des Gottesdiensts einen guten Wunsch mitgibt. Das tut besonders gut.
Wie funktioniert die Willkommenskultur in Mindelheim
Berichten Sie doch mal aus Ihrer eigenen Arbeit im Dekanat Mindelheim: Was bewirkt ein Kompliment?
Stark: Ein gutes Wort ist oft für die Leute ganz wichtig als Motivation. Dass sie merken: Das ist gut, was ich mache, und das wird geschätzt. Da haben sie auch Lust, sich weiter zu engagieren. Zuletzt habe ich in einem Kurs einer Frau, die Gottesdienstleiterin werden wollte, gesagt, dass mich ihre Predigt sehr berührt hat. Das hat ihr, glaube ich, schon Mut gemacht. Wenn die positive Rückmeldung ausbleibt, fragen sich gerade die Ehrenamtlichen, warum sie noch weitermachen sollen, ob das überhaupt gewünscht ist. In Gremien wie dem Pfarrgemeinderat hat man ja oft seine Tagesordnung, aber auf einer Klausurtagung ist vielleicht mehr Zeit, um auf die Wünsche, Ideen und Träume der Menschen einzugehen.
Ist das die Willkommenskultur, die sich die Pfarreiengemeinschaft Mindelheim als Ziel gesetzt hat?
Stark: Ja, hier will man offen für die Menschen sein und sie willkommen heißen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt für uns als Kirche: Das ist wie einen Schalter umzulegen. Früher war es eine soziale Norm, dass die Leute in die Kirche gegangen sind, dass die Kinder zur Erstkommunion kamen, dass man sich trauen hat lassen und man zur Beichte gegangen ist. Heute sind die Menschen individueller und freier: Wenn sie in die Kirche kommen, dann nicht, weil es sich so gehört, sondern weil sie einen Gewinn für sich sehen. Für uns heißt das: Es ist nicht selbstverständlich, dass die Menschen da sind. Wir wollen die Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebenssituationen willkommen heißen, sie sehen und das wertschätzen, was sie sind.
Wie geht das konkret?
Stark: Wenn man zum Beispiel als Kirche sagt „Es sollen mehr junge Familien kommen“, dann muss man sich fragen: Würde man sie dann auch wollen, so wie sie sind? Oder müssen sie sich nur einfügen und ruhig verhalten? Wir müssen Raum geben für die unterschiedlichen Interessen, für die Musikgeschmäcker, wir müssen offen sein und Zeit haben fürs Gespräch. Wir bieten die Kinderkirche parallel zu den Erwachsenengottesdiensten an, haben aber auch mehr Räume für Jugendliche geschaffen oder die „Atempause“, die noch mal eine eigene Form ist mit Ruhe, Literatur und Musik. Ziel ist immer, dass die Menschen merken: Es tut gut, zusammen zu sein, bei Gott und mit Gott zu sein – und dass sie deshalb kommen und nicht nur, weil es eine Norm ist. Es ist ein Unterschied, ob der Gottesdienst eine Sonntagspflicht ist oder ein Geschenk, ein Kompliment an mich von Gott, der für alle da ist und alle wertschätzt. Da muss auch die Kirche den Schalter umlegen: Jeder Mensch, der zu uns kommt, ist etwas Besonderes.
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