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Mindelheim: Als die Mindelheimer Mindelburg ein Lazarett war

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Als die Mindelheimer Mindelburg ein Lazarett war

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    Äußerlich hat sich die Mindelburg wenig verändert seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Innenaufnahmen aus den Lazaretträumen sind leider nicht erhalten geblieben.
    Äußerlich hat sich die Mindelburg wenig verändert seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Innenaufnahmen aus den Lazaretträumen sind leider nicht erhalten geblieben.

    Die Begeisterung in Mindelheim ist groß, seit bekannt wurde, dass die mittelalterliche Mindelburg nach Jahrzehnten wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Die Aussicht, die Wohnstatt des Landsknechtsführers Georg von Frundsberg (1473 - 1528) in Augenschein nehmen zu können, fasziniert viele Menschen in der Region. Dabei hat Frundsberg nur eines von vielen Kapiteln in der reichen 860 Jahre langen Geschichte der Mindelburg geschrieben. Die Mindelburg war nicht nur Ritterburg und zuletzt Verlagssitz, sondern auch ein besonderes Lazarett.

    Die Patienten waren vom Schicksal besonders hart getroffen

    Ein bisher in der Debatte allenfalls am Rande erwähnte Zeit sind die Jahre zwischen 1945 und 1950. Mindelheim war vom Zweiten Weltkriegs fast verschont geblieben. Deshalb wurden Schulen und öffentliche Gebäude bereitgestellt, um all die Ankommenden aus den Ostgebieten aufnehmen zu können. In der Mindelburg fanden Soldaten Unterkunft, die ein besonders schweres Schicksal erlitten hatten.

    Der Nato-General Johannes Steinhoff war einer der Patienten auf der Mindelburg. Er starb 1994.
    Der Nato-General Johannes Steinhoff war einer der Patienten auf der Mindelburg. Er starb 1994.

    Im Februar 1945 war das Reservelazarett IV von Breslau nach Mindelheim verlegt worden. Die vielen Verwundeten zogen mit Schwestern und 35 Ärzten mit Holzkarren von Breslau über Sachsen, Franken nach Mindelheim. Es war eine Reise voller Entbehrungen. Die Verwundeten konnten während der Fahrt kaum versorgt werden. Auf der Mindelburg entstanden Behandlungs- und Operationsräume. Bei Kriegsende im Mai 1945 war die Zahl der Patienten auf 1100 gestiegen. Für sie wäre es beinahe noch zu einer weiteren Katastrophe zu all ihrem Leid gekommen, das sie mitmachen mussten.

    Nach den Bestimmungen der Genfer Konvention dürfen Lazarettstädte nicht angegriffen werden. Sie dürfen aber auch nicht verteidigt werden. Dennoch wollte ein Trupp der Hitlerjugend die heranstürmenden Amerikaner aufhalten. Wehrmacht und HJ bezogen rund 100 Meter vor der Mindelburg Stellung. Auch eine Batterie wurde herangeschafft.

    Ein Arzt bewahrte die Mindelburg vor der Zerstörung

    In der Burg war bereits das Lazarett untergebracht. Dem Arzt Dr. Martin Herrmann war es letztlich zu verdanken, dass die Mindelburg und all die Verletzten unbeschadet davonkamen. Herrmann ließ auf der Mindelburg ein Rot-Kreuz-Zeichen anbringen und überredete die Verteidiger, kampflos abzuziehen. Er hat damit auch die Mindelburg vor der sicheren Zerstörung bewahrt.

    Anfang 1946 wurde das Lazarett dann als Versehrtenkrankenhaus anerkannt. Die Hauptoperationssäle wurden auf die Mindelburg verlegt. In zahlreichen Operationen gaben Ärzte den Verstümmelten ein neues Aussehen. Nach und nach wurden die Methoden ausgereifter, etliche neue Behandlungstechniken entwickelt. In Fachkreisen gilt die Mindelburg deshalb als eine Wiege der modernen Schönheitschirurgie. Im Keller der Mindelburg befand sich die Krankenhausküche. Patienten haben dort selbst Kartoffeln geschält. Unter dem Dach haben manche Fußball gespielt.

    1948 verließ Dr. Herrmann mit weiteren Ärzten Mindelheim. Er wechselte an die Uni Mainz. Sein Nachfolger war Dr. Johannes Müller. Er hat weiter alle Hände voll zu tun gehabt. Viele Nachoperationen waren notwendig. 1950 wurde das Krankenhaus auf der Burg aufgelöst. Die noch schwer verletzten Patienten kamen nach Bad Tölz.

    Die Gesichtsverletzten gehörten zum Mindelheimer Stadtbild

    Jahrzehntelang gehörten die Gesichtsverletzten zum Mindelheim Stadtbild. Insgesamt sollen um die 4000 Versehrte in der Kreisstadt behandelt worden sein. Meist waren es junge Menschen, die bei gefährlichen Einsätzen an der Front durch schwere Verletzungen so entstellt waren, dass sie von ihren Angehörigen und Bekannten kaum noch erkannt wurden. Einen Eindruck vermitteln die Schwarz-Weiß-Fotografien aus dem Nachlass von Dr. Johannes Müller.

    Die Verletzungen waren bei einigem so schwerwiegend, dass die Männer jahrelang keine feste Nahrung zu sich nehmen konnten. Von einem Fall ist bekannt, dass 32 Operationen notwendig waren bis ein neues Gesicht geschaffen war. Die beiden leitenden Ärzte auf der Mindelburg, Prof. Dr. Dr. Martin Herrmann und sein Nachfolger Dr. Johannes Müller waren im Januar 1945 vor der heranrückenden Roten Armee aus Breslau geflüchtet, zusammen mit weiteren Gesichtschirurgen, Schwestern, Sanitätssoldaten, Technikern und Patienten.

    Bekanntester Patient auf der Mindelburg war der spätere NATO-General Johannes Steinhoff (1913 - 1994). Steinhoff war auch Inspekteur der Luftwaffe. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs war er bei einem Testflug mit einer Messerschmitt Me 262 abgestürzt. Die Maschine ging in Flammen auf. Steinhoffs Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, das linke Auge erblindet. Heute dürfte keiner der ehemaligen Patienten mehr leben. 2003 musste der deutschlandweit einzigartige „Verein der Gesichts- und Kieferverletzten“ aufgelöst werden. Viele der einst mehr als 100 Mitglieder konnten nicht mehr am Vereinsleben teilnehmen, ein Großteil war gestorben.

    So fürchterlich die Verletzungen waren, für manche waren sie die Fahrkarte zurück ins Leben. Vor Jahren schilderte einer seine Gefühlswelt: „Ich bin der Einzige meiner Einheit, der lebend aus der Festung Breslau gekommen ist.“

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