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Memmingen: Mann stirbt, weil Retter zu spät gerufen werden

Memmingen

Mann stirbt, weil Retter zu spät gerufen werden

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    Vor dem Amtsgericht Memmingen ging es um einen Todesfall in einer Obdachlosenunterkunft.
    Vor dem Amtsgericht Memmingen ging es um einen Todesfall in einer Obdachlosenunterkunft. Foto: Kurt Kraus

    Am 31. Dezember 2018 stirbt in einer Obdachlosenunterkunft in Memmingen ein Mensch, höchstwahrscheinlich an einer Überdosis Heroin. Zwei Männer, 30 und 31 Jahre, müssen sich seit Ende November wegen unterlassener Hilfeleistung vor dem Amtsgericht verantworten. Anstatt ihm zu helfen, habe man den Drogenkonsumenten, den alle nur mit seinem Vornamen O. kannten, laut Anklage aus der Wohnung getragen, und in einem Laubengang auf einem Sofa abgelegt.

    Es hakt auch zu Beginn des zweiten Termins. Fehlten am ersten Prozesstag wichtige Zeugen, weil sie erst gar nicht geladen wurden oder einfach nicht erschienen waren, so fehlt dieses Mal der ältere der beiden Angeklagten. Er sitzt in Untersuchungshaft und es wurde schlichtweg versäumt, ihn in der Haftanstalt abholen und vorführen zu lassen. Das könne ja mal passieren, nimmt Staatsanwalt Roman Stoschek die Sache gelassen. Fortgesetzt wird der Prozess mit der Vernehmung des Notarztes und zweier Rettungssanitäter. Alle drei erinnern sich nur noch vage an die Situation, die sie vor knapp zwei Jahren im Erlenweg vorgefunden hatten.

    Der Notarzt sagt: Dem Mann konnte nicht mehr geholfen werden

    Für ihn sei, so berichtet der Notarzt dem Gericht, schnell klar gewesen, dass dem Mann nicht mehr geholfen werden könne. Wie lange der Mann schon tot gewesen sei, will Richterin Katrin Krempl wissen. Doch diese Frage kann der Arzt nicht beantworten. Sichere Todeszeichen seien noch nicht vorhanden gewesen. Man habe keine Leichenflecken gesehen, eine Totenstarre sei noch nicht ausgeprägt gewesen.

    Immerhin steht dem Gericht diesmal der „Hauptbelastungszeuge“ zur Verfügung. Er war wegen einer anderen Sache per Haftbefehl gesucht worden, konnte inzwischen festgenommen werden und wird von zwei Polizisten in Handschellen in den Gerichtssaal gebracht. Richterin Krempl belehrt ihn über seine Rechte. Er müsse sich nicht selbst belasten, erklärt sie dem Zeugen.

    Wie schon am ersten Prozesstag, hakt der Rechtsanwalt des 31-jährigen Angeklagten ein. Jan Bockemühl, Honorarprofessor für Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg, „belehrt“ die Richterin und fordert, dass dem Zeugen erklärt wird, dass er überhaupt keine Fragen beantworten müsse. Schließlich sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass sich auch der Zeuge eine unterlassene Hilfeleistung vorwerfen lassen müsse. Erst als Staatsanwalt Stoschek versichert, dass seine Behörde bislang keinen Anlass sieht, gegen den Zeugen zu ermitteln, kann die Befragung beginnen. Der Zeuge kennt den Verstorbenen. O. sei immer wieder mal zu Besuch in den Erlenweg gekommen. An jenem Tag habe er sich in der Wohnung der Angeklagten aufgehalten. Er sei geholt worden, weil es dem später Verstorbenen nicht gut gegangen sei. O. sei „total dicht“ gewesen. Er habe nur noch einen schwachen Puls gehabt. Alle seien „besoffen und auf Drogen“ gewesen. Er habe den beiden Angeklagten geraten, den Rettungsdienst zu verständigen. Der werde schon wieder zu sich kommen, habe man ihm entgegengehalten. Dann habe man ihn aufgefordert, das Zimmer zu verlassen. Etwa zwei Stunden später habe er dann gesehen, dass ein Leichenwagen kommt.

    Der Rechtsanwalt sagt: Der Mann sei bald nach seinem "goldenen Schuss" gestorben

    Rechtsanwalt Bockemühl erinnert in seinem Plädoyer an die Angaben der Rechtsmedizinerin aus München. Demnach sei der Mann sehr bald gestorben, nachdem er sich „einen goldenen Schuss“ gesetzt habe. Sein Mandant hätte also gar keine Chance mehr gehabt, ihm zu helfen. Das Gericht habe daher keine andere Möglichkeit, als seinen Mandanten freizusprechen. Rechtsanwalt Tino Brückner, der den jüngeren Angeklagten vertritt, schließt sich seinem Vorredner an. Die beiden Männer auf der Anklagebank verweigern bis zuletzt die Aussage.

    Richterin Krempl verurteilt den 31-Jährigen zu sieben Monaten Haft, den jüngeren zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Für eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung bliebe angesichts des Vorstrafenregisters beider Angeklagten kein Raum, sagt sie im Rahmen der Urteilsbegründung. Sie habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Es sei eine „milieutypische Situation“ gewesen. „Der Rettungsdienst wurde gerufen, aber zu spät.“

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