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Landkreis Unterallgäu: Einsatz im Zweiten Weltkrieg gegen den Willen

Landkreis Unterallgäu

Einsatz im Zweiten Weltkrieg gegen den Willen

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    Männer, Frauen und sogar Kinder waren während des Zweiten Weltkriegs in der Baracke für Zwangsarbeiter am Memminger Riedbach untergebracht.
    Männer, Frauen und sogar Kinder waren während des Zweiten Weltkriegs in der Baracke für Zwangsarbeiter am Memminger Riedbach untergebracht. Foto: Stadtarchiv Memmingen

    Als Zwangsarbeiter waren während des Zweiten Weltkriegs insgesamt über 20.000 Frauen und Männer in Schwaben beschäftigt. Ihr Arbeitseinsatz wurde vom Memminger Kriegsgefangenenlager Stalag VII B aus organisiert. 75 Jahre nach Kriegsende befassen sich unter anderem der Historische Verein mit seinem Vorsitzenden, dem Stadtarchivar Christoph Engelhard , sowie der Verein „Stolpersteine in Memmingen “ mit seinem Vorsitzenden Helmut Wolfseher damit.

    Fast 4000 Zwangsarbeiter

    „Das ist ein schwieriges Thema – und auch ein Tabu-Thema“, sagt Engelhard . Es sei keine Kartei vorhanden, bei welchen Firmen genau welche Zwangsarbeiter während des Kriegs eingesetzt waren. Erst nach Kriegsende und dem Einzug der Amerikaner in Memmingen seien die Menschen registriert worden, die noch da waren. Die Rede ist von rund 4000 Personen für Stadt und Altlandkreis Memmingen .

    Da viele deutsche Männer im Kriegseinsatz waren, mussten die Zwangsarbeiter aus Ländern wie Italien , Belgien , Frankreich , den Niederlanden , Polen oder der Ukraine helfen, die heimische Industrieproduktion aufrecht zu halten – die wiederum oft Gegenstände für die Armee herstellte.

    So wie beispielsweise in Memmingen die Firmen Schultz und Rohde&Schwarz, die Zünder für U-Boote und Funkbeobachtungs-Empfänger bauten. Oder wie Hebel, die Betonfertigteile produzierte. Oder Unglehrt, die in den besetzten Gebieten Straßen errichtete. Oder Haußmann, die Kleidung herstellte.

    Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft

    Die meisten Zwangsarbeiter waren jedoch in der Landwirtschaft eingesetzt, einige Frauen auch als Haushaltshilfen. Quelle dafür ist das Buch „Geschichte der Stadt Memmingen “ von Paul Hoser , das dieser im Auftrag der Stadt im Jahr 2001 veröffentlichte.

    Untergebracht waren die meisten Zwangsarbeiter vor allem im Memminger Hasensaal, aber auch in Turnhallen sowie in eigens neben Firmen errichteten Baracken. Kriegsgefangene – vor allem Franzosen, aber auch Russen, Ukrainer, Polen, Serben und Italiener – waren im Stalag inhaftiert, dem Stammlager der Wehrmacht am Hühnerberg . Eingerichtet wurde es im Juli 1940. Die bestehenden Gebäude der früheren SA-Sportschule wurden zu einem Lazarett umgebaut, südlich davon entstanden Baracken für die gesunden Gefangenen.

    "Es wurde immer voller"

    Ausgelegt war das Stalag zunächst auf rund 1500 Insassen. „Es wurde aber immer voller“, berichtet Engelhard . Die Wehrmacht baute das Lager ständig aus. Stalag-Außenstellen für Zwangs- und Ostarbeiter gab es an vielen Orten, unter anderen auch in Niederrieden und in Boos .

    Das damalige Prozedere für die Zwangsarbeiter lief so ab: Firmen, Landwirte oder auch andere Personen aus dem gesamten Altkreis Memmingen konnten sich beim Arbeitsamt melden, das am Hühnerberg eine Außenstelle eingerichtet hatte, und Personal ordern. Morgens wurden die Zwangsarbeiter abgeholt, abends zurückgebracht. Manche übernachteten aber wohl auch vor Ort – natürlich kontrolliert.

    Erschreckende Schilderungen im Polizeiprotokoll

    In den Unterlagen der damaligen Zeit und konkret den Polizeiprotokollen finden sich erschreckende Schilderungen. So sei ein Zwangsarbeiter 1944 von einem Wachposten erschossen worden – wegen „Ungehorsam“. Unklar ist, wo der Mann unbekannter Nationalität getötet wurde. In den Baracken lebten aber nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Kinder – einige kamen wohl auch dort zur Welt. Die hygienische Lage sei „soweit unter Kontrolle“ gewesen, schreibt Hoser . So konnten im April 1942 auftretende Flecktyphusfälle auf das Areal beschränkt werden.

    Gasthaus zum Stern als beliebter Treffpunkt in Memmingen

    Im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen konnten sich die Zwangsarbeiter weitgehend frei bewegen. Beliebter Treffpunkt war das Gasthaus Zum Stern. Nachdem es dort jedoch zu „Verbrüderungsszenen“ zwischen verschiedenen Nationalitäten gekommen sein soll und die Polizei einen Aufstand befürchtete, wurde das Lokal im November 1943 geschlossen. Bereits im März waren sechs Ostarbeiter wegen „hochverräterischen Äußerungen“ und „vermutlicher Bildung einer Geheimorganisation“ festgenommen worden, so Hoser .

    Es gab aber offenbar auch fast freundschaftliche Kontakte zwischen den Fremdarbeitern und der deutschen Bevölkerung – was der NSDAP-Kreisleitung missfiel, aber auch von der Polizei nicht unterbunden werden konnte. Von „falschem Mitleid“ war die Rede. Seine Zulassung als Arzt verlor sogar der Memminger Mediziner Dr. Breher, der für die Betreuung der ausländischen Arbeiter zuständig war. Er sei bei seinen Beurteilungen „nicht streng genug“ gewesen.

    Lebensmittel wurden rationiert

    Die Versorgungssituation wurde auch in Memmingen seit dem Winter 1941/42 immer schwieriger, Lebensmittel wurden rationiert. Das bekamen auch die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen zu spüren. So verweigerten im April 1942 rund 60 in der Rüstungsindustrie eingesetzte russische Zwangsarbeiter im Barackenlager das nur aus Kartoffeln oder Kartoffelsuppe bestehende Abendessen. Daraufhin sei der Leiter der Schutzpolizei, Heindl, mit einem Polizeiaufgebot gekommen und habe die Arbeiter bedroht, schreibt Hoser in der „Geschichte der Stadt Memmingen “.

    Hinter den Zahlen und Schilderungen stecken Menschen und ihre Schicksale. Mögliche Zeitzeugen werden aufgrund ihres Alters immer weniger. Daher möchte der Historische Verein und der Verein Stolpersteine nun noch mit möglichst vielen ins Gespräch kommen. Beispielsweise bei einem „Erzähl-Cafe“. Einen konkreten Termin gibt es jedoch noch nicht. Zudem plant Helmut Wolfseher , am Stalag-Standort eine „Stolperschwelle“ zu verlegen.

    Nächste Versammlung des Historischen Vereins am 4. März

    Der Historische Verein widmet seine nächste Versammlung am 4. März ganz dem Thema NS-Diktatur und Weltkrieg. Schülerinnen und Schüler des Bernhard-Strigel-Gymnasiums werden um 20 Uhr im Antoniersaal auf ausgewählte Alltagsthemen blicken (Propaganda, Jugend und Frauen im Nationalsozialismus , Kriegsgefangene und Fremdarbeiter, Antisemitismus). Der Eintritt ist frei.

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