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Kunst in Mindelheim: Ein Wiedersehen mit Folgen

Kunst in Mindelheim

Ein Wiedersehen mit Folgen

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    Marianne Rossmaniths Bruder Winfried ist seit dem Krieg vermisst. Das Bild, das der Mindelheimer Maler Max Beringer von ihm gemacht hat, hat die Kaufbeurerin nun an Museumsleiter Markus Fischer übergeben.
    Marianne Rossmaniths Bruder Winfried ist seit dem Krieg vermisst. Das Bild, das der Mindelheimer Maler Max Beringer von ihm gemacht hat, hat die Kaufbeurerin nun an Museumsleiter Markus Fischer übergeben. Foto: home

    Stellen Sie sich vor, Sie gehen in eine Ausstellung und entdecken dort gleich mehrere Porträts, die Ihre Brüder zeigen. Genau das ist Marianne Rossmanith passiert. Die 87-Jährige hat die Schau über den Mindelheimer Maler Max Beringer besucht, in der auch Fotos ausgestellt sind, die der Künstler von seinen Bildern gemacht hat. Durch Zufall hat Heimatmuseumsleiter Markus Fischer gleich alle drei Schorer-Brüder dafür ausgewählt. Es sei ein schöner Moment gewesen, als sie Winfried, Max und Manfred in der Ausstellung entdeckt habe. „Ich bin ja mit denen aufgewachsen“, sagt Marianne Rossmanith, lächelt und ergänzt: „Mit den Brüdern und den Bildern.“ Und sie beginnt zu erzählen.

    Beringer kam, um die Familie zu malen

    Wir sind im Jahr 1941. Der Mindelheimer Maler Max Beringer ist zu Gast bei Familie Schorer in Dirlewang. Immer wieder kommt er vorbei, um die Familie auf der Leinwand festzuhalten. „Er war da und hat einen nach dem anderen gemalt“, erinnert sich Marianne Rossmanith. „Er war viel bei uns und hat sich gefreut auf ein gutes Essen.“ Beringer war kein Familienmensch, aber sie und ihre drei Brüder hätten an dem Künstler bewundert, „dass er so frei ist“. Vom Gemalt-Werden war jedoch keines der Kinder begeistert. Denn schließlich bedeutete das vor allem stundenlanges Stillsitzen. Nicht immer gelang es ihr und ihren Brüdern, erinnert sich die 87-Jährige. Und so gab es auch Tage, an denen Max Beringer seine jungen Modelle schimpfen musste.

    Viel lieber hätte die junge Marianne während dieser Zeichenstunden in ihrem Buch gelesen, doch den gesenkten Blick erlaubte der Maler nicht. Heute ist Marianne Rossmanith froh darum. Sie selbst als Mädchen mit rotem Kleid, hochgebundenen Zöpfen und der weißen Katze auf dem Schoß blickt bis heute aus ihrem Bilderrahmen auf jeden, der an der Sitzgruppe in ihrem Haus Platz nimmt. Nachdenklich und ernst sieht sie aus, die zwölfjährige Marianne.

    1941 malt Beringer neben den Einzelporträts auch die gesamte Familie. Der Vater, die Mutter, die drei Söhne und Marianne Rossmanith selbst – jedes Familienmitglied blickt auf dem gemeinsamen Bild in eine andere Richtung, ist wie in Gedanken versunken. „Wie wenn wir wüssten, was uns bevorsteht“, sagt Rossmanith heute, wenn sie das Bild betrachtet.

    „Wir sind sehr unbeschwert aufgewachsen“, erinnert sie sich an ihre Kindheit. „Die Mutter war immer lustig und vergnügt.“ Mit dem ersten Kriegstag erhält der Vater – ein bekannter Arzt aus Dirlewang – den Stellungsbefehl und wird eingezogen. „Dieser Kriegsverbrecher! Wie kann der einen Krieg anfangen?“, habe der Vater geschimpft, als er davon erfuhr, erzählt Marianne Rossmanith. Die Mutter wünscht sich etwas Bleibendes und so kommt es, dass Beringer im Jahr 1941 die Familie malt.

    Mariannes älterer Bruder Winfried Schorer ist 15 Jahre alt, als sein Porträt entsteht. Er besucht die Oberschule für Jungen in Mindelheim, ist einer der Sportlichsten seines Jahrgangs. Das eine Bein übers andere geschlagen, mit kurzer Hose und weißem Hemd, hat ihn Beringer mit einem Kampfflugzeug gemalt, einem üblichen Spielzeug dieser Zeit. Beringer stellt die Schorer-Kinder mit für sie typischen Requisiten dar – und Winfried baut und bastelt als Jugendlicher gern. Er ist ein nachdenklicher junger Mann. Kein lustiger Mensch, aber ein sehr guter Freund, erinnert sich Marianne Rossmanith. „Und die Mädchen sind ihm alle nach“, sagt sie und lacht. Winfried sei sehr interessiert gewesen an der Zeitgeschichte, ein Individualist, „sehr denkend und sehr selbstständig“.

    Winfried war kein Freund der Nazis

    Zwei Jahre später wird ihr Bruder eingezogen. Er kommt mit 17 Jahren zur vormilitärischen Ausbildung auf die Mindelburg. „Er hätte zur SS sollen, weil er groß und gesund war“, erinnert sich Rossmanith. Doch Winfried weigert sich. Es habe ihm nicht gefallen, jemandem dienen zu müssen, den er eigentlich ablehne, erklärt seine Schwester heute. Von da an wird Winfried von den Nazis drangsaliert.

    Er kommt zur schweren Flak, der Flugabwehrkanone, nach Berlin. Immer wieder denkt der junge Dirlewanger an Flucht, spricht auch mit Familie und Freunden darüber. Als die Truppe im März 1945 im Wald Russen aufspüren soll, wird abgezählt. „Am Ende des Waldes hat er gefehlt“, sagt Marianne Rossmanith. Ob ihr Bruder so kurz vor Kriegsende bei einem Fluchtversuch von der eigenen SS aufgegriffen wurde oder ob er den Russen in die Hände gefallen ist, bleibt ein Rätsel. Winfried Schorer gilt seit diesem Tag als vermisst.

    Das Bild, das Max Beringer vier Jahre zuvor von ihm gemalt hat, hing lange im Haus der Eltern. Als beide starben, bekam es Tochter Marianne. Nun hat die 87-Jährige das Gemälde den Mindelheimer Museen gespendet und Heimatmuseumsleiter Markus Fischer ist sich sicher, einen guten Platz dafür zu finden. „Ich freue mich, dass er nun gut aufgehoben ist“, sagt die 87-Jährige.

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