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Köngetried: Der Kirchturm von Köngetried: ein schiefer Sonderling

Köngetried

Der Kirchturm von Köngetried: ein schiefer Sonderling

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    Auch ohne ausgewiesenes Augenmaß ist leicht zu erkennen, dass der Köngetrieder Kirchturm Schieflage hat – und zwar gleich in zwei Richtungen.
    Auch ohne ausgewiesenes Augenmaß ist leicht zu erkennen, dass der Köngetrieder Kirchturm Schieflage hat – und zwar gleich in zwei Richtungen.

    Wenn es um bemerkenswerte Türme in der Region geht, führt am Kirchturm von Köngetried kein Weg vorbei. Ganz so schief wie der schiefe Turm von Pisa ist er zwar nicht, doch auch ohne ausgeprägtes Augenmaß ist sofort zu erkennen: Im Lot ist er ganz sicher nicht. Der „Mittelschwäbische Sonntagsbote“ von 1944, den Bürgermeisterin Karin Schmalholz neben einigen anderen Unterlagen im Archiv gefunden hat, bezeichnete ihn gar als „Sonderling unter den Türmen“ und als „hinkenden Riesen“, der „zu den merkwürdigsten Baudenkmälern unserer Heimat gehört“.

    Tatsächlich hängt der Turm laut Mesner Ludwig Blätz 1,10 Meter nach Norden und 80 Zentimeter nach Osten – was man auch deutlich merkt, wenn man erst über eine äußerst schmale, gemauerte Treppe und dann über steile hölzerne Stiegen zu den Glocken hinaufsteigt.

    Die doppelte Neigung ist allerdings nicht die einzige Besonderheit des Turms: Bei der Begehung fällt auf, dass für die beiden unteren Stockwerke des Turms Quadertuffsteine und große Flusskiesel, auch bekannt als „Bachkatzen“, verwendet wurden, in den Stockwerken darüber aber Ziegelsteine. Und die sind – wie schon im „Mittelschwäbischen Sonntagsboten“ zu lesen war – mit „eisenhartem Mörtel“ verbunden. Um welches Material es sich dabei handelt, sei bis heute nicht bekannt, sagt Ludwig Blätz. Fakt ist: Das Material ist so hart, dass es sich nicht entfernen lässt – wohl mit ein Grund dafür, dass von dem Turm 1862 nur zwölf Meter abgetragen wurden und nicht wie ursprünglich geplant und von Experten empfohlen rund die Hälfte, um den Turm zu stabilisieren.

    Anfangs stand der Kirchturm in Köngetried ohne Kirche da

    Der hatte früher statt des heutigen Helmdachs ein Satteldach und stand – auch das nicht ganz gewöhnlich – ursprünglich ohne Kirche da. Er dürfte ein Wachturm gewesen sein, den möglicherweise schon die Römer oder sogar die Kelten errichtet haben. Erst um 1330 kam dann die Stephanus-Kirche dazu. Die wehrhafte Vergangenheit ist immer noch sichtbar: Im ersten Stock sieht man noch den früheren Zugang, der so weit oben lag, weil er so leichter zu verteidigen war. Und auch die Schießscharten in diesem Bereich sind erhalten geblieben. In den Stockwerken darüber dienten die ebenfalls an Schießscharten erinnernden Einbuchtungen im bis zu 1,76 Meter dicken Mauerwerk jedoch nicht der Verteidigung, sondern als Auflage für das Baugerüst, erklärt Ludwig Blätz.

    Dass der heute inklusive Helmspitze rund 36 Meter hohe Turm trotz seiner stabilen Bauweise schon kurz nach der Erbauung in Schieflage geriet, liegt übrigens nicht an mangelhafter Baukunst – auch wenn das der Überlieferung nach damals sogar der Baumeister selbst geglaubt haben und sich aus Scham das Leben genommen haben soll. Tatsächlich liegt es am Aufbau des Untergrunds: Unter wasserdurchlässigem Schotter liegen sandige und lehmige Schichten, in denen sich das Regenwasser staut und die dazu neigen, zu rutschen. Das große Gewicht des Turms auf einer verhältnismäßig kleinen Grundfläche verstärkte diese Neigung, sodass der östliche Rand des Untergrunds um rund 27 Zentimeter den Hang hinabsackte – und sich der Kirchturm darüber langsam mitneigte.

    Der schiefe Turm von Köngetried ist nicht öffentlich zugänglich

    Um zu verhindern, dass er irgendwann das Gleichgewicht verliert, wurde er vor 16 Jahren grundlegend saniert: In das Fundament wurden 27 Meter tiefe Löcher gebohrt und diese mit Beton gefüllt. Eine zusätzliche 15 Zentimeter starke Spritzbetonschale rund um das unterste Stockwerk hat ebenfalls dazu beigetragen, den Turm zu stabilisieren. „Seither bewegt er sich nicht mehr“, sagt Ludwig Blätz, der den Turm und die angrenzende, im übrigen ebenfalls sehr sehenswerte Kirche wahrscheinlich so gut kennt wie kaum ein anderer. Immerhin ist der 68-Jährige hier seit 40 Jahren Mesner, zuvor haben das Amt schon sein Vater und sein Großvater ausgeübt, sodass er auf eine 101-jährige Familientradition zurückblicken kann. Und seiner Familie ist es auch zu verdanken, dass zumindest eine der großen Glocken im Turm den Zweiten Weltkrieg überdauert hat. Als nämlich die Glocken eingeschmolzen werden sollten, griffen der Großvater von Ludwig Blätz und der damalige Kirchenpfleger zu einer List: Sie schlugen eine der kleineren Glocken kaputt, zwei weitere wurden eingeschmolzen, aber eine der größeren durften die Köngetrieder behalten, damit sie nicht ganz aufs Geläut verzichten mussten.

    Besucher können die heute wieder vier Glocken lediglich hören, denn öffentlich zugänglich ist der schiefe Turm – anders als sein berühmter Verwandter in Pisa – nicht. Außer den Glocken und den beiden Nistkästen für die Turmfalken, die Ludwig Blätz hier oben aufgehängt hat, ist allerdings auch nicht viel zu sehen: Die Fenster sind mit Holzverschalungen verkleidet und verhindern jede Aussicht. Die würde nur eine Klappe oben im Dach ermöglichen – wenn man den mutig genug ist, durch den offenen Dachstuhl bis dort hinaufzuklettern. Aber am sehenswertesten ist der Turm ohnehin von außen, wo der „hinkende Riese“ zwischen den geraden Häusern am besten als solcher zu erkennen ist.

    Türme prägen nicht nur das Bild der Mindelheimer Altstadt, sondern sind auch in anderen Orten des Unterallgäus markante Wahrzeichen. Wir haben uns auf Spurensuche begeben. Wie sieht es in diesen Türmen aus? Wie werden sie genutzt, welche Geheimnisse können sie uns verraten? Weitere Teile unserer Serie lesen Sie hier:

    In diesem Turm hütet die Stadt einen Schatz

    Mindelheim: Zum Sterben durchs Obere Tor

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