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Kirchheim: So erlebt ein Pfleger den Corona-Ausbruch im Kirchheimer Seniorenheim

Kirchheim

So erlebt ein Pfleger den Corona-Ausbruch im Kirchheimer Seniorenheim

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    Viele Bewohner von Pflegeheimen sind wochenlang in Quarantäne. Eine angespannte Lage, auch weil es immer wieder zu personellen Engpässen kommt. Viel Arbeit bei vergleichsweise geringer Bezahlung – Corona wird für die Pfleger zum Kraftakt, der starke Nerven erfordert. Dieses Symbolbild entstand vor Corona.
    Viele Bewohner von Pflegeheimen sind wochenlang in Quarantäne. Eine angespannte Lage, auch weil es immer wieder zu personellen Engpässen kommt. Viel Arbeit bei vergleichsweise geringer Bezahlung – Corona wird für die Pfleger zum Kraftakt, der starke Nerven erfordert. Dieses Symbolbild entstand vor Corona. Foto: dpa

    So wie Johannes Fischer geht es vielen Pflegekräften. Sie fühlen sich von Politik und Teilen der Gesellschaft nicht beachtet. Arbeiten am Limit, überschaubare Bezahlung und jetzt noch Corona: Fischers Job ist kein leichter. Der 29-Jährige ist Pflegedienstleiter im Sozialzentrum Kirchheim. Dort, wo zuletzt sieben Bewohner infolge einer Infektion mit dem

    Sieben Bewohner des Kirchheimer Seniorenheims nach einer Corona-Infektion gestorben, Kritik an Querdenker

    Vor vier Wochen ist der erste Bewohner des Kirchheimer Sozialzentrums positiv getestet worden, in den Folgetagen kam es zum Ausbruch. Die ersten Bewohner starben, Angst machte sich unter den fast 60 Bewohnern in den sechs Wohngruppen und unter den etwa 60 Mitarbeitern breit. Fischer erzählt: „Freunde, mit denen die Senioren vor Kurzem noch gemeinsam am Mittagstisch gesessen haben, waren auf einmal nicht mehr da.“ Bei den schweren Verläufen seien die Betroffenen binnen 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome gestorben. Gerade die fitten Bewohner, die sich an Gruppenaktivitäten beteiligten und sich wohl dort angesteckt haben, seien gestorben. Fischer ist sich sicher: „Sie sind gestorben, weil sie infiziert waren.“

    Der Pflegedienstleiter hat an einem Samstagabend lange nach Feierabend eine Bewohnerin in ihren letzten Stunden begleitet. In dem Moment, als sie gestorben ist, habe er zuerst Erleichterung gespürt, danach jedoch Wut. Warum musste es überhaupt zu der Corona-Pandemie kommen? Das fragt sich Fischer oft. Die Querdenker-Bewegung könne er nicht verstehen. Vor allem, weil sie die Erfolge in der Pandemiebekämpfung kaputtmachten.

    Ein 96-Jähriger Bewohner hatte Symptome, ein anderer kämpft mit Langzeitschäden

    Obwohl Bewohner von Seniorenheimen zur Risikogruppe gehören, haben im Kirchheimer Sozialzentrums ein paar von ihnen die Infektion scheinbar unbeschadet überstanden. „Unser ältester Bewohner ohne Symptome ist 96 Jahre alt.“ Einige Bewohner haben allerdings mit Folgeschäden zu kämpfen, sagt Fischer. Etwa ein Senior, der sich vor Corona selbst versorgen konnte und täglich Klavier spielte. „Seit Covid hat er mental so abgebaut, dass er nur noch im Bett liegt und kaum noch ansprechbar ist.“

    Die Bewohner des Pflegeheims waren im Einzelzimmer wochenlang in Isolation – erst die der betroffenen Wohngruppen, später alle. Fischer vergleicht die Situation mit der in einem Gefängnis. „Viele haben kein Fernsehen, wissen nicht, wie sie telefonieren können.“ Bis vergangene Woche durften sie sich nicht auf den Gängen aufhalten. Die meisten Bewohner haben Verständnis für die strikten Maßnahmen, sagt der Pflegedienstleiter. „Ich bewundere, wie sie alles tolerieren.“

    „Wir konnten den Tag wieder etwas lebenswerter gestalten“

    Er und seine Kollegen sind mit Heimbewohnern zum ersten Mal nach Wochen in den Garten gegangen. Das Strahlen in ihrem Gesicht sei unbezahlbar, sagt Fischer. „Wir konnten den Tag wieder etwas lebenswerter gestalten.“

    Johannes Fischer
    Johannes Fischer Foto: Sozialzentrum Kirchheim

    Angehörige durften die Bewohner seit Wochen nicht besuchen. Ministerpräsident Markus Söder hatte angekündigt, Schnelltests den Pflegeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen. In Kirchheim sind bisher nur 150 Schnelltests eingetroffen. Die braucht das Heim, um Bewohner oder Mitarbeiter bei auftretenden Symptomen zu testen. Die Kapazität reiche noch nicht aus, um Angehörige kurz vor einem Besuch zu testen, sagt Fischer. Die Pfleger kümmern sich um die Bewohner, nehmen sich Zeit für sie. Zeit, die eigentlich nicht vorhanden ist.

    Herzerwärmende Erlebnisse wie der Garten-Spaziergang in der Sonne sind wichtig für die Motivation der Pfleger bei ihrer Arbeit. „Der Job gibt einem immer etwas zurück. Wir sind glücklich, wenn wir den Bewohnern ein Lächeln ins Gesicht zaubern können“, sagt Johannes Fischer.

    Forderung nach besserer Bezahlung in Pflegeberufen

    Zum Thema Dankbarkeit spricht der Kirchheimer Pflegedienstleiter das aus, was viele Mitarbeiter in der Branche denken: „Bessere Wertschätzung geht in erster Linie über die Bezahlung.“ Geld sei aber nicht alles. Es gebe Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber den Pflegenden. „Denjenigen würde ein Tag Praktikum in der Pflege nicht schaden“, sagt Fischer.

    Manche Pflegekräfte begeben sich während der Arbeit sogar in Gefahr, etwa wenn sie selbst Risikopatienten sind. Eine Mitarbeiterin des Kirchheimer Sozialzentrums lag nach ihrer Corona-Infektion eine Woche im Krankenhaus auf der Intensivstation. Weitere infizierte Mitarbeiter sind wegen Folgeerkrankungen seit Wochen krankgeschrieben. „Sie haben zur Zeit einfach die Kraft nicht“, sagt Fischer.

    Viele Überstunden: Pflegenotstand in Deutschland und seine Folgen

    Andere Pfleger mussten einspringen, häuften Überstunden an. Manche Hilfskräfte auf 450-Euro-Basis haben eine Woche lang am Stück gearbeitet. Personelle Engpässe habe es schon vor der Pandemie gegeben, sagt Fischer, aber „Corona hat alles komprimiert.“

    Über 100.000 Pflegekräfte fehlen laut Gesundheitsexperten bundesweit. „Ich habe 2011 angefangen, schon damals hieß es, es gebe einen Pflegenotstand. Irgendwann kommen die Babyboomer in die Seniorenheime.“ Er habe die Hoffnung, dass die Pflege in Zukunft besser bezahlt wird und so die Attraktivität des Berufes steigt. An manchen Tagen versorgen in Kirchheim morgens fünf Pfleger etwa 60 Bewohner: waschen, Blutdruck messen, Medikamente geben, Frühstück bringen – und vor allem zuhören.

    Staatliche Bonuszahlungen müssen meist versteuert werden

    Bisher gab es eine einmalige Bonuszahlung in Höhe von 500 Euro vom Freistaat Bayern, 300 Euro für Teilzeit-Pflegekräfte. Weitere Boni bis maximal 1500 Euro kommen vom Bund. Aber: Ab 1500 Euro müssen die Pfleger die Zahlungen versteuern. Für Fischer sei nicht nachvollziehbar, warum es hier keine Sonderregelung gibt.

    Der 29-Jährige hält nicht viel davon, wenn Leute für ihn klatschen. Nur kurzfristig seien Pfleger im Blickpunkt gestanden. Ein Trend, von dem man sich nichts kaufen konnte, sagt Fischer. „Es macht nur wütend. Bei uns wird geklatscht und in börsennotierte Firmen steckt der Staat Milliarden an Steuergelder.“

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