Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland schätzungsweise 2,2 Millionen Polen als Zwangsarbeiter festgehalten. Viele Zeitzeugen leben heute nicht mehr – sowohl Opfer als auch diejenigen, die sie beschäftigt haben. Umso wertvoller ist der historische Schatz, den Karl Gom aus Katzenhirn bei Mindelheim bewahrt. Er archiviert Fotos und Dokumente, über jene Zeit, als auf dem großelterlichen Hof Zwangsarbeiter lebten. In den 90er Jahren bekam Gom überraschend Post aus
Sein Haus gleiche einem Heimatmuseum, witzelt der 57-Jährige gleich zur Begrüßung. „Ich hänge am Alten und kann nichts wegschmeißen.“ Der gebürtige Mindelheimer schlägt das Fotoalbum seiner verstorbenen Mutter auf, zeigt Bilder von früher. Eindrucksvoll ist zu sehen, wie im Zweiten Weltkrieg in und um Mindelheim gelebt worden ist. Die Erbauung des Elternhauses geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Es ist noch vieles von damals erhalten.
Die polnischen Zwangsarbeiter wurden in Katzenhirn offenbar gut behandelt
Auf Dutzenden Fotos sind die besagten polnischen Zwangsarbeiter zu sehen – und sie lächeln fast immer in die Kamera. „Mein Großvater hat sie immer gut behandelt, er war großzügig“, weiß Gom aus Erzählungen. Historischen Berichten ist zu entnehmen, dass das auf Allgäuer Höfen nicht der Normalfall gewesen sein soll.
Gom zeigt den Arbeitsvertrag der Zwangsarbeiter, es ist ein Vordruck der Nationalsozialisten. Die Überschrift lautet: „Arbeitsvertrag für polnische landwirtschaftliche Arbeiter (Gesinde).“ Penibel ist aufgelistet, was die Zwangsarbeiter durften und was nicht. Im Grunde wurden ihnen keine besonderen Freiheiten gewährt. Weiter heißt es: „Jeder deutsche Betriebsführer hat sich stets bewußt zu sein, daß die ihm unterstellten Zivilarbeiter polnischen Volkstums Angehörige eines Feindstaates sind.“
Zur Rechenschaft sollen laut Vertrag diejenigen gezogen worden sein, die für die „Zivilarbeiter“ Geld oder Bekleidungsstücke sammelten, Briefe vermittelten oder Fahrkarten kauften. Selbst das Besuchen einer den Polen offenstehenden Gaststätte während deren Anwesenheit wurde bestraft.
Auf dem Bauernhof gab es immer etwas zu tun
Auch wenn Goms Vorfahren die Nazi-Auflagen immer wieder torpedierten, bei der Arbeit war dennoch Fleiß und Schweiß gefragt: Auf dem kleinen Bauernhof gab es im Stall mit etwa zwölf Milchkühen, einigen Ochsen und anderem Kleinvieh immer etwas zu tun. „So kleine Höfe gibt es ja heute gar nicht mehr.“
Die Zwangsarbeiter wurden nicht nur am Bauernhof eingesetzt: „Mein Opa war Viehhändler, kaufte im Winter die Ochsen in der Region, die auf den Feldern arbeiteten und verkaufte sie im Frühjahr wieder.“ Auch in den Wäldern mussten die Zwangsarbeiter bei Forstarbeiten helfen. Aber dennoch: Besonders schlecht ist es ihnen in Katzenhirn wahrscheinlich nicht gegangen.
Gom kramt einen handgeschriebenen Brief aus seinem Archiv, einen aus Polen, datiert auf das Jahr 1990. Im etwas holprigen, aber sehr schön leserlichen Deutsch schrieb ein nach dem Krieg zurück in seine Heimat gegangenes Zwangsarbeiter-Paar, ob noch Arbeitsnachweise am Unterallgäuer Hof existieren. Diese hat das Ehepaar für ihren Rentenanspruch gebraucht.
Es gibt sogar Versicherungsbelege für die Zwangsarbeiter
Gom erzählt, wie er die historischen Unterlagen zusammentrug und sich auf die Suche nach den fehlenden Puzzlestücken machte. „Zuerst fragte ich beim Bürgermeister nach, dann bei der Krankenkasse“, erklärt er. Letztere übermittelte ihm Versicherungsbelege aus den Jahren 1939 bis 1945. Zwangsarbeiter waren also sozialversichert – zumindest die auf jenem Bauernhof bei Mindelheim.
Karl Gom übermittelte die Daten nach Polen und erhielt daraufhin einen ausführlichen Dankesbrief zurück. Darin schreiben die Ex-Zwangsarbeiter über ihre positiven Erinnerungen im Allgäu. Sie haben sogar im Juli vor 75 Jahren in Katzenhirn geheiratet. Eine große Feier müsse es gewesen sein, erzählt Gom. Deutsche lagen sich mit Ausländern in den Armen. „Drei Tage wurde durchgetanzt.“
Heute hat Gom keinen Kontakt mehr zu den polnischen Zwangsarbeitern. Er weiß auch nicht, ob sie noch leben. Sie müssten heute 95 und 99 Jahre alt sein. Auch zu ihren Nachfahren besteht kein Kontakt. Umso wichtiger, sagt Gom, sei, dass der Briefwechsel und die Unterlagen als zeitgeschichtliches Erbe erhalten bleiben.