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Justiz: Ein Unfall, der alles ändert

Justiz

Ein Unfall, der alles ändert

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    Bei diesem Bahnunfall in Breitenbrunn wurde eine Frau Ende 2015 schwer verletzt. Sie musste sich jetzt vor Gericht verantworten.
    Bei diesem Bahnunfall in Breitenbrunn wurde eine Frau Ende 2015 schwer verletzt. Sie musste sich jetzt vor Gericht verantworten. Foto: dpa

    Es gibt in der Rechtssprechung den Begriff „Augenblicksversagen“. Das klingt ziemlich nüchtern auf dem Papier, ist es im echten Leben aber selten. Wie drastisch die Folgen eines solch kurzen Moments der Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr sein können, wurde kürzlich vor dem Amtsgericht Memmingen deutlich. Auf der Anklagebank saß die Fahrerin, deren Bus im November 2015 an einem unbeschrankten Bahnübergang bei Breitenbrunn mit einer Regionalbahn zusammengestoßen war. Vier Menschen wurden verletzt, sie selbst dabei am schwersten.

    Es war an einem Freitagabend gegen 18.20 Uhr: Die Busfahrerin und ihr einziger Fahrgast waren von der B 16 kommend in Richtung Breitenbrunn unterwegs, von links näherte sich die Regionalbahn aus Mindelheim, ebenfalls mit nur wenigen Fahrgästen besetzt. Kurz nach dem Breitenbrunner Ortsschild krachte es: Die vordere, linke Seite des Busses – dort, wo die Angeklagte saß – prallte gegen die rechte Seite des einfahrenden Zuges.

    Die 61-Jährige war im Bus eingeklemmt

    Ein Gutachten ergab, dass der Zug mit etwa 21 Kilometern in der Stunde unterwegs war und der Bus 37 km/h schnell fuhr. Den Zug hatte es durch den Aufprall dennoch regelrecht vom Gleis geschoben. Der Sachschaden war entsprechend hoch: knapp 114000 Euro am Bus und etwa 435000 Euro am Triebwagen, wie die Anklageschrift aufführte. Den Zugführer schleuderte es durch den Aufprall vom Fahrersitz, der Businsasse und ein Fahrgast im Zug wurden ebenfalls verletzt. Die 61-jährige Busfahrerin war eingeklemmt und musste von der Feuerwehr befreit werden.

    Dies war nicht der erste Unfall an dieser Stelle. Gerade abends, wenn es dunkel ist und die Häuser und Straßen beleuchtet sind, ist der langsam fahrende Zug kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Nach zähen Verhandlungen hat Breitenbrunns Bürgermeister Jürgen Tempel vor gut einem Jahr die Zusage von der Bahn bekommen, dass bis zum Jahr 2020 eine Schranke an dem Übergang in der Bahnhofstraße angebracht wird.

    Der Lokführer muss auf dieser Strecke an bestimmten Stellen ein Pfeifsignal setzen – ob er das an diesem Freitag im November wirklich getan hatte oder nicht, ließ sich vor Gericht nicht mehr klären. Ein als Zeuge geladener Polizist, der nach dem Unfall vor Ort war, schilderte, dass sich keiner der Fahrgäste bewusst an den Pfeifton des Zuges erinnern konnte. Der Lokführer selbst hatte angegeben, sich an die Pfeiftafeln gehalten zu haben. Zwar hatte die Polizei eine Art „Blackbox“ des Zuges ausgewertet, jedoch zeichnete dieses Modell keine Pfeifsignale auf, wie der Polizist erklärte. Auch er bestätigte, dass es schon Unfälle an dem Bahnübergang gegeben hatte.

    Die Frau entschuldigte sich bei den anderen Beteiligten

    Vom genauen Unfallhergang weiß die Busfahrerin bis heute ebenso wenig wie über den Grund für ihr vorangegangenes Augenblicksversagen. Ihre Erinnerungen setzten erst einige Tage später wieder ein, sagte Verteidiger Matthias Egger, der die Erklärung seiner Mandantin verlas. Sie bedaure den Unfall sehr und möchte sich entschuldigen, vor allem bei den anderen Verletzten.

    Ihr eigenes Leben steht seit diesem Abend Kopf: Die Frau hat mehrere Operationen und Klinikaufenthalte hinter sich, sie geht mit Krücken und kann nicht arbeiten. Zu den schweren körperlichen Verletzungen, unter anderem Brüche an Oberschenkelhals, Wadenbein und im Gesicht, kamen heftige psychische Beschwerden. Bis heute ist die 61-Jährige deshalb in Behandlung. Im Schreiben ihres Therapeuten ist von der „schlimmsten Episode ihres Lebens“ die Rede. Seit 2009 war sie als Fahrerin für das Busunternehmen unterwegs – bislang sehr zuverlässig, wie die Firma bestätigte. Weder im Fahreignungs- noch im Bundeszentralregister gibt es Eintragungen über die 61-Jährige.

    „Mir tut es unendlich leid“, sagte die Angeklagte und entschuldigte sich nochmals. „Das war mit Sicherheit keine Absicht.“ Richter Dieter Klotz sprach die 61-Jährige wegen fahrlässiger Körperverletzungen in drei Fällen schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 20 Euro. Die 61-Jährige muss zudem ihren Führerschein für zwei Monate abgeben. „Sie ist sicherlich keine Raserin, sondern hat schlichtweg den Zug übersehen“, urteilte Klotz. Er nahm „in dubio pro reo“, im Zweifel für die Angeklagte, an, dass es kein Pfeifsignal des Zuges gegeben hatte. Für sie wertete er zudem, dass sie massive eigene Verletzungen davongetragen hatte und dass die anderen Beteiligten nicht ganz so schwer verletzt wurden. Allerdings sei der Sachschaden enorm gewesen.

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