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Interview: Kultur in der Krise: Star-Geigerin Julia Fischer ärgert sich über Politik

Interview

Kultur in der Krise: Star-Geigerin Julia Fischer ärgert sich über Politik

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    Die Corona-Krise ist auch eine Kultur-Krise: Es wird vermutlich noch länger dauern, bis bei Konzerten und Veranstaltungen Normalität einkehrt. Die Münchner Geigerin Julia Fischer darf wieder auftreten. Auch genießt sie gegenüber manch anderem Musiker ein Privileg, wie sie im Interview mit unserer Redaktion erzählt.
    Die Corona-Krise ist auch eine Kultur-Krise: Es wird vermutlich noch länger dauern, bis bei Konzerten und Veranstaltungen Normalität einkehrt. Die Münchner Geigerin Julia Fischer darf wieder auftreten. Auch genießt sie gegenüber manch anderem Musiker ein Privileg, wie sie im Interview mit unserer Redaktion erzählt. Foto: Uwe Arens

    Frau Fischer, mit 13 Jahren standen Sie zum ersten Mal beim Festival der Nationen in Bad Wörishofen auf der Bühne, gefolgt von weiteren Auftritten. Heuer spielen Sie das Eröffnungskonzert. Ist es für Sie wie nach Hause zu kommen?

    Julia Fischer: Es ist immer schön, wenn man an einen vertrauten Ort zurückkehrt. Vor fast 25 Jahren war ich das erste Mal in der Kneippstadt. Mittlerweile gibt es viele Orte auf der ganzen Welt, in denen ich regelmäßig spiele. Nach Bad Wörishofen komme ich sehr gerne.

    Normalerweise sind sie ständig weltweit auf Tour. Die Corona-Krise hat Ihnen wie vielen anderen Musikern einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Normale“ Arbeitnehmer sind ins Homeoffice gegangen. Bei Musikern ist das nicht ganz so einfach, oder?

    Julia Fischer: Ich bin Mutter von zwei Kindern. Damit waren die ersten drei Monate im Lockdown ausgefüllt (lacht). Für mich war es Glück im Unglück, dass alle Konzerte ausgefallen sind. So konnte ich mich um meine Kinder kümmern, während die Schule ausgefallen ist. Es gibt zwei Sichtweisen: Für Freischaffende ist die Corona-Krise eine totale Katastrophe. Andere wie ich sind angestellt.

    Sie unterrichten als Professorin an der Hochschule für Musik und Theater in München. Wie läuft ein Musikstudium in diesen Zeiten ab?

    Julia Fischer: Ich habe meine Studenten am Anfang online über die Webcam unterrichtet, ab Mai konnten wir ganz normal wie immer unterrichten – allerdings mit Abstand. Ich selbst habe mich ein wenig gefreut, dass etwas Ruhe in den sonst stressigen Alltag eingekehrt ist. Man hat Zeit für sich, kann mehr üben und das Repertoire erweitern.

    "Man ärgert sich extrem, welchen Stellenwert die Kultur zu haben scheint"

    Viele Musiker, Künstler und Mitarbeiter der Veranstaltungsbranche fühlen sich von der Politik im Stich gelassen ...

    Julia Fischer: Man ärgert sich extrem, welchen Stellenwert die Kultur für die Politik zu haben scheint. Ich ärgere mich nicht nur als Musikerin, sondern auch als Mutter: Mir kommt es so vor, als sind Schule und Kultur die Themen, worüber als letztes diskutiert wird. Ich freue mich, dass wir Musiker jetzt wieder öffentlich auftreten können, genauso freue ich mich, dass meine Kinder wieder in die Schule gehen können. Hoffentlich bleibt das möglichst lange so.

    Wie haben Sie in den vergangenen Monaten den Kontakt zu Ihren Fans und Ihrem Publikum gehalten?

    Julia Fischer: Ich habe Ende März ein Konzert bei der Bayerischen Staatsoper gegeben, das per Livestream übertragen worden ist. Und ich habe zusammen mit dreizehn Violin-Freunden die Chaconne von Johann Sebastian Bach aufgenommen und auf YouTube gestellt. Jeder von uns hat einen Teil interpretiert und wir haben es als Einheit zusammengeschnitten. Das Video ist gut angekommen.

    Kindern soll ein soziales Gefüge gegeben werden

    Sie legen bekanntermaßen großen Wert auf die musikalische Förderung von Kindern. Inwiefern ist es gerade in Zeiten von Social Distancing wichtig, den Jüngsten einen Zugang zur Musik zu geben?

    Julia Fischer: Musikalische Früherziehung und Social Distancing schließen sich ja nicht aus. Ich leite mit Freunden das Kinderorchester Kindersinfoniker. Auch wir konnten wochenlang nicht proben. Sobald Musiker wieder in einem Raum erlaubt waren, haben wir sofort damit angefangen. Wir haben glücklicherweise keine Bläser, sondern wir sind ein reines Streichorchester. Für mich ist in dieser Zeit, wo so viele Angebote ausfallen, die erste Priorität, dass den Kindern wieder ein soziales Gefüge gegeben wird. Ich hätte kein Problem damit, wenn ich das ganze kommende Jahr kein Konzert spielen dürfte, wenn dafür den Kindern ein Zugang zur Kultur ermöglicht wird. Der ist ganz wichtig. Es ist ja nicht wie beim Fußball, wo man direkten Körperkontakt hat, jedes Kind sitzt an seinem Platz.

    Also ist jetzt wieder ein Stück weit Normalität eingekehrt?

    Julia Fischer: Wir haben, anders als sonst, zweimal in der Woche geprobt, damit die Kinder mehr zu tun bekommen und wieder stärker gefördert werden. Wir haben das gemeinsame Musizieren nach dem Lockdown extrem genossen, die Kinder waren glücklich. Wir hätten eigentlich im Juli Konzerte gehabt, die machen wir im Oktober. Wir schreiben gerade Hygiene-Konzepte rauf und runter, damit die Konzerte stattfinden können. Weil wir fast 40 Kinder haben, müssen wir das Orchester teilen, damit nicht alle gleichzeitig auf der Bühne stehen.

    Julia Fischer spielt Eröffnungskonzert des Festivals der Nationen in Bad Wörishofen

    Ist es für Sie als Solistin auf der Bühne ungewohnt, wenn die Abstände im Orchester größer sind oder wenn sich im Publikum Lücken auftun?

    Julia Fischer: Ich bin, was diese Dinge anbelangt, sehr schmerzfrei. Klar, es ist am Anfang komisch und wir hören uns nicht so gut. Aber so wie wir uns an Konzertsäle mit unterschiedlicher Akustik gewöhnen, werden wir uns genauso mit dieser Situation arrangieren. Wenn das Weiterauseinandersitzen dazu führt, dass wieder Kulturveranstaltungen stattfinden dürfen, machen wir das liebend gerne. Wir müssen das Wesentliche voranstellen.

    Am Freitag spielen Sie das Eröffnungskonzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Warum haben Sie sich die Romanze F-Dur von Ludwig van Beethoven ausgesucht?

    Julia Fischer: Eigentlich hätte ich das Mendelsohn-Violinkonzert spielen sollen, das geht nicht, weil zu viele Orchestermusiker auf der Bühne sein würden. Und das Konzert würde zu lange dauern, wir dürfen ja keine Pause machen. Die Beethoven-Romanzen werden recht selten gespielt und ich freue mich, wenn ich sie wieder spielen kann. Als Kind habe ich sie sehr oft gespielt, zuletzt eigentlich nicht mehr. Außerdem spielen wir das Bach Doppelkonzert, das war schon vor Corona auf dem Programm. Mein Schüler Louis Vandory, ein außergewöhnlicher Musiker, wird mein Duo-Partner sein.

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    Die Corona-Krise trifft Musiker aller Sparten. In unserem Podcast "Augsburg, meine Stadt" haben wir unter anderem darüber mit der Augsburger Band John Garner gesprochen.

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