Herr Kaplan, seit Wochen überschlagen sich die Ereignisse. In den überregionalen Corona-Nachrichten folgt gefühlt auf jede eher positive Nachricht prompt eine eher negative, etwa dass die britische, hoch ansteckende Mutation auf dem Vormarsch ist. Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Gefühlswelt: Ist sie von Hoffnung geprägt, von Sorge, gar Angst?
Dr. Max Kaplan: Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch. Mein Grundgefühl unterscheidet sich wahrscheinlich nicht von dem meiner Mitbürger. Bei uns allen besteht im Moment eine große Verunsicherung. Aber die Impfungen geben uns eine hoffnungsvolle Perspektive. Ich denke, dass wir bis zum Spätsommer die Situation einigermaßen im Griff haben und wieder halbwegs ein normales Leben führen können. Vorausgesetzt wir alle befolgen die Regeln zur Kontaktbeschränkung und zur Hygiene weiterhin. Auch ist es wichtig, dass wir möglichst schnell genügend Impfstoff haben und sich viele impfen lassen.
Wo sehen Sie neben den geringen Impfstoff-Liefermengen noch Nachholbedarf?
Kaplan: Wir hatten bei Corona-Patienten verschiedene Medikamente ausprobiert, aber diese waren nicht so erfolgreich, wie wir erhofft hatten. Jetzt hat Gesundheitsminister Jens Spahn 200.000 Dosen eines Antikörper-Medikaments eingekauft, das man besonders gefährdeten Patienten gleich zu Beginn einer Erkrankung geben kann. Donald Trump erhielt übrigens auch dieses Medikament. Die Möglichkeiten, eine Covid-19-Erkrankung zu therapieren, sind bisher leider gering. Umso wichtiger ist neben mehr Impfstoff die Prävention.
Pflegeeinrichtungen im Unterallgäu standen zuletzt immer wieder in den Schlagzeilen.
Kaplan: Aktuell haben wir im Landkreis sieben Pflegeheime mit Corona-Fällen, von ihnen sind nicht alle gleich stark betroffen. Wir müssen die sogenannten vulnerablen Gruppen noch besser schützen und machen das auch. Ein wichtiger Punkt ist, dass Mitarbeiter und Bewohner bei Kontakt zu anderen FFP2-Masken tragen. Das ist nicht immer leicht umzusetzen, aber realisierbar. Nach der neuesten Verordnung müssen dreimal pro Woche die Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen getestet werden, zweimal mit einem Schnelltest und einmal mit einem PCR-Test. Ebenso müssen alle Besucher einen Schnelltest machen.
Schätzungsweise 30 Prozent der Unterallgäuer Pfleger wollen sich aktuell noch nicht impfen lassen. Wird das langfristig zum Problem?
Kaplan: Wir müssen noch intensiver über den Impfstoff und seine Wirkungsweise und möglichen Nebenwirkungen aufklären und dann den Pflegekräften ein niederschwelliges Impfangebot machen. Mittlerweile stellen wir fest, dass die Impfbereitschaft bei den Mitarbeitern in Kliniken, Praxen und Heimen zunimmt. Ich bin hier optimistisch, dass die Zeit das Problem lösen wird.
Wie viele Bürger im Mindelheimer Einzugsgebiet haben sich schon impfen lassen? Sind wir im Zeitplan?
Kaplan: Vergangenen Freitag haben wir das Impfzentrum in Bad Wörishofen eröffnet. Seitdem können wir mit über 80-Jährigen, die nicht in Pflegeheimen wohnen, Termine vereinbaren. Aber noch nicht in dem Umfang, wie wir es uns wünschen, weil der Impfstoffhersteller bekanntermaßen die Lieferung deutlich reduziert hat. Zusammen mit den mobilen Impfteams haben wir vom Impfzentrum Bad Wörishofen aus 2500 Bürger erstgeimpft und 670 haben die zweite Dosis erhalten. Problematisch ist, dass wir oft nicht wissen, wie viele Dosen wir geliefert bekommen. Wir planen von einer Lieferung zur nächsten. Seit Kurzem immerhin für eine Woche. Es ist nicht immer sicher, dass auch die bestellte Menge kommt. Fällt sie geringer aus, müssen wir Termine absagen. Fällt sie größer aus, müssen wir den Impfstoff zeitnah impfen. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Impfstoff das Tiefkühl-Zentrallager in Augsburg verlässt, tickt die Uhr.
Die Verfallszeit des Impfstoffs ist dann 120 Stunden. Was passiert, wenn Impfstoff kurz vor dem Ablauf übrig bleibt?
Kaplan: Dann nehmen wir zuerst mit Personen aus der höchsten Priorisierungsstufe Kontakt auf, zum Beispiel mit Mitarbeitern des Rettungsdiensts, Pflegepersonen oder Beschäftigten in Arztpraxen. Wenn ein Fläschchen angebrochen und der Impfstoff aufgelöst ist, haben wir hierfür nur noch sechs Stunden Zeit. Bevor wir übrige Impfdosen verwerfen, kommen spontan auch andere Personengruppen, die gelistet sind, zum Zug. Es wäre eine nicht zu verantwortende Ressourcenverschwendung, übrige Impfdosen einfach verfallen zu lassen.
Auf absehbare Zeit ist vorgesehen, dass auch Hausärzte in ihren Praxen impfen. Aber da haben wir im Unterallgäu ja gerade einen Ärztemangel.
Kaplan: Wir werden erst dann eine sogenannte Herdenimmunität erzielen können, wenn wir flächendeckend in den Arztpraxen impfen. Bei den Hausärzten sind wir landkreisweit im Durchschnitt unterversorgt und das macht mir große Sorgen. Die Planungsregion Mindelheim stand bisher mit einem Versorgungsgrad von 102 Prozent gut da, aber vor Kurzem hat eine Praxis mit zwei Kollegen aufgehört. Noch sind keine Nachfolger gefunden. In der Planungsregion Mindelheim sind 45 Prozent der Hausärzte 60 Jahre und älter. Wir müssen uns unabhängig der Pandemie bemühen, die ärztliche Versorgung für die Zukunft sicher zu stellen. Zusammen mit der Stadt Memmingen und dem Unterallgäu benötigen wir in den nächsten fünf Jahren gut zehn bis 15 weitere Hausärzte.
Lesen Sie auch:
- Warum viele Pfleger im Unterallgäu noch nicht geimpft werden wollen
- So arbeitet das Corona-Impfzentrum in Bad Wörishofen
- Eröffnung geplatzt: Impfzentrum Unterallgäu erhält keine Lieferung