Genau 15.532 Katholiken im Bistum Augsburg sind im letzten Jahr aus der Kirche ausgetreten. Was hat sie nach Ihrer Meinung falsch gemacht? Und wie kann man solchen Herausforderungen begegnen?
Bertram Meier: Die hohe Austrittszahl hat mich sehr betroffen gemacht. Für den Schritt, die Kirche zu verlassen, gibt es verschiedene Gründe, Darüber pauschal zu urteilen geht nicht. Die Antwort der Kirche muss sein, den Menschen wieder näher zu kommen, sie zu begleiten, auch wenn ihre Lebensgeschichten Brüche aufweisen. Für Gott gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Das müssen wir den Leuten nicht nur vom Kopf her nahe bringen, sondern auch durch unser glaubwürdiges Zeugnis.
Was muss Ihrer Meinung nach Papst Franziskus tun, um die katholische Kirche zukunftsfähig zu machen?
Meier: Vom Papst allein hängt die Kirche nicht ab, aber seine Stimme ist eine besondere. Franziskus hält besonders die Gottesfrage wach. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Der Papst beschäftigt sich nicht mit Kleinigkeiten, vielmehr geht es ihm darum den Menschen Gott anzubieten. Die Frage nach Gott treibt viele Menschen um, ob es ihnen bewusst ist oder auch nicht. Ihnen überzeugende Antworten anzubieten, ist Auftrag für diese Zeit.
Bad Wörishofen feiert im nächsten Jahr den 200. Geburtstag von Pfarrer Sebastian Kneipp. Was halten Sie von der Lehre des naturheilkundigen Seelsorgers?
Meier: Ich habe noch nie eine Kneippkur gemacht, finde aber der Kneipp‘sche Ordnungsgedanke ist aktueller denn je. In einer Zeit, in der wir Gefahr laufen, die Mitte zu verlieren, weil wir beim Multitasking mit so vielem gleichzeitig beschäftigt sind, ist es gut um eine Lebensordnung zu wissen.
Bischof Meier will Frauen mit verantwortungsvollen Aufgaben betrauen
Sie sind genau vier Monate als Diözesanbischof im Amt. Welche Impulse haben Sie bisher gegeben?
Meier: Mir ging es vor allem darum, das Bistum in die Weite und Tiefe zu führen. In einer Predigt habe ich für die Priester und Diakone zwei Schwerpunkte formuliert. Die Zeit ist wichtiger als der Raum. Und: Evangelisierung muss der Sakramentalisierung vorausgehen. Wichtig ist mir auch, kompetente Frauen mit verantwortungsvollen Aufgaben zu betrauen. So werden wir mehr und mehr zu einer geschwisterlichen Kirche.
In der Diözese und auch im Dekanat Mindelheim sind Sie ja kein Unbekannter. Bei ihrer Ernennung zum Bischof haben Sie geschwärmt: „Hirte und Herde sind aus einem Stall“. Deshalb die Frage: Wie würden Sie das Dekanat Mindelheim und seine Besonderheiten beschreiben?
Meier: Mindelheim ist ländlich geprägt und ein echt katholisches Dekanat mit internationalem Klerus, vielen Wallfahrtsorten und auch Ordensgemeinschaften, die noch immer präsent sind.
Seelsorge in Corona-Zeiten ist sicher nicht einfach. Was raten Sie Priestern, Diakonen und hauptamtlichen pastoralen Mitarbeitern?
Meier: Ich bitte meine Mitarbeiter, ihre kreative Ader spielen zu lassen. Gerade in Corona-Zeiten, in denen der Kirche so manche gewohnten Wege versperrt sind, geht es darum bei der Verkündigung des Evangeliums neue Kanäle zu erschließen. Bevorstehende Feste, wie Allerheiligen, Advent und Weihnachten sind für mich ein Testfall, wie man mit viel Fantasie die frohe Botschaft unter die Leute bringt. Ich bin für die vielen, sich abzeichnenden Initiativen sehr dankbar. Aber es ist noch viel Luft nach oben. Weihnachten feiern bezieht sich nicht allein auf die Gottesdienste, auch die Nächstenliebe und der Weg zu den Menschen an den Rändern ist wichtig.
Immer größere Pfarreiengemeinschaften: Geht die Zusammenlegung weiter?
Die Pfarreiengemeinschaften werden immer größer. Die 47 Einzelpfarreien des Dekanates sind gemäß Raumplanung 2025 in acht Pfarreiengemeinschaften zusammengefasst. Geht die Zusammenlegung noch weiter und können immer weniger Priester und pastorale Mitarbeiter da noch „nah am Menschen“ Seelsorge betreiben?
Meier: Nach derzeitigem Stand können wir an der Raumplanung 2025 festhalten. Aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Ich finde es entspannend, dass wir jetzt genügend Zeit haben, die Raumplanung von der strukturell-organisatorischen Ebene in die geistlich-seelsorgliche Dimension zu heben. Die Pfarreiengemeinschaften wie einen Betrieb am Laufen zu halten ist der falsche Weg. Es muss uns gelingen, die Menschen für Jesus zu begeistern. Auch die sich schon von der Kirche innerlich wie äußerlich verabschiedet haben. Das ist für mich missionarische Kirche. Selbstpflege und Nabelschau bringen uns nicht weiter.
In diesen Tagen werden in Schweden wieder die Nobelpreise verliehen. Wem würden Sie einen verleihen und warum?
Meier: Ich würde den Nobelpreis an die Gemeinschaft Sant‘Egidio in Rom vergeben. Sie setzt sich seit Jahrzehnten aktiv für den friedlichen Dialog ein. Auch in so delikaten Situationen wie sie in Kolumbien und Mosambik gibt. Zudem geht Sant‘Egidio an die Ränder. Sich den Armen und Flüchtlingen anzunehmen ist ihr Kerngeschäft. Als ich im September in Rom war, traf ich auch den Gründer, Professor Andrea Riccardi, eine eindrucksvolle Persönlichkeit, der als Parteiloser schon mal Minister im italienischen Kabinett war.
„Schenken sie den ihnen anvertrauten Menschen wieder mehr Zeit“ mahnte Bischof Bertram Meier bei einer Konferenz des Dekanates Mindelheim in Bad Wörishofen Mehr als 40 Priester, Diakone und pastorale Mitarbeiter hörten seine Worte im neuen Pfarrsaal von St. Justina.
In der nicht öffentlichen Sitzung ging es unter anderem um den synodalen Weg, Ökumene, Frauenpriestertum und auch um das Thema „Seelsorge in Corona-Zeiten“.
Mindelheims Dekan Andreas Straub dankte Bischof Bertram für seine „wertvollen Impulse“ und überreichte ihm als kleines Dankeschön einen Regenschirm mit den Wappen des Dekanates und des Bistums. (iss)
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