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Allgäu: Handwerkskammer: „Wir dürfen die Welt nicht komplett anhalten“

Allgäu

Handwerkskammer: „Wir dürfen die Welt nicht komplett anhalten“

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    Auch für das Handwerk sind wegen der Corona-Krise schwere Zeiten angebrochen. Jetzt gelte es, zusammenzuhalten und gute Ideen zu entwickeln, sagt der schwäbische Kammerpräsident Hans-Peter Rauch.
    Auch für das Handwerk sind wegen der Corona-Krise schwere Zeiten angebrochen. Jetzt gelte es, zusammenzuhalten und gute Ideen zu entwickeln, sagt der schwäbische Kammerpräsident Hans-Peter Rauch. Foto: David Ebener, dpa

    In diesen schwierigen Zeiten wächst die Wertschätzung für die Arbeit der Handwerker: Es werde jetzt nicht mehr alles als selbstverständlich angesehen, sagte der schwäbische Handwerkspräsident Hans-Peter Rauch (Waltenhofen) im Interview mit unserer Zeitung. Er schilderte auch, wie Handwerker auf Baustellen mit der Angst der Kunden vor einer Infektion umgehen. Wenn jetzt Arbeiten verschoben werden müssen, „wird sich nach der Krise viel Arbeit ballen“.

    Bund und Freistaat haben verschiedene Möglichkeiten zur Förderung von Unternehmen und zu Krediten auf den Weg gebracht. Fließt schon Geld an Ihre Mitgliedsbetriebe und klappt das unbürokratisch?

    Ja, das klappt ganz gut. Wir bekommen Signale, dass das Geld schnell und unbürokratisch ausgezahlt wird. Die Bereitschaft zur Soforthilfe ist da. Ich bitte die Betriebe aber auch um etwas Geduld: Bei der Regierung von Schwaben gehen mehrere Hundert Anträge pro Tag ein, die müssen auch abgearbeitet werden.

    Hans-Peter Rauch
    Hans-Peter Rauch

    Und ich bitte auch darum, dass nur diejenigen Betriebe die Soforthilfe in Anspruch nehmen, die diese auch wirklich benötigen. Die 9000 Euro helfen Firmen mit bis zu fünf Mitarbeitern meist schon, um die laufenden Kosten, etwa für die Miete, für ein bis zwei Monate zu decken.

    Welche Branche hat die größten Probleme?

    Wir haben allein bei den Friseur- und Kosmetikbetrieben 2200 Firmen in Schwaben. Deren Geschäftstätigkeit ist komplett eingestellt, die dürfen auch keinen Heimservice anbieten. Die Kraftfahrzeug- und Zweiradbetriebe haben zwar ihre Werkstätten geöffnet, der Verkauf ist aber geschlossen – dabei ist das Frühjahr für den Verkauf die wichtigste Zeit. Fotografen und Caterer haben keine Veranstaltungen mehr und deshalb auch keine Aufträge, der Messebau liegt komplett lahm.

    Vor Automobil-Zulieferern liegt eine längere Durststrecke

    Sorgen bereiten mir auch die Automobil-Zulieferer, vor denen liegt eine längere Durststrecke. Auch die Baubranche hat Probleme: Durch die Grenzschließungen fehlt Material, zum Beispiel Stahl. Wenn dadurch Baustellen später fertig werden als vertraglich vereinbart, drohen Vertragsstrafen. Und es gibt auch ganz praktische Herausforderungen: Wie bringe ich die Arbeiter zur Baustelle, wenn sie wegen der Abstandsregeln nicht mehr zu sechst im Bulli sitzen können? Da haben die Betriebe ja auch eine Fürsorgepflicht ihren Angestellten gegenüber.

    Viele Betriebe beschäftigen Menschen aus Osteuropa. Kommen die noch ins Land?

    Nein, viele hängen an den Grenzen fest. Auch das ist ein Problem. Wir sehen jetzt sehr deutlich, wie viele Menschen über Grenzen pendeln, um arbeiten zu können.

    Viele Handwerksbetriebe arbeiten aber noch. Kommt es vor, dass Kunden die Mitarbeiter nicht mehr ins Haus lassen wollen, weil sie Angst vor Infektionen haben?

    Ja, das kommt vor. Wir sind angehalten von der Regierung, das Arbeitsleben aufrechtzuerhalten, das ist wichtig. Wir dürfen die Welt jetzt nicht komplett anhalten. Wenn Kunden Angst haben, müssen wir versuchen, darauf einzugehen – Mitarbeiter halten Abstand, tragen Schutzkleidung, desinfizieren alle Gegenstände, die sie in der Wohnung des Kunden berühren. Wenn Kunden sich darauf nicht einlassen, müssen die Arbeiten verschoben werden. Das Problem ist, dass sich nach der Krise dann viel Arbeit ballen wird.

    Gelten in der Lebensmittelproduktion jetzt strengere Vorschriften als vorher?

    Nein, die Regeln waren vorher schon sehr streng. Beim Verkauf von Lebensmitteln ist es wichtig, dass die Kunden im Laden Abstand halten. In vielen Läden schützen Plexiglasscheiben das Personal und die Kunden. Die Menschen sehen jetzt übrigens sehr deutlich, wie wertvoll es ist, wenn Handel und Handwerk vor Ort funktionieren. Ich spüre jetzt wieder viel mehr Wertschätzung für eine Arbeit, die man noch vor Kurzem als selbstverständlich angesehen hat.

    Schaffen die Betriebe es, sich in getrennten Teams zu organisieren? Dann wird nicht der halbe Betrieb in Quarantäne geschickt, falls ein Mitarbeiter positiv getestet wurde.

    Ja, das ist in den meisten Betrieben organisatorisch möglich und wird auch praktiziert.

    Das Handwerk beklagt seit Jahren den Fachkräftemangel. Wie schaffen Sie jetzt den Spagat zwischen der Wirtschaftlichkeit während der Corona-Krise und der Tatsache, dass die Arbeit bald hoffentlich wieder anziehen wird?

    Wir müssen alles daransetzen, die guten Leute zu halten. Wir müssen staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, wo es nötig ist, ich setze mich als Präsident auch sehr vehement dafür ein, dass diese noch ausgebaut werden. Aber wenn wir jetzt ein offenes Ohr für unsere Mitarbeiter haben und diese wie Familienmitglieder behandeln, ist das ein großer Pluspunkt für die Zeit nach der Krise.

    Jetzt ist für Jugendliche eigentlich der Zeitpunkt, sich um eine Lehrstelle im Handwerk zu bewerben. Ist das unter diesen Umständen anders?

    In den vergangenen Monaten kamen erfreulich viele Bewerbungen. Wir müssen diese Zeit nutzen, um Nachwuchs einzustellen, denn jetzt können wir gegenüber der Industrie punkten, wo viele Betriebe in der Kurzarbeit sind.

    Gibt es im Handwerk auch Gewinner der Corona-Krise?

    Aus jeder Krise sind bisher einige Betriebe gestärkt herausgekommen. Das wird auch jetzt wieder so sein. Jammern hilft jetzt nicht, wir müssen zusammenhalten und gute Ideen entwickeln. Betriebe, denen das gelingt, werden die Gewinner sein.

    Das Interview führte Uli Hagemeier

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