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Corona-Protest im Allgäu: Polizeipräsidentin: "Einige stecken gedanklich in einer anderen Welt"

Corona-Protest im Allgäu

Polizeipräsidentin: "Einige stecken gedanklich in einer anderen Welt"

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    Chefin des Polizeipräsidiums in Kempten: Dr. Claudia Strößner.
    Chefin des Polizeipräsidiums in Kempten: Dr. Claudia Strößner. Foto: Martina Diemand

    Der Polizeieinsatz bei der verbotenen „Querdenker“-Demo in Kempten hat in sozialen Netzwerken hohe Wellen geschlagen – vor allem wegen einer Videosequenz, in der mehrere Beamte eine Frau mit Hund eng umringen. Wie beurteilen Sie den Einsatz mit einigen Wochen Abstand?

    Strößner: Wir haben diesen Einsatz mit allen Verantwortlichen intensiv nachbesprochen, auch mit der Bereitschaftspolizei, die mit zahlreichen Beamten vor Ort war. Unser Fazit ist, dass der Einsatz gut verlaufen ist. Man findet im Nachhinein immer einzelne Details, wo man punktuell anders entscheiden würde. In der Summe haben die eingesetzten Beamten aber richtig reagiert. Einige Demonstranten waren offenbar auf ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei aus. Die große Mehrzahl der Leute war aber harmlos.

    Der Polizei wurde vorgeworfen, die Frau mit Hund übertrieben hart behandelt zu haben.

    Strößner: Wenn man sich die Szene in den Internet-Foren anschaut, kann man diesen Eindruck gewinnen. Man muss dazu aber sagen, dass diese Sequenz aus dem Zusammenhang gerissen und die Vorgeschichte weggelassen wurde. Es ging hier um einen Einzelfall am Rande der verbotenen Demo. Der wurde herausgegriffen und zugespitzt dargestellt, um in den sozialen Netzwerken Emotionen zu schüren. Der Einsatz ist insgesamt ohne große Zwischenfälle verlaufen.

    Wie geht es in diesem Fall weiter?

    Strößner: Gegen die Frau laufen Strafanträge. Es wurden aber auch Strafanträge gegen die eingesetzten Beamten gestellt. Diese werden jetzt von der Justiz geprüft, das ist der übliche Ablauf. Mehr kann ich dazu momentan leider nicht sagen.

    Aus dem Protest gegen die Corona-Maßnahmen hat sich bundesweit eine Szene entwickelt, die unverhohlen gegen Politik, Staat und Demokratie agiert. Wie bewerten Sie die „Querdenker“-Szene im Allgäu?

    Strößner: Die Teilnehmer sind meist kooperativ und nicht gewaltbereit. Das gilt auch für die Veranstalter von Demonstrationen. In Kempten gab es erstmals im Allgäu deutliche Beschimpfungen gegenüber Polizeibeamten und Medienvertretern. Gewalt oder körperliche Angriffe fanden aber nicht statt. Leider treten bei diesen Veranstaltungen mitunter Redner auf, die etwa volksverhetzende Inhalte verbreiten. Die schaffen es, eigentlich harmlose Teilnehmer zu mobilisieren.

    Haben Sie eine Erklärung, warum bei manchen Bürgern ein so gravierender Sinneswandel stattfindet, warum sie sich radikalen Positionen anschließen?

    Strößner: Nein, das fragen wir uns auch. Wir erleben aber, dass die Pandemie etwas mit der Gesellschaft gemacht hat. Man merkt einigen Menschen eine Perspektivlosigkeit, manchmal aber auch Langeweile an. Da kann dann der massive Protest gegen die Corona-Maßnahmen plötzlich als sinnstiftend erscheinen. Nach meiner Erfahrung hat sich das Verhalten gegenüber der Polizei nicht eklatant verändert. Wir nehmen aber eine schnellere Gereiztheit wahr. Manche Menschen suchen schneller ein Ventil, sicher auch ermutigt durch große Veranstaltungen wie die in Berlin oder Stuttgart.

    Wie gehen Sie mit Menschen um, die bewusst provozieren, die etwa trotz des Demo-Verbots mit Deutschlandfahnen durch Kempten „spazieren“?

    Strößner: Mein Eindruck ist, dass einige dieser Leute gedanklich in einer anderen Welt stecken, ein Dialog ist da kaum möglich. Dennoch suchen die Einsatzkräfte erst einmal das Gespräch, gehen mit Geduld und Freundlichkeit auf die Leute zu. Das ist bei einer Demo aber auch immer mit der klaren Aussage verbunden, was geht und was nicht. Ich hoffe, dass wir diese Menschen mit dem Abflauen der Pandemie wieder besser erreichen können.

    Wie groß ist der harte Kern des Corona-Protests im Allgäu?

    Strößner: Bei den Veranstaltern umfasst das einen niedrigen zweistelligen Bereich, alle mit unterschiedlichem Hintergrund. Im Allgäu ist nicht immer auseinanderzuhalten, wohin Verbindungen bestehen. Es wirkt so, als ob diese Menschen einfach in der Spirale der Verschwörungsmythen gelandet sind.

    Lässt sich eine besondere Nähe zu den sogenannten Reichsbürgern erkennen?

    Strößner: Da gibt es im Allgäu selten klare Überschneidungen. Einzelne gehören zur Reichsbürgerszene und machen am Rande bei den „Querdenkern“ mit. Im Präsidiumsbereich sind etwa 250 Reichsbürger bekannt, Tendenz zunehmend.

    Bei der Demo in Kempten haben Vertreter der linksgerichteten Antifa staatliches Handeln verteidigt. Das ist doch eigentlich paradox, oder?

    Strößner: Ja, das war in der Tat eine ungewöhnliche Situation. Mit diesen und anderen Gegendemonstranten hatten wir bei der Versammlung in Kempten kein Problem. Die haben ihre Aktionen vielfach sogar Online veranstaltet.

    Gibt es im Allgäu eine linksextreme Szene?

    Strößner: Von einer Szene kann man da nicht sprechen. Es gibt einzelne kritische Leute und einen harten Kern in Kempten. Verteilt über das Allgäu sind uns Personen im mittleren zweistelligen Bereich bekannt, die diese Gesinnung haben.

    Wie sieht es mit Rechtsextremismus in der Region aus?

    Strößner: Wir haben im Präsidiumsbereich einige bekannte Köpfe. Von einer richtigen Szene in Form eines sozialen Netzwerks kann man aber nicht sprechen. Im Allgäu leben Mitglieder verschiedener rechtsextremer Parteien. Darüber hinaus gibt es Menschen, die sich parteiunabhängig im rechtsextremen Spektrum organisieren. Bei unseren Staatsschutzdienststellen im Allgäu sind rund 450 Personen mit rechtsextremistischer Gesinnung bekannt. Die Akteure sind im Gegensatz zu früher, als es zum Beispiel auffällige Skinhead-Gruppen gab, kaum noch öffentlich wahrnehmbar. Im Unterallgäu gibt es nach wie vor eine Skinhead-Gruppierung, die wir im Auge behalten.

    Beamte mit extremistischer Grundhaltung haben zuletzt bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Gibt es die auch bei der Allgäuer Polizei?

    Strößner: Es gab bei uns zwei, drei Fälle, in denen Beamte etwa wegen rassistischer oder rechter Bemerkungen oder Posts in sozialen Netzwerken aufgefallen sind. Das ist privat, aber auch in der Dienstzeit passiert und teilweise schon über ein Jahr her. Da laufen Ermittlungen. Ein Beamter hat sich zudem privat sehr kritisch gegen die Corona-Maßnahmen geäußert, das wird derzeit überprüft. In keinem Fall war aber Gewaltbereitschaft oder übergriffiges Verhalten im Spiel.

    Lassen Sie uns über die Stimmung unter Ihren Beamten sprechen. Die sind zunehmend Aggressionen und körperlicher Gewalt ausgesetzt. Die Pandemie ist eine zusätzliche Herausforderung.

    Strößner: Die Stimmung ist wie in der ganzen Bevölkerung: Die Kollegen sind erschöpft von den Corona-Einschränkungen. Sie gehen aber sehr diszipliniert um mit den Sicherheitsvorkehrungen. Die Hoffnung ruht nun auf den Impfungen und den zu erwartenden Lockerungen. Etwa 1500 der 1990 Kollegen im Präsidium sind impfwillig. Und von denen sind 97 Prozent geimpft.

    Und die Gewalt gegen Polizisten?

    Strößner: Die Fallzahlen sind auf einem ähnlich hohen Niveau wie in den Vorjahren – Tendenz zunehmend. In Zusammenhang mit Corona gibt es bislang aber keine Auffälligkeiten. Bewährt hat sich der Einsatz der Body-Cams, die Einsätze bei Bedarf aufzeichnen. Das entschärft schwierige Situationen und bringt Beamten Sicherheit – auch weil sich Abläufe hinterher vor Gericht schnell klären lassen.

    Schrecken die zunehmenden Aggressionen junge Menschen ab, die sich für die Polizeiausbildung interessieren?

    Strößner: Wir haben immer wieder leichte Schwankungen bei den Bewerberzahlen. Derzeit spüren wir aber keine Rückgänge. Wir haben bayernweit etwa 13000 Bewerbungen, das sind etwa sieben Interessenten pro Stelle. Die brauchen wir, um Stellen bestmöglich zu besetzen.

    Sie sind eine der wenigen Frauen in Bayern, die eine Spitzenposition bei der Polizei einnehmen. Führen Sie das Präsidium anders als ihr Mann, der ja Ihr Vorgänger ist?

    Strößner: Ich habe eine ähnlich positive Einstellung zu meiner Aufgabe hier. Aber es gibt natürlich Unterschiede zwischen uns. Mitarbeiter sagen, dass ich in meiner Art direkter bin als mein Mann. Ich bin weniger diplomatisch. Da ist anfangs mancher erschrocken, inzwischen haben sich aber hoffentlich alle an meine Art gewöhnt.

    Sind Sie mit dem Frauenanteil im Präsidium zufrieden?

    Strößner: Wir haben seit Jahren einen recht hohen Frauenanteil. Aktuell liegt er bei fast 25 Prozent. In Führungspositionen sind es etwa elf Prozent. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Anteil steigen würde. Ein Problem ist in meinen Augen, dass Frauen oft sehr zurückhaltend sind und sich manche Aufgabe nicht zutrauen, obwohl die Qualifikation mehr als ausreicht. Da müssen wir mehr ermutigenden Schub geben.

    Wie viele Beamte im Präsidium haben ausländische Wurzeln?

    Strößner: Im gesamten Präsidium sind das elf Kollegen. Einige davon haben türkische Wurzeln, manche kommen ursprünglich aus Großbritannien oder der Ukraine. Wir haben immer schon versucht, uns in diesem Bereich zu verstärken. Das hilft in mancher dienstlichen Situation und ist gut für die Integration.

    Wie groß ist die Zahl unbesetzter Stellen im Präsidium?

    Strößner: Wir haben eigentlich keine unbesetzten Planstellen. Aber natürlich wünschen wir uns angesichts der wachsenden Aufgaben mehr Personal. Darum freue ich mich sehr, dass das Präsidium bis 2025 im Rahmen der bayernweiten Aufstockung 217 zusätzliche Stellen erhält – gut 100 davon bei der Grenzpolizei. Dadurch können wir etwa große Dienststellen wie Kempten, Memmingen oder Kaufbeuren, aber auch die Kriminal- und Verkehrsdienststellen etwas verstärken.

    Sind bei der Polizei-Struktur im Allgäu Veränderungen zu erwarten – etwa bei den kleineren Stationen?

    Strößner: Die Struktur wird immer wieder überprüft und wenn nötig verbessert. Aber sie kann im Großen und Ganzen so bleiben, wie sie ist. Das gilt grundsätzlich auch für kleinere Stationen. Denn auch sie sind wichtig für die Präsenz und das Sicherheitsgefühl der Bürger.

    Dr. Claudia Strößner ist seit November 2020 Chefin des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in Kempten. Die 54-Jährige arbeitete nach ihrem Jurastudium in mehreren Präsidien, im bayerischen Innenministerium sowie im Bundesinnenministerium. Zuletzt war sie Vizepräsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die gebürtige Münchnerin ist verheiratet mit Werner Strößner, der vor ihr das Kemptener Präsidium leitete. Das Ehepaar hat zwei Kinder.

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