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Bad Wörishofen: Vertreibung ins Ungewisse: So wurde Bad Wörishofen zweite Heimat vieler Sudetendeutscher

Bad Wörishofen

Vertreibung ins Ungewisse: So wurde Bad Wörishofen zweite Heimat vieler Sudetendeutscher

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    Peter Lochner und Margot Kostenbader aus Bad Wörishofen erzählen über ihre Vertreibung aus der alten Heimat. Vor 75 Jahren mussten sie mir ihren Familien die damalige Tschechoslowakei verlassen.
    Peter Lochner und Margot Kostenbader aus Bad Wörishofen erzählen über ihre Vertreibung aus der alten Heimat. Vor 75 Jahren mussten sie mir ihren Familien die damalige Tschechoslowakei verlassen.

    Ein Pferdefuhrwerk brachte die Familie zum Bahnhof. „Oma hat geweint, dieses Bild hat sich bis heute in meinem Kopf eingeprägt.“ Peter Lochner erinnert sich noch sehr genau daran, was vor 75 Jahren passierte. Mehr als drei Millionen Sudetendeutsche verloren damals ihre Heimat. Sie wurden aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben. Darunter war auch die Familie des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek. Viele strandeten in Bad Wörishofen, wo in der Folge der Vertreibung sogar ein neuer Stadtteil entstand. Holetschek selbst war viele Jahre lang Bürgermeister von Bad Wörishofen.

    Es begann im Januar 1946. Von da an kamen so gut wie jeden Tag Züge mit Heimatvertriebenen in Augsburg an. Dort entstand ein Verteilzentrum für Schwaben mit riesigen Lagern. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei hatten die sogenannten Benes-Dekrete ermöglicht, benannt nach dem Präsidenten Edvard Benes. Von Augsburg aus wurden die Menschen auf die Gemeinden verteilt. Flüchtlingsbeauftragte, meistens die Bürgermeister, mussten sie unterbringen. Dass die vom Zweiten Weltkrieg ebenfalls gebeutelte einheimische Bevölkerung darüber oft nicht gerade erfreut war, gehört ebenso zur historischen Wahrheit. Dennoch arrangierte man sich in den meisten Fällen.

    Eine Baracke an der Waldstraße. In der heutigen Gartenstadt wurden viele Menschen untergebracht, die ihre Heimat verloren hatten.
    Eine Baracke an der Waldstraße. In der heutigen Gartenstadt wurden viele Menschen untergebracht, die ihre Heimat verloren hatten. Foto: Sammlung Michael Scharpf

    So war es auch in Bad Wörishofen. Margot Kostenbader hat detailliert aufgeschrieben, was damals geschah und was ihre Eltern dazu berichteten. Auch Peter Lochners Familie wurde aus der Tschechoslowakei vertrieben. Heute ist er in Bad Wörishofen als langjähriger Vorsitzender der Rheumaliga und Kassier des EV Bad Wörishofen eine Institution. Während Margot Kostenbader aus dem Sudetenland stammt, waren Peter Lochners Eltern im Egerland zu Hause. Betroffen war auch die Familie von Klaus Holetschek, wie Margot Kostenbader zu berichten weiß. Sie ist die Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Bad Wörishofen. Holetscheks Mutter ist langjähriges Mitglied der Landsmannschaft und Klaus Holetschek selbst sei als jüngstes Mitglied des Verbandes auch schon lange dabei. Die Familie musste ebenfalls ihre Heimat in Marienbad verlassen, lebte danach in Landshut, wo der heutige Gesundheitsminister Bayerns zur Welt kam. Aufgewachsen ist er in Bad Wörishofen.

    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek besuchte gemeinsam mit seiner Mutter die alte Heimat

    Durch seine Mutter habe er nach wie vor eine enge Verbindung zu der Sudetendeutschen Landsmannschaft, sagt Klaus Holetschek. Er betont den großen Beitrag, den die Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau geleistet hätten. Er fühle sich ihnen emotional nach wie vor verbunden. Mit seiner Mutter habe er die alte Heimat auch einmal besucht, berichtet Holetschek. Die Geschichte der Vertreibung habe ihn immer bewegt und ihr habe immer schon seine besondere Aufmerksamkeit gegolten. Die Beziehung zwischen der sudetendeutschen Bevölkerung und den Bayern sei von Anfang an eine spezielle gewesen, was auch heute noch gelte. Margot Kostenbader, eine geborene Niesner, war gerade einmal acht Jahre alt, als auch sie die Deportation erfasste. Von Anfang Juli 1945 bis Juni 1946 wohnte sie noch bei ihren Großeltern in Spillendorf im Landkreis Freudenthal, denn die Wohnung der Eltern war bereits von Russen besetzt. Der Vater kehrte nicht mehr aus dem Krieg zurück.

    Den Transportzettel hat Margot Kostenbader, ehemals Niesner, aufbewahrt.  Er ist ein Zeugnis der Vertreibung aus der alten Heimat.
    Den Transportzettel hat Margot Kostenbader, ehemals Niesner, aufbewahrt. Er ist ein Zeugnis der Vertreibung aus der alten Heimat. Foto: Helmut Bader

    Im Herbst 1945 wurden die deutschen Bauern enteignet und ihre Mutter und ihre Tante wurden zur Mithilfe bei den neuen Besitzern verpflichtet. „Im Frühjahr 1946 hörte man von ersten Vertreibungen in den Nachbarorten und die Menschen versuchten Wertgegenstände auf verschiedenste Arten zu verstecken, man meinte ja, dass man später wieder heimkommen würde“, berichtet Kostenbader. Dass dies ein Trugschluss war, zeigte sich erst später.

    So früh wie viele andere musste die Familie Niesner die Heimat nicht verlassen. Aber der Tag kam. Am 27. Juni 1946 ging es für sie mit Transportzettel in tschechischer Sprache in einem Zug mit Güterwaggons nach Bayern. Einziges Hab und Gut waren ein paar Kisten oder Koffer. Über den Grenzbahnhof Furth im Wald wurden die Niesners ins Sammellager nach Augsburg gebracht. Dort mussten sie eine Durchleuchtung und die Entlausung über sich ergehen lassen. Von Augsburg aus ging es weiter nach Mindelheim und schließlich auf einem Lastwagen nach Kirchdorf, heute ein Stadtteil von Bad Wörishofen.

    Der Flüchtlingsausweis erinnert an die schlimme Zeit der Vertreibung. Es ist nicht das einzige geschichtsträchtige Stück, das in Bad Wörishofen erhalten blieb

    Der Flüchtlingsausweis Nr. 339637 ist auf den 13. Juli 1946 ausgestellt. Auch diese ersten Tage beschreibt Margot Kostenbader genau: „Hinter der Kirche beim Feuerwehrhaus wurden wir abgeladen. Oma, Opa und Tante Hilde bekamen bald ein Zimmer bei lieben, freundlichen Bauersleuten.“ Nicht ganz so schnell ging es bei der Mutter und den beiden kleinen Mädchen. „Mutter ging mit dem Flüchtlingsbeauftragten von Hof zu Hof, aber niemand wollte uns eine Unterkunft geben. Es waren ja schon viele Fremde im Dorf einquartiert“, erzählt Margot Kostenbader weiter. „Meine kleine Schwester und ich saßen bei großer Hitze noch immer auf unseren wenigen Habseligkeiten bei der Kirche. Zum Glück kam eine Bäuerin von gegenüber und brachte uns etwas zum Essen und zum Trinken. Ich habe das bis heute nicht vergessen.“ Schließlich gab es doch noch ein Quartier im Dorf. Zehn Jahre dauerte der Aufenthalt der Niesners in dem kleinen Häuschen mit zeitweise drei Familien und sechs Kindern.

    Peter Lochner hat die Kiste mit dem Namen seiner Mutter aufbewahrt, in der die wenigen Habseligkeiten transportiert wurden.
    Peter Lochner hat die Kiste mit dem Namen seiner Mutter aufbewahrt, in der die wenigen Habseligkeiten transportiert wurden. Foto: Helmut Bader

    Peter Lochner teilt dieses Schicksal. In Heinrichsgrün im Egerland geboren, musste er gemeinsam mit seiner Familie die Heimat verlassen. Er war damals ein kleines Kind. „Ich habe zwar noch einige Bilder im Kopf, aber ich habe mir die Geschichten von meinen Eltern bewahrt“, erzählt er. Mit Mutter und Großeltern ging es ebenfalls nach Westen. Der Vater war zu dieser Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Ein Pferdefuhrwerk brachte die Familie zum Bahnhof. „Oma hat geweint, dieses Bild hat sich bis heute in meinem Kopf eingeprägt“, erzählt er. Aus dem Kreis Graslitz ging es über Augsburg ebenfalls nach Mindelheim. Auf einem Lastwagen wurde die Familie nach Irsingen gebracht. „Auch das Bild von dem dunklen Wald bei St. Anna und unseren Kisten vor dem Bürgermeisterhaus habe ich noch im Kopf“, sagt Lochner. „Bürgermeister Kämmerle brachte uns mit Mutter und Großeltern auf den Bauernhof der Familie Grotz, wo wir gut behandelt wurden.“ 1959 baute die Familie in der Gartenstadt von Bad Wörishofen ihr eigenes Haus.

    In der Zeit der Vertreibung entstand in Bad Wörishofen der heute größte Stadtteil

    Der heute größte Stadtteil Bad Wörishofens mit 3525 Einwohnern entstand in der Zeit der Vertreibung. Zunächst lebten dort Flüchtlinge und Kriegsopfer in den ehemaligen Baracken des dortigen Militärflugplatzes unter schlechten Bedingungen. Wörishofen war als Lazarettstadt von Zerstörungen verschont geblieben und diente nun als Aufnahmeort. Lebten 1939 noch 4322 Menschen in Wörishofen, so waren es zum Kriegsende 8323, davon 2995 Flüchtlinge und Evakuierte, also rund 36 Prozent der Bevölkerung. Peter Lochner hat in Bad Wörishofen eine neue Heimat gefunden. Aber die alte ist nicht vergessen. Noch Heute bezieht Peter Lochner das „Graslitzer Heimatblatt“.

    Klaus Holetschek (rechts) war viele Jahre lang Bürgermeister von Bad Wörishofen. Gemeinsam mit seiner Mutter besuchte er zwischenzeitlich die alte Heimat im Sudetenland.
    Klaus Holetschek (rechts) war viele Jahre lang Bürgermeister von Bad Wörishofen. Gemeinsam mit seiner Mutter besuchte er zwischenzeitlich die alte Heimat im Sudetenland. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Wie aber steht es mit der nächsten Generation? Diese interessiere sich kaum noch für diese harte Zeit, bedauern die Älteren. Die eigene Vergangenheit gerate so mehr oder weniger in Vergessenheit. So gibt es auch bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft keinen Nachwuchs mehr. Die Gruppe der Schlesier in Bad Wörishofen hat sich sogar bereits aufgelöst.

    Doch eine schöne Erinnerung haben die Söhne von Peter Lochner ihrem Vater noch bereitet. Erst vor zwei Jahren beschenkten sie ihn mit einer Reise in die alte Heimat mit einer Übernachtung in Annaberg-Buchholtz. An seiner Geburtsstätte jedoch stand kein Haus mehr, es ist heute eine Wiese vor der Kapelle, in der Peter Lochner einst getauft wurde.

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