i
Foto: Bernhard Ledermann
Foto: Bernhard Ledermann

Adalbert Keller vor dem Gebäude der katholischen Kurseelsorge in Bad Wörishofen, wo er als Kurseelsorger tätig ist.

Bad Wörishofen
13.05.2021

So ruft man den „inneren Arzt“: Kneipp zum Jubiläum neu entdeckt

Von Bernhard Ledermann

„Ich wundere mich, wie wenig wir daran setzen, dieses gewaltige Potenzial auszuschöpfen“, sagt Professor Adalbert Keller. Bad Wörishofens Kurseelsorger hat Kneipps Schlüsselthema untersucht und sagt: Es ist nie zu spät.

Herr Professor Keller, „Der ‚innere Arzt’ kann mehr als wir glauben“ heißt Ihr neues Buch, in dem Sie Pfarrer Kneipps Ordnungstherapie aus heutiger Sicht erklären. Es erscheint unmittelbar zur Kneipp-Festwoche. Ist es ein Geburtstagsgeschenk?

Adalbert Keller: Als Kurseelsorger will ich bei diesem besonderen Fest natürlich nicht mit leeren Händen dastehen. Es ist ein Geburtstagsgruß aus dem Haus der Katholischen Kurseelsorge. Und mich freut, dass der Verlag Högel das Erscheinen so treffsicher zum Jubiläum hinbekommen hat.

Aber dazu muss vorher ein fertiges Manuskript vorliegen. Haben Sie dafür die Zeit des Lockdowns genutzt?

Keller: Ich bin bekannt dafür, dass ich ein Last-Minute-Schreiber bin. Das war immer schon so. Zuhause hat man sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, dass die Zahl meiner Nachtschichten am Schreibtisch drastisch zunimmt, je näher ein Abgabetermin rückt. Wie Sie sehen, hat es auch diesmal wieder geklappt. Die Zeit des Lockdowns ist mir da ganz hilfreich gewesen.

Haben die Menschen Kneipp, den Heiler aus Bad Wörishofen, bislang missverstanden?

Sie weisen nach, dass der Begriff der Ordnungstherapie gar nicht von Pfarrer Kneipp stammt. Haben wir Pfarrer Kneipp bislang also falsch verstanden?

Keller: Keinesfalls. Ordnung ist und bleibt der Schlüsselbegriff im Heilungskonzept Kneipps. Nur weil er nicht ausdrücklich von Ordnungstherapie spricht, heißt das ja noch lange nicht, dass er keine hat. Die Sache an sich steht für ihn außer Frage, innere Ordnung setzt Selbstheilungskräfte in uns frei. Und zwar im Körperlichen wie im Seelischen. Jeder von uns hat die Fähigkeit zur Selbstheilung und verfügt über diesen inneren Arzt. Wir müssen ihn nur dazu bringen, dass er tätig wird. Und dass dieser innere Arzt viel mehr kann, als wir glauben, das versuche ich in meinem Buch zu zeigen.

Heilen heißt im Sinne Kneipps also Ordnung schaffen?

Keller: Ja, und dabei auch unserer geistigen und seelischen Einstellung eine ordnungsstiftende Chance geben. Moderne Forschungen der Epigenetik beweisen es. Auch Meditation, Spiritualität, Gebet, Glaube, also alles das, was wir unter Religion und Religiosität verstehen, hat eine immens positive Wirkung auf unsere Gesundheit. Viel mehr als bisher vermutet. Religion ist also nicht nur wichtig, um in den Himmel zu kommen. Wie schon Kneipp sagte, muss sie auch „den Menschen zufrieden machen“. Das will heißen: Wer gesund bleiben oder wieder gesund werden will, darf der Religiosität nicht aus dem Weg gehen.

Ordnung schaffen heißt für Adalbert Keller mehr, als Balance zu halten

Müsste Bad Wörishofen die Ordnung mehr zum Thema machen?

Keller: Lassen Sie mich es so formulieren: Ich wundere mich manchmal, wie wenig wir daran setzen, dieses gewaltige Potenzial der inneren Ordnung auszuschöpfen. Man kann beobachten, wie die Suche der Menschen nach Spiritualität und Achtsamkeit seit einiger Zeit wächst, auch die Suche nach inneren Erfahrungsmomenten und Meditation. Ich erlebe das in der Seelsorge hautnah. Wenn man diese neue Nachfrage sieht, dann erscheint unsere viel gepriesene Balance zwischen Körper und Geist fast schon ein bisschen altmodisch. Ordnung schaffen in Leib und Seele ist ein aktiver und kreativer Gestaltungsvorgang, nicht nur ein balancierendes Ausgleichen.

Können Sie ein, zwei praktische Ratschläge erteilen, wie man die Ordnungstherapie im Alltag beachten kann?

Keller: „Mit meiner Seele unterwegs – Meditation und Gespräch im Gehen“. So heißt ein beliebtes Angebot der Kurseelsorge. Meditation braucht keinen besonderen Ort – ihr genügt als Einstieg unsere Achtsamkeit im Alltag. Und die funktioniert bei Wind und Regen genauso gut wie bei strahlendem Sonnenschein. Doch alle noch so guten Vorsätze reichen nicht aus. Man muss es tun. Oder anders gesagt, Heilung und Gesundheit und Lebensglück gibt es nie ohne unsere Bereitschaft mitzuwirken.

Gelingt es Ihnen selbst, die Ordnung in Ihrer Lebensführung zu beachten?

Keller: Wahrscheinlich geht es mir da ähnlich wie den meisten von uns, mal gelingt es mehr, mal weniger. Gesundheit ist ja kein Zustand, sie ist vielmehr eine lebenslange Aufgabe und vor allem eine tägliche Herausforderung. Alles was wir tun, denken, fühlen, erleben hat eine Wirkung – sprich: unser Lebensstil hat Folgen. Und die allerbeste Nachricht: Es ist nie zu spät!

Sie selbst kommen aus der Wissenschaft. Ist Ihr neues Buch ein Werk des Wissenschaftlers und Professors oder eher ein Beitrag des Kurseelsorgers zum Kneippjahr?

Keller: Beides. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Zum einen sehe ich, dass für Kneipp alles, was mit der Erhaltung und Wiedererlangung von Gesundheit zu tun hat, auch eine spirituelle Tiefe und Bedeutung hat. Das wahrnehmen und anderen vermitteln zu können, ist für mich als Kurseelsorger wichtig. Andererseits zeigt mir gerade die Neugierde des Wissenschaftlers: Man soll über Kneipp nicht nur ‚nachdenken’, sondern man muss ihn auch ‚weiterdenken’. Kneipp jedenfalls verlangt nichts Kompliziertes von uns, alles ist im Alltag umsetzbar.


Prof. Dr. Adalbert Keller aus Amberg ist Kurseelsorger in Bad Wörishofen und lehrt Alte Kirchengeschichte, Patrologie (Lehre von der christlichen Literatur) und Christliche Archäologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Er ist außerdem Diakon der katholischen Kirche. Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich Keller mit der Ordnungstherapie nach Pfarrer Kneipp. Sein neues Buch „Der ‚innere Arzt’ kann mehr als wir glauben. Kneipps Ordnungstherapie aus heutiger Sicht“ erscheint am 12. Mai und ist bei den Geschäftsstellen der Mindelheimer Zeitung, im Online-Shop der Augsburger Allgemeine und im Buchhandel erhältlich.

Lesen Sie auch:

Facebook Whatsapp Twitter Mail