So geht’s: Mit Kneipp gegen Corona-Folgen
Professor Benno Brinkhaus forscht an der Charité Berlin zur Naturheilkunde. Er erklärt, wie man mit Kneipp gegen Long Covid vorgeht – und warum die Wirksamkeit der Wasserkur aus Bad Wörishofen dringend untersucht werden müsste
Gerade in der Corona-Krise ist die klassische Medizin stark in den Fokus gerückt. Gerät die Naturheilkunde derzeit ins Hintertreffen?
Prof. Brinkhaus: Ich denke da umgekehrt, da viele Menschen jetzt Therapieverfahren der Naturheilkunde präventiv nutzen, um die Gesundheit und insbesondere das Immunsystem zu stärken, vor allem die Bewegungs-, Ernährungs- und Entspannungstherapie. Auch bei Long-Covid-Betroffenen sehe ich Möglichkeiten für die Naturheilkunde. Gerade bei Long-Covid-Betroffenen sehen wir, dass die Symptome wie Atemnot, das Fatigue-Syndrom, also eine anhaltende Müdigkeit, Schlafstörungen oder Schmerzen schwer zu therapieren sind. Es gibt keine pharmakologischen Therapien, die spezifisch helfen. Wir haben auf diesem Gebiet zu wenige evidenzbasierte Verfahren und sind auf der Suche nach Behandlungsmöglichkeiten. Hier könnten Therapieverfahren der Naturheilkunde unterstützend durchaus helfen.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek brachte Kneipp ins Gespräch, wenn es um die Behandlung von Long-Covid-Patienten geht. Kann Kneipps Heilmethode dabei Erfolge zeitigen?
Brinkhaus: Das kann ich mir durchaus vorstellen. Empfehlenswert sind zum Beispiel kalte Körperteilgüsse oder Wassertreten, bei Verträglichkeit sogar Vollgüsse. Hilfreich wäre außerdem Bewegung an der frischen Luft. Dabei ist es wichtig, mit kleinen Bewegungseinheiten zu beginnen und diese dann zu steigern. Die Ernährung sollte möglichst vitaminreich gestaltet sein. Vorstellbar wäre aus dem Bereich der Pflanzenheilkunde auch zum Beispiel der Einsatz der Pelargoniumwurzel. Wir bereiten gerade einen Antrag zur Förderung eines integrativen kombinierten naturheilkundlichen Konzeptes vor, das an einer Tagesklinik bei der Behandlung von Long-Covid-Patienten eingesetzt werden soll.
Welche Voraussetzungen müsste Bad Wörishofen schaffen, um Long-Covid-Patienten behandeln zu können?
Brinkhaus: Schwer betroffene Long-Covid-Patienten müssten sicherlich – gegebenenfalls nach einem stationären Aufenthalt – erst einmal in der häuslichen Umgebung versorgt werden. Für Patienten, die einigermaßen mobil sind, sehe ich sehr gute Möglichkeiten, in Bad Wörishofen, an der frischen Luft und in schöner Umgebung, ihre Gesundheit zurückzuerlangen und die eigenen Ressourcen zu stärken. Gestartet werden sollte die Therapie mit milden Reizen. Ärzte, Pflegekräfte und Kneipp-Trainer in Bad Wörishofen und die anderen Kneippkurorte verfügen über die Expertise und Kompetenz, Menschen mit Long-Covid-Erkrankungen zu helfen.
Bei der digitalen Festveranstaltung des Kneipp-Bundes in Bad Wörishofen haben Sie mit ihrem Satz, dass die Wirkung der Wasserkur nicht ausreichend durch Studien belegt sei, für Aufsehen gesorgt. Welche Studien vermissen Sie?
Brinkhaus: Es fehlen uns vor allem größere klinisch randomisierte Studien, die die präventive und therapeutische Wirksamkeit der Hydrotherapie beziehungsweise der Wasseranwendungen eindeutig belegen. Dazu liegen einige wenige Studien von verschiedenen Verfahren der Hydrotherapie vor, bei verschiedenen Indikationen, bei im Durchschnitt eher geringen bis mittelgroßen Teilnehmerzahlen. Wir brauchen große, gut gemachte Studien auf hohem wissenschaftlich Niveau. Vorher muss geklärt werden, welche Ziele wir mit der Hydrotherapie primär verfolgen wollen. Geht es um eine Stimulierung des Immunsystems oder wollen wir die Wasserkur in der Therapie einsetzen. Mögliche Indikationen wären zum Beispiel Hauterkrankungen, Schlafstörungen oder Kopfschmerzen.
Wen sehen Sie in der Pflicht, die Wirksamkeit der Wasseranwendungen nach Pfarrer Kneipp besser zu untersuchen?
Hydrotherapie müsste "mehr in den Fokus, auch der konventionellen Medizin, gelangen", fordert Benno Brinkhaus
Brinkhaus: Die Studien müssten gut ausgebildete Wissenschaftler durchführen, die sich in der Wissenschafts-Methodik einerseits und in den Kneipp’schen Therapieverfahren andererseits gut auskennen. Da es bei der Behandlung mit Wasser keine Patente zu sichern gibt, fehlen allerdings wirtschaftliche Anreize von privaten Investoren. Umso mehr müsste die Finanzierung aus meiner Sicht durch die öffentliche Hand erfolgen. Wir bräuchten zum Beispiel einen Sonderforschungsfonds der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur wissenschaftlichen Untersuchung der Kneippschen Hydrotherapie. Diese Unterstützung müssen wir von der Politik fordern. Notwendig wäre der Beginn mit ungefähr zehn bis 15 größeren Einzelstudien. Die vier Professoren im Bereich Naturheilkunde und Komplementärmedizin an der Berliner Charité würden gerne vertiefter in die Forschung zur Hydrotherapie einsteigen, wenn es Möglichkeiten der Förderung gibt.
Welche Ergebnisse wären aus solcher Arbeit vorstellbar?
Brinkhaus: Wir haben Erkenntnisse, dass die Hydrotherapie, richtig angewandt, auf nahezu alle körperlichen Funktionen positive Einflüsse haben kann. Auf den Reiz „kaltes oder warmes, oder wechsel-warmes Wasser“ reagieren unter anderem das Atemsystem, das Herz-Kreislauf-System, das endokrine System oder der Bewegungsapparat. Ich bin persönlich sehr davon überzeugt, dass die Hydrotherapie – richtig eingesetzt – sehr wirksam ist, und das bei wenig Nebenwirkungen und Komplikationen. Sie müsste mehr in den Fokus, auch der konventionellen Medizin, gelangen.
Sind die anderen Wirkprinzipien nach Pfarrer Kneipp besser erforscht?
Brinkhaus: Die anderen Säulen – die Ernährungstherapie, die Bewegungstherapie, die Phytotherapie, also die Kräuterheilkunde, und die Stärkung der Inneren Ordnung beziehungsweise die Entspannungstherapie sind wissenschaftlich viel mehr untersucht, wobei es viele positive wissenschaftliche Evidenz dazu gibt. Viele dieser Verfahren sind schon in die konventionelle Medizin integriert. Dass ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung und Entspannung einen Einfluss auf die Gesundheit hat, ist erwiesen.
Pfarrer Kneipp feiert seinen 200. Geburtstag. Wie schätzen Sie den Jubilar für die Medizin des 21. Jahrhunderts ein?
Brinkhaus: Kneipp war ein bedeutender Ideengeber für eine patientenzentrierte Medizin der Zukunft, in der die Menschen aktiv und verantwortungsbewusst an ihrer Gesundheit mitarbeiten. Er hat die Medizin mit seinen visionären Ansätzen zur aktiven Gesundheitsförderung von außen geprägt. Seine Bedeutung kann aus meiner Sicht nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er wird die Gesundheitsförderung und die Medizin des 21. Jahrhunderts prägen.
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