Wenn sich im Mai das Ende des 2. Weltkrieges zum 80. Male jährt, werden sicher bei vielen älteren Menschen die oft harten Zeiten während des Krieges oder auch noch einige Jahre danach wieder präsent sein. Die Erinnerungen sind meistens Dokumente von wirklicher Armut bis hin zum täglichen Hunger, wie ihn sich die jetzige Generation wohl gar nicht mehr vorstellen kann. Karin Berger, geborene Riegel, hat unserer Redaktion ein solches eindringliches und anschauliches Dokument zur Verfügung gestellt. Heute wohnt sie wohlsituiert in Dorschhausen, was beweist, wie sich Menschen in dieser Nachkriegszeit auch ohne staatliche Hilfe und mit eigener Hände Kraft ein neues Leben aufbauten.
„Ich kam am 21. Januar 1942 in Dresden zur Welt. Während mein Vater an der Ostfront, in Frankreich und Italien im Krieg war, lebte ich mit meiner Mutter in einer schönen Wohnung in Bad Frankenhausen am Kyffhäuser, nördlich von Erfurt, bis wir eines Tages einfach heraus mussten und in einer Nachbarwohnung unterkamen“, beginnt ihre Geschichte. Dazu gleich eine Anekdote, die böse hätte enden können. In der gegenüber liegenden Kaserne waren die Russen „eingezogen“.
Dieser Moment wäre beinahe sehr gefährlich für Karin Bergers Familie geworden
Die kleine Karin und ihr vierjähriger Freund „Utzeputz“ drückten ihre Nasen an die Gitterstäbe und riefen ahnungslos ein Schimpfwort hinein. Zum Glück hatten die Russen das nicht verstanden, aber die Mütter hätten tagelang noch Angst gehabt, berichtet sie. „Besser ging es uns dann, als die Amerikaner statt der Russen kamen. Die hatten mich ins Herz geschlossen und legten immer Schokolade aufs Fensterbrett“, berichtet die heutige Karin Berger.

Erst 1947 kam der Vater aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurück und landete in Mindelheim. Der Vater arbeitete inzwischen bei einem Bauern. Er schlief auf einer Pritsche im Stadel, denn er musste nachts aufpassen, dass keine Äpfel geklaut wurden. Die Mutter und die kleine Karin kamen überwiegend zu Fuß nach. „Aber im Mindelheimer Rathaus bei der Anmeldung meinte der Beamte, der Vater sei ja Bayer und könne dableiben, die Mutter solle mit mir aber wieder zurück nach Bad Frankenhausen“, berichtet die Dorschhauserin. Erst als der Vater richtig energisch wurde und auf den Tisch haute, dass das Tintenfass hüpfte, klappte es mit der Anmeldung und dem Dableiben.

„Nun wurden wir Drei in der Bismarckstraße auf dem Dachboden auf Matratzen und einer Zudecke einquartiert. Da wir keine Flüchtlinge waren, bekamen wir keinerlei finanzielle Unterstützung“, führt Karin Berger weiter aus. „Mittags gab es bei dem Bauern, bei dem der Vater Tag und Nacht arbeitete, etwas zu essen. Am Abend grub er heimlich am Zaun der Apfelwiese ein kleines Loch, in das er für uns Äpfel für ein dürftiges Abendessen legte. Von einer Frau Jeschke, einer Arztfrau, die auch einquartiert war, bekamen wir hin und wieder ein Schüsselchen Grießbrei.“

Karin Berger fährt in ihrer Geschichte so fort: „Später wurde uns beim ehemaligen Bürgermeister Kellner in Zimmer zugewiesen. Es war ein Haus oben am Katharinenberg, das eigentlich für eine Familie gedacht war. Nun lebten hier bis zu 14 Menschen unter einem Dach: Familie Kien mit vier Kindern (Herr Kien war mit meinem Vater aus der Gefangenschaft heimgekommen), Frau Kellner, deren Mann später ebenfalls aus der Gefangenschaft zurückkam, deren Adoptivtochter mit Bräutigam und wir zu viert, als mein Bruder 1948 auf die Welt kam. Es gab nur eine Toilette und kein Badezimmer.“ Eine alles andere als komfortable Wohnsituation, manche Ältere auch noch so kennengelernt haben.

An Frau Kellner erinnert sich Karin Berger als „sehr nette Frau“ mit deren größerer Tochter sie sich bestens verstand. Doch am Nikolausabend konnte diese der ängstlichen Karin nicht wie erhofft beistehen, denn sie hatte selbst den Nikolaus gemacht. „Das Christkind brachte mir ein Puppenbett, das mein Vater gezimmert und eine Puppe, die meine Mutter genäht hatte. Ich freute mich so sehr darüber“, beschreibt die Dorschhauserin den Heiligen Abend. Ob die Freude bei den Kindern über den heute meist üppigen Gabentisch größer ist, sei dahingestellt.

Bescheiden ging es bei der Familie weiter. Da die Kiens mit ihren vier Kindern ausgezogen war, durfte sie deren zwei Zimmer übernehmen. „Nun konnten wir sogar einmal in der Woche baden. Das auf dem Herd gekochte, warme Wasser wurde töpfeweise in die Zinkwanne im Wohnzimmer gebracht. Zuerst badete ich, dann die Mama und schließlich der Papa, alle im selben Wasser. Ich schlief im „Gräble“ vom Ehebett und mein Bruder im Wäschekorb auf der Kommode“, geht die Erzählung weiter. Spielzeug gab es natürlich kaum, aber die zwölf Kinder vom Katharinenberg spielten eben miteinander. Auch halfen sie der Tochter der Lindenbrauerei beim Hüten der Kühe. Auf diese Weise lernte man untereinander sogar selbstständig das Fahrradfahren, auch wenn der erste Bremsversuch in einem Stacheldraht endete.

Schließlich bekam der Vater eine Anstellung „bei den Amerikanern“ in Augsburg, womit es finanziell etwas besser aussah. Der weite Weg von Mindelheim dorthin wurde mit einem Fahrrad mit selbst gebautem Hilfsmotor zurückgelegt. Unter der Woche schlief er bei einer Familie in Augsburg auf dem Sofa, aber erst, wenn diese selbst zu Bett gegangen war. Er nahm jedes Mal Pellkartoffeln mit, die in Augsburg das dürftige Abendmahl als Bratkartoffeln bildeten. Bei Wind und Wetter ging es samstags zurück nach Mindelheim zur Familie. Später, als sich der Vater eine Zugkarte leisten konnte, brachte er einen jungen ostpreußischen Flüchtling mit, „damit dieser nicht unter die Räder käme“, wie der Vater meinte. Der gehörte nun auch mit zur Familie.

„Das Geld langte nun gerade so, dass wir satt wurden“, erzählt Karin Berger weiter, „doch es gab auch einen Glücksmonat“. An dem waren die Wiesen Richtung Unggenrieder Weiher voll mit Champignons. So gab es morgens, mittags und abends Champignons. „Butter gab es nicht und geschmeckt haben sie auch nicht. Aber wir wurden satt. Es dauerte Jahre, bis ich wieder Pilze essen konnte.“
Der Rest der Geschichte, die sicher exemplarisch für viele andere steht, ist rasch erzählt. Der Vater erhielt eine Anstellung beim TÜV in Augsburg, konnte sich bald einen alten Opel P4 leisten, um so bequemer zur Arbeit zu kommen. Nach einigen weiteren Jahren folgte der Umzug in eine Doppelhaushälfte an der Mindelheimer Stadtmauer. Diese wurde mit Hilfe eines Kredites selbst renoviert und es gab nun sogar ein Bad und einen Kachelofen. Weil alles jetzt so schön war, wollte die Vermieterin zur „Belohnung“ die Miete erhöhen. Dennoch arbeitete sich die Familie weiter nach oben, bis hin zum schmucken Eigenheim in Dorschhausen.
„Heute bin ich jeden Tag dankbar, diese Zeit überstanden zu haben und genieße die schöne Zeit und das friedliche Dasein in unserem eigenen Garten“, endet Karin Bergers eindrucksvolle Geschichte aus einer anderen Zeit.
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