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SPD: Gemeinsam einsam

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Gemeinsam einsam

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    SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. dpa
    SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. dpa

    Berlin Klaus Wowereit ist ganz der Alte. Er gibt sich gelassen. Und kämpferisch. Seit zehn Jahren ist der 57-jährige Sozialdemokrat Regierender Bürgermeister von

    In allen Umfragen liefern sich Sozialdemokraten und Grüne ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen. Mal liegt Amtsinhaber Wowereit vorn, mal seine Herausforderin Renate Künast, die in den links-alternativen Hochburgen Kreuzberg-Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Friedenau ohnehin ein Heimspiel hat. Und spätestens seit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg müssen die Sozialdemokraten erkennen, dass das eigentlich Undenkbare und bislang Unfassbare tatsächlich Realität werden kann – dass der bisherige Juniorpartner mehr Stimmen erhält und den Regierungschef stellt. Die Frage nach dem Koch und Kellner, mit der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder einst seinen grünen Vizekanzler Joschka Fischer in die Schranken wies, stellt sich völlig neu.

    Klaus Wowereit jedenfalls ist nicht bereit, sich kampflos zu ergeben. Offensiv attackiert er seine grüne Herausforderin und den politischen Konkurrenten im eigenen Lager und beendet damit, zumindest in der Hauptstadt, die Zeiten der einvernehmlichen Harmonie, in denen Rote und Grüne gemeinsam um eine Mehrheit für ein rot-grünes Projekt warben.

    Die Grünen, polterte Wowereit jüngst ziemlich heftig, agierten bei bestimmten Themen „konservativ bis teilweise reaktionär“, ihre jüngsten guten Wahlergebnisse seien „nicht ihren eigenen Verdiensten geschuldet“, sondern einzig eine Folge des Reaktorunfalls von Fukushima. Wenn Themen wie soziale Gerechtigkeit oder Gesundheitspolitik wieder stärker in den Vordergrund rücken, würde auch die SPD wieder stärker wahrgenommen, macht er sich und den Seinen Mut. Er sagt: „Die SPD will nicht grün werden, sondern ist und bleibt rot. Die SPD ist eine linke Volkspartei, die soziale Gerechtigkeit für alle fordert. Das unterscheidet uns deutlich von den Grünen.“

    Doch alle Zahlen sprechen eine andere Sprache. Seit der Bundestagswahl vor knapp zwei Jahren befindet sich die SPD im Dauertief und liegt konstant unter 25 Prozent. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage sind es gerade einmal 22 Prozent. Und das, obwohl die Voraussetzungen für Sigmar Gabriel und Co. günstiger nicht sein könnten. Denn die Konkurrenz steht, bis auf die Grünen, auch nicht besser da.

    Die Union leidet an Angela Merkels profillosem Regierungskurs und ihren abrupten Positionswechseln. Die FDP sucht nach ihrem Absturz in der Wählergunst Rettung in einem neuen Parteichef. Und die Linke zerfleischt sich in Grabenkämpfen und Führungsstreitigkeiten selber. Doch all dies kommt der SPD nicht zugute. Im Gegenteil: Dem Dauerchaos in der schwarz-gelben Koalition hat die „Saftlose Partei Deutschlands“, wie Kritiker die SPD bereits verspotten, nichts entgegenzusetzen. Die treibende Kraft der Opposition sind die Grünen. Sehr zur Freude der Union im Übrigen, die genau registriert, wie die derzeitige Stärke der Öko-Partei die Sozialdemokraten im Mark erschüttert und an ihrem Selbstbewusstsein nagt.

    Wofür steht die SPD? Was ist ihr Markenkern, der sie in der Parteienlandschaft einzigartig macht? Welche Positionen vertritt die Sozialdemokratie? Dem neuen Parteichef Sigmar Gabriel ist es zwar gelungen, unmittelbar nach dem Wahldesaster eine Selbstzerfleischung zu verhindern, die Partei zu beruhigen und die zerstrittenen Flügel fürs Erste zu versöhnen. Doch klare inhaltliche Akzente hat er bislang noch nicht gesetzt, ebenso wenig wie seine Generalsekretärin Andrea Nahles. Gabriel gilt als sprunghaft, der mal dieses, mal jenes Thema besetzt, ohne nachhaltig zu wirken.

    Symptomatisch für die Richtungslosigkeit der Parteiführung ist der Umgang mit dem früheren Berliner Finanzsenator und Bundesbanker Thilo Sarrazin. Unmittelbar nach Erscheinen seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ beschloss der Vorstand der Bundes-SPD auf Vorschlag Gabriels, dass für Sarrazin wegen seines sozialdarwinistischen Gedankengutes kein Platz mehr in der Partei sein solle. Ein Ausschlussverfahren wurde angestrengt. Doch in der entscheidenden Sitzung gab Generalsekretärin Nahles klein bei und akzeptierte eine gütliche Einigung, ohne dass Sarrazin von seinen umstrittenen Thesen auch nur ein Wort zurücknehmen musste. An der Basis stößt dieser windelweiche Kompromiss auf Ablehnung und Kritik. Die hessischen Juso fordern gar den Rücktritt der Generalsekretärin – und stellen damit indirekt die Autorität Gabriels infrage.

    Wie unterschiedlich die Wahrnehmung bei Parteispitze und Basis derzeit ist, lässt sich ausgesprochen gut in Bayern beobachten. Forsch die Führung, nachdenklicher die Bataillone in der Fläche. Ganz genau hat beispielsweise der SPD-Fraktionschef im Landtag, Markus Rinderspacher, die Ereignisse in Baden-Württemberg beobachtet. Die Sozis als Juniorpartner in der Regierung? In Bayern undenkbar. Auch wenn die Grünen die SPD bei der Wahl 2013 überrunden sollten und es für eine grün-rote Mehrheit reichen würde, gilt für Rinderspacher das eherne Gesetz: „Wir erheben als SPD allein aufgrund unserer Tradition und Geschichte den Anspruch, die Führung in einer denkbaren Koalition zu übernehmen.“

    Solch verblüffende Höhenflüge sind Ludwig Fink, dem langjährigen Bürgermeister in der Kleinstadt Stadtbergen bei Augsburg, fremd. Das 64-jährige Parteimitglied sorgt sich um das Erscheinungsbild der Berliner Truppe. Zu dröge und zu bürokratisch erscheint ihm bisweilen das Spitzenpersonal. „Die Grünen im Bund tragen ihre Themen prägnant und mit Wortwitz vor. Diese Leichtigkeit fehlt der SPD.“ Sein Rat ist: „Die Partei hat immer dann Erfolg, wenn soziale Politik mit wirtschaftlicher Kompetenz einhergeht.“ Dafür stehen für Fink in Hamburg der Regierende Bürgermeister Olaf Scholz, im Bund Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Finanzexperte Peer Steinbrück. Den Jungsozialisten in Hessen mag Fink hingegen beim Thema Sarrazin nicht folgen. Ganz im Gegenteil, er war von Anfang an gar nicht glücklich mit dem Ausschlussverfahren. „Eine Partei, die für die Freiheit des Geistes steht, muss Querdenker und Querköpfe aushalten.“ Wenig amüsiert war für Fink die Reaktion der Parteiführung auf das Abschneiden der SPD im „Ländle“: „Dass man sich über das schlechteste Wahlergebnis nach dem Krieg derart freut, ist schon etwas befremdlich.“ Er blickt nun „mit Hoffen und Bangen“ auf die noch ausstehenden Landtagswahlen in diesem Jahr.

    Auch „in der Diaspora“ – so nennt der Kemptener Stadtrat Siegfried Oberdörfer das traditionell pechschwarze Allgäu aus sozialdemokratischer Sicht – hadert die Basis damit, dass der SPD das Markenzeichen Volkspartei abhandenzukommen droht. „Es hat mit Hartz IV unter Bundeskanzler Schröder angefangen“, hat Oberdörfer beobachtet. Nicht dass er die Prinzipien der Agenda 2010 missbillige, aber „das ist am Stammtisch alles nur schwer zu vermitteln“.

    Zudem hat der Lokalpolitiker beobachtet, dass die Glaubwürdigkeitskrise der Politiker die SPD besonders hart treffe, da in seiner Partei das Thema Moral „eine besonders große Rolle spielt“. Doch Oberdörfer will weiter für die SPD kämpfen: „Lant it luck!, sagt man bei uns.“ Im Hochdeutschen würde man sagen: Lass nicht locker!

    In der Bundestagsfraktion sieht es kaum besser aus. Zwar kann sich Fraktionschef Steinmeier im Glanze positiver Umfragewerte sonnen, doch als Oppositionsführer tritt er kaum in Erscheinung. „Er trauert noch immer der Großen Koalition nach, als er neben Angela Merkel auf der Regierungsbank saß“, heißt es in der Fraktion.

    Das Vakuum füllt Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer, während die einflussreichen Rechten vom „Seeheimer Kreis“ auffällig dabei sind, den früheren Finanzminister Peer Steinbrück nach vorne zu schieben und als möglichen Kanzlerkandidaten ins Gespräch zu bringen. Dies wiederum betrachten parlamentarische Linke und Juso mit Argwohn – womit einmal mehr der Eindruck entsteht, dass sich die SPD am liebsten mit sich selbst beschäftigt. Auch wenn die Grünen dabei sind, ihnen den Rang abzulaufen. Die Kellner drängen an den Herd und wollen selber kochen. Und niemand hält sie auf.

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