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Graben: Wie tickt Amazon? Wir haben uns im Logistikzentrum umgeschaut

Graben

Wie tickt Amazon? Wir haben uns im Logistikzentrum umgeschaut

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    Im Logistikzentrum von Amazon in Graben bei Lagerlechfeld arbeiten rund 1400 festangestellte Mitarbeiter und bis zu 800 zusätzliche Saisonkräfte.
    Im Logistikzentrum von Amazon in Graben bei Lagerlechfeld arbeiten rund 1400 festangestellte Mitarbeiter und bis zu 800 zusätzliche Saisonkräfte. Foto: Alexander Sing

    „Haben Sie noch Arbeit für mich?“, fragt der junge Mann und beugt sich über den gelben Tresen. „Nein, leider nicht mehr“, kommt die prompte Antwort von der Empfangsdame. Die Weihnachtszeit, in der 800 zusätzliche Saisonkräfte gebraucht wurden, ist längst vorbei. „Vielleicht versuchen Sie es im Herbst wieder.“ Enttäuscht dreht sich der Bittsteller um und verlässt das hell erleuchtete Foyer. Es ist ein Gespräch, wie es täglich im Amazon FC Graben geführt wird. FC steht für Fulfillment Center, ein Ort also, an dem sich Wünsche erfüllen sollen. Jobwünsche inklusive.

    Fast alle Mitarbeiter des Logistikzentrums in Graben kommen laut dem Unternehmen aus dem Großraum Augsburg. Geht man durch die verschiedenen Abteilungen, so fällt auf: Dort arbeiten viele Migranten. 87 Nationen sind in Graben vertreten. Englisch ist neben Deutsch offizielle Arbeitssprache bei Amazon, etwa 30 Prozent der Angestellten sprechen es. Zudem können dort auch ungelernte Kräfte viele Arbeiten übernehmen. Gemeinsam mit dem Arbeitsamt

    Eine zweite große Gruppe sind die älteren Angestellten. Einer von ihnen ist Franz Golder. Der Augsburger arbeitete bis zu dessen Insolvenz beim Druckmaschinenhersteller Manroland in der Logistik. Bei Amazon bekam er trotz fortgeschrittenen Alters eine Stelle; seit der Eröffnung 2011 ist er in Graben dabei.

    Als „Picker“ ist er zu Fuß zwischen den hunderten von Regalreihen unterwegs und sammelt bestellte Ware ein. „Da komme ich sicher auf 20 Kilometer am Tag. Aber es ist immer Abwechslung drin“, sagt Franz Golder. Er zählt zu den etwa 1400 festangestellten Mitarbeitern in Graben. Auf einer Fläche von 17 Fußballfeldern (110000 Quadratmeter) wickeln sie jeden Tag Bestellzahlen im sechsstelligen Bereich ab. Die genau Zahl ist geheim. Um sie auch im Stress bei Laune zu halten, lassen sich die Verantwortlichen einiges einfallen. Mal wird für eine halbe Stunde die Produktion gestoppt, weil Schlagersänger Jürgen Drews auftritt, dann werden Nikolausmützen an die „Wünscheerfüller“ verteilt.

    Draußen vor den Werkstoren sieht es weniger harmonisch aus. Immer wieder ließ die Gewerkschaft Verdi dort im Dezember Arbeiter mit Trillerpfeifen und Bannern zu Streiks aufmarschieren. Dem Aufruf waren allerdings stets nur wenige Angestellte gefolgt. Glatteis oder der Fund einer Fliegerbombe würden den Betrieb mehr behindern als die Streiks, sagt der Standortleiter Ernst Schäffler.

    Verdi fordert bei Amazon bessere Bezahlung

    Verdi fordert eine Angleichung an den Tarif im Einzelhandel und bessere Arbeitsbedingungen. Von ständigem Druck, noch mehr Bestellungen abzuwickeln, ist da die Rede. Ein von Verdi eingeklagtes Verbot der Sonntagsarbeit am vierten Advent hatte für zusätzliches Aufsehen gesorgt. Schäffler hält hier dagegen. „Seit 2011 hat es jedes Jahr eine Lohnsteigerung gegeben.“ Jeder Mitarbeiter verdiene ab dem zweiten Jahr durchschnittlich 12 Euro brutto pro Stunde. Und in Sachen Arbeitsbedingungen arbeite man ständig mit den Mitarbeitern und dem 2013 eingerichteten Betriebsrat vor Ort zusammen.

    Schützenhilfe im Streit mit der Gewerkschaft bekommt Amazon von Grabens Bürgermeister Andreas Scharf. Jüngst warf er Verdi vor, Stimmungsmache auf dem Rücken der Beschäftigten zu betreiben. Er befürchtet, Amazon könnte irgendwann reagieren und am Standort Graben Stellen abbauen.

    Im Gespräch mit unserer Zeitung räumt Scharf zwar ein, dass Amazon in Sachen Arbeitsbedingungen „am Anfang nicht alles richtig gemacht hat“. Dennoch habe von der Ansiedlung vor vier Jahren die ganze Region profitiert. Sie machte andere Unternehmen auf den Standort Lechfeld aufmerksam – wie zuletzt BMW. „Es war nicht nur wie ein Sechser im Lotto, sondern wie ein Siebener mit Zusatzzahl“, sagt Scharf. Kein Wunder, dass sogar eine Straße im Gewerbegebiet an der B17 nach dem Unternehmen benannt ist.

    "Amazon ist mit Abstand der beste Gewerbesteuerzahler"

    Die 4000-Einwohner-Gemeinde zieht daraus finanzielle Vorteile. „Amazon ist mit Abstand der beste Gewerbesteuerzahler“, sagt Scharf. Im Vergleich zu den 750.000 Euro im Jahr 2011 nimmt Graben heute mit 1,5 Millionen Euro doppelt so viel Gewerbesteuer ein. Im selben Zeitraum ist auch die Summe, die die Gemeinde anteilig aus der Einkommenssteuer bekommt, um mehr als 500000 Euro gestiegen.

    „So können wir Sachen bauen, die wir uns sonst nicht hätten leisten können.“ Als Beispiel nennt der Bürgermeister die Gemeindebücherei und die geplante neue Turnhalle. Einen Teil des Geldes bekommt der Landkreis ab. Denn wenn die Einnahmen der Gemeinde steigen, muss auch mehr an den Landkreis abgegeben werden. Konkret liegt ihre Kreisumlage 2015 bei etwa 1,8 Millionen Euro. 2011 waren es noch 1,1 Millionen.

    Das ist Geld, das auch für die Bewältigung des Flüchtlingszustroms gebraucht wird. Amazon will in der nach wie vor angespannten Lage nicht nur als Arbeitgeber für Flüchtlinge glänzen, sondern auch darüber hinaus in der Region helfen. Der Begriff „Region“ ist allerdings weit gefasst. So spendete der Standort Graben 5000 Starterrucksäcke mit Mützen, Handschuhen, Lexika und anderen nützlichen Dingen – und zwar an eine Einrichtung in München. Für den Raum Augsburg ist eine solche Spende bisher nicht geplant.

    Nicht nur darin zeigt sich, dass der Weltkonzern nicht in engen Grenzen denkt. Graben beliefert den gesamten süddeutschen Raum und das angrenzende Ausland. Sogar noch am Tag der Bestellung kann man seinen Artikel von Graben aus bekommen – jedoch nicht im Raum Augsburg direkt vor der Haustür, sondern in München, Stuttgart und Nürnberg.

    Möglicherweise starten irgendwann Liefer-Drohnen mit Päckchen vom Gräbinger Gewerbegebiet aus. Das wird derzeit in den USA getestet. Alle Wünsche kann Amazon aber bis jetzt noch nicht erfüllen.

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