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Energiewende: Stromtrasse: Die Nordschwaben leben in Angst

Energiewende

Stromtrasse: Die Nordschwaben leben in Angst

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    Der Marxheimer Bürgermeister Alois Schiegg vor einem „kleinen“ Strommasten. Gut möglich, dass hier schon in wenigen Jahren Masten stehen werden, die dreimal so hoch sind. In einem dicken Ordner hat Schiegg das ganze Schreckensszenario dokumentiert.
    Der Marxheimer Bürgermeister Alois Schiegg vor einem „kleinen“ Strommasten. Gut möglich, dass hier schon in wenigen Jahren Masten stehen werden, die dreimal so hoch sind. In einem dicken Ordner hat Schiegg das ganze Schreckensszenario dokumentiert. Foto: Bastian Sünkel

    Erstaunlich ruhig sitzt Alois Schiegg am Steuer seines Autos. Er nimmt sich Zeit, den Gegenverkehr und die Fußgänger in seiner Gemeinde zu grüßen. Man sieht es ihm nicht an, wie hart er in diesen Tagen mit Energiekonzernen und Bundesbehörden ringt. Auch das ist erstaunlich. Denn am liebsten würde er aus der Haut fahren.

    Schiegg ist Bürgermeister der Gemeinde Marxheim im Kreis Donau-Ries. An diesem Nachmittag biegt er auf den Schotterweg ein, der eine kleine Stromtrasse kreuzt. Er stellt sein Auto am Feldrand ab und läuft wenige Meter zum Schild mit der Aufschrift „Vorsicht! Lebensgefahr!“. Er schaut nach oben, dorthin, wo die Leitungen um 25 Meter die Felder zwischen

    Marxheim unter Stromtrasse begraben

    Schiegg rechnet vor, dass die geplante Trasse etwa dreimal so hoch werden soll. Dann verstummt er und geht zurück zum Auto.

    Marxheim liegt genau an der Vorzugstrasse des Netzbetreibers Amprion. Auf den Plänen hat der Konzern aus Dortmund mehrere Alternativstrecken der „Gleichstrompassage Süd–Ost“ mit roten Linien in die Landkarte eingezeichnet. Der kürzeste Weg verläuft entlang der dicken blau-roten Markierung von Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt bis Meitingen nördlich von Augsburg, dort, wo „Marxhe“ steht, weil die Vorzugstrasse die letzten beiden Buchstaben unter sich begräbt.

    Der Bürgermeister zweifelt. Er zweifelt an so vielem

    Nie kamen Bürgermeister Schiegg die Naturkorridore zwischen den Dörfern um Marxheim und Niederschönenfeld so schmal vor wie in diesen Tagen. Er holt den Plan heraus und rechnet noch einmal nach: „Amprion will entlang der alten Trasse bauen und dabei 200 Meter Abstand halten. Die ersten Häuser liegen 160 Meter von den Masten entfernt“, sagt er. Was das bedeutet, spricht er nicht aus. Schiegg zweifelt am Versprechen des Netzbetreibers, nicht über Wohngebiet zu bauen. Er zweifelt daran, dass die Trasse der Energiewende und der Sicherheit der Stromversorgung dient. Damit ist Schiegg nicht allein.

    Lautstark schlagen die Proteste im nahen Donauwörth, im oberfränkischen Kulmbach und in Nürnberg ein. Dass auch Bürger Info-Veranstaltungen besuchen, um dem Netzbetreiber unaufgeregt Fragen zu stellen, geht zwischen Trillerpfeifen und Zwischenrufen beinahe unter. Transparente hängen im Raum und geben den Ängsten Namen: Krankheit, Kohlestrom, Verschandelung der Natur, Grundstücksenteignung. Die Schuldige bekommt ihren ganz eigenen Titel: Monstertrasse. Ein Monster, das es wie seine Erbauer zu bekämpfen gilt. Der Amprion-Pressesprecher bezeichnet die Stimmung auf den Veranstaltungen als „vorsichtig ausgedrückt gewöhnungsbedürftig“ – und sagt: „Unsere Sprecherin als Mörderin zu beschimpfen, ging zu weit.“ Sie stehen in der Schusslinie des Protests. An diesen Abenden riecht es zwischen Oberfranken und Schwaben ein wenig nach Revolution. Vergleiche mit Stuttgart 21 liegen nahe: Die Süddeutsche Zeitung schreibt von „Wutbürgern in

    Ein Schwall aus Pfeifgeräuschen und Buhrufen

    Als Anne Hecht vergangene Woche den Info-Abend in Donauwörth besucht, begegnet ihr als Erstes ein Schwall aus Pfeifgeräuschen und Buhrufen. Das mag sie eigentlich nicht, sagt sie. Aber sie verstehe die Menschen. Schließlich beantworte Amprion ihre Fragen nicht. Sie und ihr Mann Robert sind eher ruhige und trotzdem engagierte Gegner des Projekts. Sie sagt, eine Trillerpfeife nehme sie nur ungern in den Mund. Und wenn er gefragt wird, wie weit er gehen würde, fügt

    Das Ehepaar wohnt in Meitingen. Dem Ort, der von den Planern nie angezweifelt wurde. Wie Rotweintropfen ziehen die Alternativrouten auf der Amprion-Karte ihre Schlieren von Nord nach Süd. Von Bad Lauchstädt nach Meitingen soll die Trasse führen. Was dazwischen passiert, sei weiterhin offen, sagt Amprion. Nur enden alle Routen an einem Punkt: Meitingen. Besser gesagt irgendwo in einem Umkreis von zehn Kilometer um Meitingen. Dort soll dann ein 150000 Quadratmeter großes Umspannwerk entstehen, so groß wie 14 Fußballfelder.

    „Oder ein Achtel der Größe Meitingens“, ergänzt Robert Hecht, der via Google Maps Recht- und Fünfecke auf die Satellitenbilder seines Heimatorts projiziert, diese dann ausgedruckt und während der Fahrt zur Info-Veranstaltung nach Donauwörth im Bus verteilt hat. Das Material soll die Meitinger mobilisieren, Informationen, die der Netzbetreiber einerseits unterschlage, andererseits nicht aufschlussreich beantworte, sagen die Hechts.

    Petition soll es in den Bundes- und Landtag schaffen

    Eine Petition soll die Trassenpläne kippen. Zehn von 13 Frauen aus ihrer Gymnastikgruppe haben zuletzt bei Anne Hecht unterschrieben. Bei ihm sei es jeder Kunde, sagt ihr Mann, der Systemtechniker, der auch Photovoltaikanlagen verkauft und als Freier Wähler für den Gemeinderat kandidiert. Mit möglichst 50000 Unterschriften soll die Liste Anfang März an Bundes- und Landtag gehen.

    Noch fehlen etwa 43 000 Unterzeichner auf der Online-Petition „Ja zur Energiewende – Nein zur Kohlestrom-Autobahn durch Bayern“, die die Freien Wähler Fabian Mehring und Landtagsabgeordneter Bernhard Pohl initiiert haben.

    Mehring sitzt an diesem Abend im Café Contur unweit des Meitinger Bahnhofs. Seitdem der Bezirks-Vize seiner Partei die Petition ins Leben gerufen hat, erreichen ihn täglich 30 bis 50 E-Mails. Man könne herauslesen, dass sich die meisten intensiv mit dem Thema beschäftigen, Fachliteratur wälzen. Natürlich habe er die Busse in Donauwörth gesehen, die pfeifende und fluchende Menge. Das liege an der Angst, sagt Mehring. Ihm selbst gehe es auch nicht anders.

    Die Auswirkungen von den Stromtrassen nicht erforscht

    Mehring behauptet, er engagiere sich nicht als Politiker, sondern als Privatmann. Und doch kann er sich Spitzen gegen den „umfallenden Ministerpräsidenten“ Seehofer und die Regierung in Berlin nicht verkneifen. Seine Argumente zeigen Wirkung, ähnlich wie die Trillerpfeifen in Donauwörth. Er sagt Dinge wie: Die Stromversorgung in Bayern sei auch ohne Trasse und Atomkraft sicher, es gebe andere Wege. „Power to Gas“ etwa, die Umwandlung von Elektrizität in Brenngas. Überhaupt: Die Energiekonzerne verfolgten doch nur ökonomische Interessen. Die Technologie sei unerforscht, dann die gesundheitlichen Fragen, die Grundstücke, die an Wert verlieren, drohende Enteignungen – Argumente über Argumente. „Ich sage nicht, dass die Stromtrasse böse ist.“ Doch für Bayern sei sie einfach unnötig.

    Später, draußen vor dem Café, erzählt der Politiker noch von den Braunkohleregionen, die er besucht hat. Der dort erzeugte Strom soll ja auch mal durch die neue Trasse geschickt werden. Kein schöner Anblick, sagt er.

    Ein dicker Ordner erzählt die ganze Geschichte

    Und was will Alois Schiegg in Marxheim nun tun? Er legt einen dreifingerdicken Ordner auf den Konferenztisch im Bürgermeisterbüro. „Chronologisch geordnet“, sagt er. Danach beginnt die Choreografie. Wortprotokolle aus dem Bundestag und dem Energieausschuss reihen sich aneinander, die Informationsbroschüren von Amprion, Zeitungsartikel, die die Trasse infrage stellen oder alternative Energiespeicher bewerben. Schiegg schlägt eine Seite auf: „Lesen Sie das.“ Dann: „Oder das hier, nur diesen einen Absatz.“ Zwischendurch läuft ein Video der Bundesnetzagentur auf seinem Computer-Monitor, das Mitspracherecht der Bürger beim Trassenbau verspricht.

    Der Bürgermeister holt das nach, was die Bundesbehörden und die Netzbetreiber seiner Meinung nach versäumt haben. Er selbst sei zu spät informiert worden, Nachbargemeinden auch. Kommunen, die bislang nichts mit der Trasse zu tun haben wie Andechs am Ammersee, gehe es besser. So bleibt ihm nur der Weg, den auch das Ehepaar Hecht und Politiker Mehring beschreiten: informieren, unterschreiben und notfalls der Griff zur Trillerpfeife.

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