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Bundesregierung: Merkel contra Röttgen - Ein eiskalter Rauswurf

Bundesregierung

Merkel contra Röttgen - Ein eiskalter Rauswurf

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    Angela Merkel schmeißt Norbert Röttgen aus dem Amt. Sie glaubte nicht mehr daran, dass die Energiewende mit ihm zu schaffen sei.
    Angela Merkel schmeißt Norbert Röttgen aus dem Amt. Sie glaubte nicht mehr daran, dass die Energiewende mit ihm zu schaffen sei.

    Genau 86 Sekunden braucht sie, das Gesicht zur Maske erstarrt, sichtlich bemüht, keine Gefühlsregung zuzulassen, um in einem beispiellosen Vorgang mitzuteilen, dass sie Bundespräsident Joachim Gauck gebeten habe, Umweltminister Norbert Röttgen aus seinem Amt zu entlassen. Sie danke ihm für seine Arbeit und sein „großes klimapolitisches Engagement“. Als „personellen Neuanfang“ schlage sie Peter Altmaier vor, sie sei sich sicher, dass er sich „mit voller Kraft“ der neuen Aufgabe stellen werde. „Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

    Röttgen reiht sich ein in die lange Liste der geschassten Kronprinzen

    Sagt’s, dreht sich um und verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist. Keine Nachfrage, keine weitere Erklärung. Von Röttgen selber ist nichts zu sehen und zu hören, keine Reaktion auf seine Entlassung, nicht einmal eine schriftliche Erklärung. Zurück bleibt eine ratlose und zutiefst erschütterte Partei, die nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. So eiskalt, ja, so brutal haben sie ihre Parteichefin und Kanzlerin noch nie erlebt. Wolfgang Bosbach, ein alter Vertrauter der Kanzlerin und als Nordrhein-Westfale ein loyaler Gefolgsmann Röttgens, gibt zu, dass er „leide“.

    Wieder einer weniger. Lang ist die Liste der Männer, die von höchsten Ämtern träumten und ihre politische Karriere noch lange nicht am Ende sahen, die aber an, neben oder unter Angela Merkel, vor allem aber auch an sich selber, ihrem Ehrgeiz und ihrer Selbstüberschätzung scheiterten. Sie reicht von Edmund Stoiber und Friedrich Merz über Roland Koch und Christian Wulff bis zu Karl-Theodor zu Guttenberg, von denen keiner mehr in der Politik aktiv ist. Nun reiht sich auch Norbert Röttgen in diese Liste ein. Und doch ist bei ihm manches anders als bei den anderen.

    Röttgen ist erster Minister, der von Merkel rausgeschmissen wurde

    Nicht er hat von sich aus seinen Rücktritt erklärt und seinen Rückzug bekannt gegeben, sondern Angela Merkel hat ihn abserviert, er ist der erste Minister, den sie seit ihrer Wahl zur Regierungschefin vor bald sieben Jahren aus dem Kabinett hinausgeworfen hat. Und das, obwohl er kein Rivale um die Macht war, kein Konkurrent, der ihr zu mächtig wurde, sondern ihr politischer Ziehsohn und potenzieller Kronprinz, ihr Stellvertreter und möglicher Nachfolger.

    Seit Jahren gab es für Norbert Röttgen nur eine Richtung: steil nach oben. 1994 zog der damals erst 29-jährige Jurist aus Königswinter in den Deutschen Bundestag ein und gehörte zusammen mit einigen etwa gleichaltrigen Weggefährten zu den „Jungen Wilden“, manchmal auch als „Junge Milde“ verspottet, die sich zu profilieren versuchten, indem sie hin und wieder gegen den übermächtigen Patriarchen Helmut Kohl rebellierten. Da diese Truppe auch zum ersten Mal in der Geschichte der Union förmliche Kontakte zu den gleichaltrigen Kollegen von den Grünen suchte, was zu regelmäßigen Treffen in einer Bonner Pizzeria führte – die „Pizza-Connection“ –, stand Röttgen schon früh für einen Kurs der moderaten Öffnung der Partei, für Reformen in der Gesellschafts-, Familien- oder Umweltpolitik sowie der Hinwendung zu den „soften“ Themen.

    "Muttis Musterschüler": Der Aufstieg vor dem Fall

    Damit traf er sich mit Angela Merkel, die nach der CDU-Parteispendenaffäre 2000 neue Parteichefin wurde und der

    Parallel dazu machte er auch in der Partei Karriere. Nach der Niederlage von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 setzte er sich in einer Mitgliederbefragung gegen Armin Laschet durch und wurde Chef des mächtigsten CDU-Landesverbandes. Im Oktober 2010 wurde er zum stellvertretenden CDU-Vorsitzenden gewählt. Nun war er endgültig zur inoffiziellen Nummer zwei der Union aufgestiegen.

    Als Spitzenkandidat der CDU in NRW zu blass

    Doch dann kam es im März zum überraschenden Aus der rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf – und Röttgen musste sich früher als gedacht von der Bundespolitik in die Niederungen der Landespolitik begeben. Als Spitzenkandidat der CDU blieb er blass, bis zuletzt weigerte er sich zu entscheiden, ob er auch im Falle einer Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf wechselt. Den Wahlkampf ohne klares Bekenntnis zum Land und mit Rückfahrkarte nach Berlin nahmen ihm nicht nur die Menschen an Rhein und Ruhr, sondern auch seine Parteifreunde übel.

    CSU-Chef Horst Seehofer drängte mehrfach auf eine Entscheidung – vergebens. Und als er wenige Tage vor der Wahl, die schwere Niederlage schon vor Augen, den Urnengang auch zu einer Abstimmung über die Europa-Politik von Angela Merkel erklärte und somit die Kanzlerin in Mithaftung nehmen wollte, brachte dies das Fass wohl endgültig zum Überlaufen. Sichtlich gequält absolvierte Merkel die letzten gemeinsamen Auftritte. Die Distanz zwischen ihr und ihrem Musterschüler war unübersehbar – ebenso als Röttgen am Tag nach der Wahl seinen Anspruch bekräftigte, weiter Umweltminister bleiben zu wollen.

    Mehrfach soll sie ihm nahegelegt haben, von sich aus auf das Amt zu verzichten, um auf diese Weise das Gesicht zu wahren und die förmliche Entlassung zu vermeiden, zuletzt am Dienstagabend im Kanzleramt. Doch Röttgen sei uneinsichtig geblieben, heißt es in Berlin. Er habe sich ans Ministeramt geklammert, wobei es zu einem lautstarken Wortwechsel gekommen sei.

    Merkel glaubte nicht mehr an ein Gelingen der Energiewende mit Röttgen

    Am Mittwochmittag zog die Kanzlerin die Reißleine. Nach der Kabinettssitzung teilte sie ihrem Vize mit, dass sie sich von ihm trennen und beim Bundespräsidenten seine Entlassung beantragen werde. Mit Röttgen, das macht Merkel in ihrer kurzen Erklärung deutlich, glaubt sie nicht mehr an das Gelingen der Energiewende, das wichtigste Projekt der schwarz-gelben Koalition. „Es ist offensichtlich, dass die Umsetzung der

    Peter Altmaier, längst so etwas wie der inoffizielle Fraktionschef, muss nun die Kohlen aus dem Feuer holen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles höhnt bereits über das „letzte Aufgebot“ der Kanzlerin. Und auch in der Union regt sich Unmut über die Art, wie Merkel ihren Vertrauten abservierte. „So darf man in einer Partei mit dem C im Namen nicht miteinander umgehen“, sagt der CSU-Umweltpolitiker Joseph Göppel. Es wird einsam um Merkel. Und kalt, sehr kalt.

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