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Vorsorge für schlechtere Zeiten

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Vorsorge für schlechtere Zeiten

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    Vorsorge für schlechtere Zeiten
    Vorsorge für schlechtere Zeiten

    Was haben Rentenversicherung und Krankenkassen den Finanzministern voraus? Sie schwimmen zwar nicht in Geld, aber sie haben statt exorbitanter Schulden im Augenblick gewisse finanzielle Reserven. Ein beneidenswerter Zustand, der Begehrlichkeiten weckt. Was könnte doch mit all diesen Milliarden bezahlt werden? Es wäre nicht das erste Mal, dass der notorisch klamme Staat in die Sozialkassen greift, um seinen Aufgaben gerecht zu werden oder Wohltaten an die Wahlbürger zu verteilen.

    Ideen gäbe es ja genug: Praxisgebühr abschaffen – das freut Arzt und Patienten gleichermaßen und macht sich im anschwellenden Bundestagswahlkampf immer gut; Beitrag runter – dann haben auch die Arbeitgeber noch etwas davon und schaffen im günstigsten Fall neue Arbeitsplätze. Steuerzuschüsse senken – das entlastet den Finanzminister und damit alle Steuerzahler, allerdings auch die Privatversicherten, die zum Kassenüberschuss nichts beigetragen haben.

    Das Geld, um das hier geschachert wird, gehört denen, die die Beiträge bezahlt haben. Die Zuschüsse, die der Bund an Gesundheitsfonds und Rentenversicherung überweist, sind keine staatlichen Almosen, sondern der Beitrag der Allgemeinheit für Aufgaben, die stellvertretend von den Sozialkassen ausbezahlt werden – im Fachjargon auch versicherungsfremde Leistungen genannt. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) darf sie nicht anrühren, wenn er nicht gleichzeitig Sozialleistungen wie etwa das Mutterschaftsgeld, die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen oder die Anrechnung von Ausbildungszeiten bei der Rente beschränken wollte.

    Die Praxisgebühr könnte eher zur Disposition gestellt werden. Sie wird zwar häufig als Eintrittsgeld in der Arztpraxis missverstanden, ist aber nichts anderes als ein Zusatzbeitrag an die Krankenkasse für Menschen, die ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen müssen. Sie wurde von der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) eingeführt, um die Finanzlage der Krankenkassen zu verbessern, ohne die Arbeitgeber über die Lohnnebenkosten zusätzlich zu belasten. Verkauft wurde die Praxisgebühr – schon der Name ist falsch, weil der Arzt nichts davon hat außer der bürokratischen Abwicklung – als Instrument, um die Eigenverantwortung der Patienten zu stärken und die Zahl der Arztbesuche zu begrenzen. Dieses Vorhaben der Kostenersparnis darf nach acht Jahren als gescheitert angesehen werden. Wird die Praxisgebühr abgeschafft, werden Rufe laut werden, dass der beträchtliche Einnahmeausfall an anderer Stelle – höherer Beitrag für den Gesundheitsfonds? – ausgeglichen werden muss.

    Es ist nicht lange her, da lechzten die Sozialversicherungen noch nach gewissen Minimalreserven. Erhöhte Beitragssätze gepaart mit einer nachhaltigen Erholung des Arbeitsmarktes und gezielten Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen haben zu der gewünschten spürbaren Entlastung geführt. Es ist eine Entwicklung, wie sie idealerweise stets sein sollte: In guten Zeiten werden die Vorräte gesammelt, um gut vorbereitet in die nächste Krise gehen zu können. Ein Prinzip, das die Politik stets predigt, aber im realen Alltag kaum noch Anwendung findet.

    Das solidarisch finanzierte System der Sozialversicherungen beweist momentan seine Robustheit. Seine Verfechter müssen aufpassen, dass es nicht aus kurzsichtigen Interessen heraus finanziell zerfleddert wird. Die Beitragszahler brauchen ob der Milliardenüberschüsse nicht neidisch zu sein. Sie sollten auf ihre Vorsorge für schlechtere Zeiten stolz sein.

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