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Leitartikel: Sie sind nicht nur Opfer der Quote

Leitartikel

Sie sind nicht nur Opfer der Quote

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    Sie sind nicht nur Opfer der Quote
    Sie sind nicht nur Opfer der Quote

    Wir, die heute Anfang Dreißigjährigen, hatten ein Idol: Harald Schmidt. Wir waren 18, 19 Jahre alt und standen kurz vor dem Abitur. Es war Ende der 90er. Man warf unserer Generation vor, unpolitisch zu sein. Wir kannten nur einen Bundeskanzler, Helmut Kohl. Im Nachhinein betrachtet waren wir ein merkwürdiges Zwischending, nicht mehr „Generation Golf“, noch nicht „Generation Praktikum“. Manch einer von uns spekulierte mit Aktien an der Börse. Das war, bevor im Jahr 2000 die Dotcom-Blase platzte und die New Economy zusammenbrach. Manch einer von uns hätte sich gewünscht, ein klares Feindbild zu haben – wie damals die 68er. Wir waren brav und angepasst und wussten nicht, ob wir das nun gut oder schlecht finden sollten.

    Wir hatten Harald Schmidt. Er rebellierte gewissermaßen stellvertretend für uns. Er zelebrierte den Tabubruch. Seine ironische Distanz, die er zu allem und jedem hielt, schien uns nachahmenswert. Wir dachten, wir kämen mit Ironie durch die Welt.

    Unsere Eltern hatten ebenfalls ein Idol: Thomas Gottschalk. Sie kannten ihn seit seiner Zeit beim Jugendfunk. Wie Harald Schmidt traf er das Lebensgefühl einer Generation. Gottschalk und Schmidt bauten darauf ihre Karrieren auf. Ihren Erfolg verdankten sie auch den Sendern – öffentlich-rechtlichen wie privaten –, die oft einen langen Atem bewiesen: Sie ließen ihnen Freiheiten, von denen Nachwuchsmoderatoren heute allenfalls träumen können. Wenn wegen schlechter Quoten Schmidts Late-Night-Talk jetzt vor dem Ende steht und „Gottschalk Live“ im Grunde nicht zu retten ist, hat das unter anderem damit zu tun, dass den beiden ihr Stammpublikum abhandengekommen ist. Während es sich veränderte, veränderte sich Schmidts und Gottschalks Moderationsstil nicht. Schmidt aber wurde vom Ironiker zum Zyniker, Gottschalk selbstmitleidig. In den letzten „Wetten, dass..?“-Folgen feierte sich Gottschalk als einzig verbliebene TV-Größe. Lustig war das nicht, es war eine Selbstdemontage. Als es bei „Gottschalk Live“ nicht lief, verfiel er wieder in dieses Muster. Es ist traurig, ihm beim Scheitern zuzusehen.

    Anstatt mit Markus Lanz auf Nummer sicher zu gehen, hätte das ZDF bei „Wetten, dass..?“ etwas wagen müssen. Es hätte Moderatoren gegeben, mit denen sich eine junge Generation identifiziert: Joachim Winterscheidt, 28, und Klaas Heufer-Umlauf, 33 – bekannt als Duo Joko & Klaas. Sie sind, wie Gottschalk und Schmidt einmal waren. Und was diese einmal waren: Nachwuchshoffnungen. Sie haben eine Sendung auf

    Das ist bezeichnend für den Zustand des gesamten deutschen Fernsehens. Es ist wie seine Altstars schwerfällig geworden. Weil die Verantwortlichen mut- und fantasielos sind. Im Glauben, es jedem recht machen zu müssen, produzieren sie Langeweile. Darin unterscheiden sich ARD, ZDF, RTL oder ProSiebenSat.1 nicht voneinander. Sie schieben Formate, die – von denen, die sie kennen – als Zukunft des Fernsehens bejubelt werden, ins Nachtprogramm oder in ihre Spartenkanäle ab. Sie schnappen sich Jauch, Kerner und Pilawa gegenseitig weg und senden wie Sat.1 seit Jahren Gerichts- oder wie das Erste fünf Polit-Talkshows in der Woche. Darüber kann das traditionsgemäß bessere Osterprogramm nicht hinwegtäuschen.

    Wir, die Anfang Dreißigjährigen, kaufen inzwischen die brillanten britischen oder amerikanischen Serien auf DVD. Die 15-Jährigen klicken sich durchs Internet. Das Fernsehen muss aufpassen, dass ihm sein Publikum nicht abhandenkommt – so, wie es Harald Schmidt und Thomas Gottschalk passiert ist.

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