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Kommentar: Wird das Völkerrecht in Krisenzeiten zur Makulatur?

Kommentar

Wird das Völkerrecht in Krisenzeiten zur Makulatur?

Margit Hufnagel
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    Rettungskräfte und Soldaten räumen Trümmer auf, nachdem eine russische Rakete einen Supermarkt in der Ukraine getroffen hat.
    Rettungskräfte und Soldaten räumen Trümmer auf, nachdem eine russische Rakete einen Supermarkt in der Ukraine getroffen hat. Foto: Iryna Rybakova, dpa

    Es könnte ein Jahrestag wie viele andere sein. Gespickt mit großen Reden, in denen dann doch nur wieder Worthülsen aneinandergereiht werden. Mit netten Fotos und wichtigen Gästen. Doch der 75. Geburtstag, der an diesem 12. August begangen wird, hat Besseres verdient – er hat es verdient, dass die Welt für einen Moment innehält. 75 Jahre ist es her, dass die Genfer Konventionen verabschiedet wurden und 196 Staaten sich verpflichtet haben, sich auch in Kriegen und Krisen ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu bewahren. Es war eine Lehre, die aus den beiden Weltkriegen gezogen worden war.

    Doch wer heute seinen Blick schweifen lässt, muss zu der Überzeugung kommen, dass die Welt ihr eigenes Versprechen vergessen hat: Erst vor wenigen Tagen ließ der russische Präsident einen Supermarkt in der Ukraine bombardieren, ein Dutzend Zivilisten kam ums Leben. Im Nahen Osten nehmen die Hamas und auch Israel den Tod unzähliger Frauen und Kinder in Kauf. Im Sudan nutzen rivalisierende Militärs Vergewaltigung als Mittel der Kriegsführung. Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der zivilen Todesopfer in bewaffneten Konflikten weltweit um dramatische 72 Prozent erhöht. Ist die Vorstellung, dass sich Feinde an Regeln halten, zu einer naiven Illusion geworden?

    Zumindest wird deutlich, dass der gute Wille allein nicht reicht. Denn wo Verstöße nicht geahndet werden, Haftbefehle zu einem bloßen Symbol verkommen, da geht auch die Autorität von Regeln und Normen verloren. Viel zu oft kommen Kriegsverbrecher ungeschoren davon, viel zu oft werden Verfahren blockiert. Selbst die Großen unter den Unterzeichnern, wie etwa die USA, blieben immer wieder straffrei. Wer das zulässt, muss sich nicht wundern, wenn in anderen Regionen dieser Welt das Völkerrecht eher als Empfehlung denn als Verpflichtung angesehen wird. Wer es ernst meint mit seinem Schwur, die Humanität zu einem politischen Maßstab zu machen, muss deshalb die Justiz stärken. Und das ohne Rücksicht auf politische Interessen oder doppelte Standards.

    Moral kollidiert mit Realpolitik

    Denn gerade in Zeiten, in denen sich die Kräfteverhältnisse in der Welt verschieben, gerät das Völkerrecht zusätzlich unter Druck. Wer mächtige Freunde hat, kann sich den rechtlichen Normen leicht entziehen. Neue Waffen und der Einzug von künstlicher Intelligenz sorgen für zusätzliche Herausforderungen. Hinzu kommen nicht-staatliche Akteure wie die Hisbollah oder die Huthi, die auf Raketen statt auf Verträge setzen. Und so blockiert sich die Welt selbst und verschiebt die Grenzen dessen, was als hinnehmbar gilt. Natürlich kollidieren edle Grundsätze immer wieder mit dem Zwang zu pragmatischer Politik. Das Dilemma zeigt sich im Umgang mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad aktuell geradezu beispielhaft: Der Mann, der die eigene Bevölkerung mit Giftgas attackiert hat, wird wieder hoffähig, weil es ohne ihn keinen Flüchtlingsdeal geben wird.

    Dennoch wäre es falsch, die Genfer Konventionen an ihrem 75. Geburtstag gleich auch zu Grabe tragen zu wollen. Die Idee, Zivilisten und Kriegsgefangene zu schützen, ist wichtig und richtig. Und sie ist mehr als nur Theorie. Soldaten lernen, an welche völkerrechtlichen Bestimmungen sie sich zu halten haben. Mit Wirtschaftssanktionen versuchen Länder zumindest die schlimmsten Auswüchse zu bestrafen. Und auch Menschenrechtsaktivisten werden nicht müde, den Mächtigen immer wieder den Spiegel vorzuhalten. Die Menschenrechte mögen weit entfernt sein von Perfektion – doch es ist zu befürchten, dass ohne sie die Welt ein schlechterer Ort wäre.

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    1 Kommentar
    Wolfgang Schwank

    Mit Ihrem letzten Absatz und insbesondere dem letzten Satz haben Sie unzweifelhaft recht, Frau Hufnagel. Ich würde nur eine andere Akzentuierung der Gesamtproblematik vornehmen. Es sind insbesondere die "Großen" die die Einhaltung von den Anderen fordern und sich selbst, auch bei schwersten Vergehen, freisprechen bzw. gar die Aufdecker mit Strafen überziehen. Napalm über Vietnam, Abu-Ghuraib, Guantanamo sind solche Beispiele. Verbrechen wie von Assad, im Jemen, von Hamas und dem israelischen Militär, etc. sind aus gleichem schmutzigen Holz. Allein schon deshalb darf die Genfer Konvention nicht zur Makulatur werden!

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