Es hat sich viel getan. Dieser Satz stimmt tatsächlich, aller Kritik zum Trotz. Also: Es hat sich viel getan in unserer Gesellschaft im Umgang mit behinderten Menschen. Dabei war und ist der Sport Vorreiter. Er bietet die Chance, unmöglich erscheinendes möglich zu machen. Das ist dieser Tage einmal mehr zu beobachten, wenn in Paris die Paralympischen Spiele stattfinden. Mit Beschäftigungstherapie für Körperbehinderte haben die nichts (mehr) zu tun. Dort sind Sportlerinnen und Sportler am Start, die sich teilweise ihr Leben lang darauf vorbereitet haben. Viele betreiben Hochleistungssport unter professionellen Bedingungen. Sie feiern große Siege und weinen nach bitteren Niederlagen. Wahrscheinlich wird es auch den einen oder anderen Dopingsünder geben und am Ende schauen alle auf den Medaillenspiegel. So weit, so normal.
Paris gibt den Paralympics eine große Bühne
Paris tut viel dafür, den paralympischen Athletinnen und Athleten die größtmögliche Bühne zu bieten. Sinnbildlich dafür die Eröffnungsfeier, die der olympischen in nichts nachstand. Liberté, Égalité, Fraternité lauten die drei Kernbotschaften der französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Andrew Parsons, Präsident des internationalen paralympischen Komitees, griff diese Werte in seiner Rede auf. Alle Menschen hätten das Recht, frei zu leben. Jeder Mensch mit Behinderung verdiene es, nicht ausgegrenzt zu werden und: „Wir sind zwar nicht alle gleich, aber wir gehören alle zur Familie der Menschheit.“
Große Worte, denen in Paris auch Taten folgten. Die Paralympics liefern spektakuläre Bilder und vor allem: Vorbilder. Frauen wie Sheetal Devi, Indiens erste armlose Bogenschützin. Inspirierend und beeindruckend. Gerade Kinder und Jugendliche mit Behinderungen brauchen Menschen, die ihnen zeigen, dass Bewegung Spaß macht, allen Einschränkungen zum Trotz. Jeder Sportler setzt sich Ziele, deren Erreichen Bestätigung und Freude schenkt – ganz egal, wie groß oder klein die Ziele sein mögen.
Gleichzeitig ist es aber so, dass es noch genug zu tun gibt. Auch das zeigen die Paralympics eindrücklich. Für die Eröffnungsfeier auf der Avenue des Champs-Elysées war das Kopfsteinpflaster mit einer dünnen Asphaltschicht überzogen worden, um es Rollstuhlfahrern einfacher zu machen, dort vorwärtszukommen. Eine Geste voller Symbolkraft, mehr nicht. Nur ein paar Meter weiter ist die Pariser Metro das Gegenteil von behindertengerecht. Wer dort mit dem Rollstuhl in die U-Bahn will, wird unweigerlich an tausenden Treppenstufen scheitern.
Barrierefreies Paris: Trotz Paralympics noch viel zu tun
Dieses Nebeneinander von Anspruch und Wirklichkeit dürfte jedem und jeder bekannt vorkommen, der oder die im Alltag auf Hilfe angewiesen ist. Dabei ist auch hierzulande „Inklusion“ Zauberwort und Ziel gleichermaßen. Wir als Gesellschaft sind aufgerufen, „Strukturen zu schaffen, die es jedem Menschen – auch den Menschen mit Behinderung – ermöglichen, von Anfang an ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein“. So steht es auf der Seite des bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. Darunter die Schlagwörter selbstbestimmt, gleichberechtigt und uneingeschränkt.
Hehre Ziele, die noch längst nicht erreicht sind. Auch im Sport nicht. Warum hängen die Paralympischen den Olympischen Spielen zwei Wochen hinterher wie ein lästiger Wurmfortsatz? Organisatorisch unmöglich, die beiden Großveranstaltungen zusammenzulegen, heißt es. Ja, Inklusion ist anstrengend und mühsam und teuer. Aber unmöglich? Vielleicht würde es schon helfen, die Paralympics vorzuziehen. Erst Paralympics, dann Olympia. Zugegeben: ein symbolischer Akt. Aber auch ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Der Sport hat schon vieles möglich gemacht, was unmöglich erschien. Fragen Sie Sheetal Devi.
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