Erst in einigen Jahren wird sich zeigen, wie sehr der Hamas-Angriff vom 7. Oktober die tektonischen Platten im Nahen Osten verschoben hat. Eins immerhin steht fest: Das zynische Kalkül der Terroristen ist nicht aufgegangen. Wie inzwischen bekannt ist, hatte die Hamas-Führung gehofft, andere Akteure der vom Iran geförderten „Achse des Widerstandes“ würden sich dem Angriff anschließen und Israel so in die Knie zwingen. Doch die Hisbollah im Libanon entschied sich für einen zweifelhaften Mittelweg: Sie begann, nahezu täglich Raketen und Drohnen auf Israel abzuschießen, womit sie zwar nordisraelische Städte unbewohnbar machte, einen größeren Krieg jedoch zu vermeiden suchte.
Auch dieses Kalkül ist nicht aufgegangen. Nach Monaten der halbwegs vorhersehbaren Schläge und Gegenschläge ist Israel in die Offensive gegangen und hat mit der systematischen Zerschlagung der Hisbollah begonnen, der diese trotz ihres gefürchteten Raketenarsenals wenig entgegenzusetzen hat. Und auch die Angriffe des Irans auf Israel haben zwar viel Aufregung, aber begrenzte Schäden verursacht. Nach einem Jahr der Kämpfe steht die israelfeindliche „Achse des Widerstandes“ geschwächt und erniedrigt da.
In Israel weckt das Hoffnungen auf eine Neuordnung des Nahen Ostens zu seinen Gunsten: Die Entzauberung des iranischen Lagers könnte arabische Staaten, die noch keine Beziehungen zu Israel aufgenommen haben, ermutigen, dies nachzuholen; im Libanon könnten christliche und sunnitische Kräfte die militärische Schwächung der Hisbollah nutzen, den politischen Einfluss der Organisation zu beschneiden; und womöglich könnten diese Entwicklungen, gekoppelt mit dem noch ausstehenden israelischen Gegenschlag auf den Iran, die Fundamente des Regimes dort ins Wanken bringen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat ein solches Szenario schon einmal angedeutet.
Die US-Regierung bemüht sich um den ganz großen Deal
Doch dabei drohen er und alle, die ähnlich denken, sich einmal mehr dem fatalen Wunschdenken hinzugeben, der Konflikt mit den Palästinensern ließe sich verwalten, ignorieren, kleinhalten. Es ist ja wahr: Das penetrante Pochen westlicher Politiker auf eine Zwei-Staaten-Lösung wirkt oft illusorisch, ratlos, losgelöst von den harten Fakten vor Ort. Selten schienen die Aussichten auf eine solche Lösung schlechter: Die Massaker vom 7. Oktober und der zerstörerische Krieg in Gaza haben Angst, Hass und Misstrauen gegenüber der jeweils anderen Seite in die Höhe getrieben. Die Palästinenser sind politisch und geografisch gespalten, ihr Präsident Mahmud Abbas hat kaum noch Rückhalt, die Hamas, die Israels Untergang predigt, bleibt eine wichtige politische Kraft. Zu Israels Regierung wiederum gehören Politiker, die den Siedlungsbau im Westjordanland mit missionarischem Eifer vorantreiben und die Palästinenser aus Gaza verbannen wollen.
Und doch gibt es zu einer wie auch immer gearteten Zwei-Staaten-Lösung keine Alternative - nicht, wenn beide Völker irgendwann selbstbestimmt und friedlich nebeneinander leben sollen. Die US-Regierung bemüht sich um den ganz großen Deal: Frieden zwischen Israel und Saudi-Arabien, ein Sicherheitsabkommen und der Beginn eines Prozesses, der zur Gründung eines unabhängigen Palästinas führen soll. An der Vision lässt sich manches bezweifeln, auch kritisieren. Aber es braucht eine große und mutige Initiative, wenn aus all dem Leid und der Zerstörung dieser Tage einmal etwas Gutes erwachsen soll.
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