Eine Bemerkung des ukrainischen Präsidenten zu Beginn des Jubiläumsgipfels der Nato in Washington traf ins Schwarze: Es sei falsch, wenn der Westen wie paralysiert auf den November schaue, denn genau dies tue auch Putin, der töte und zerstöre, um sich auf einen Machtwechsel in den USA vorzubereiten, sagte Wolodymyr Selenskyj sinngemäß.
Selenskyj fürchtet, dass die aufsteigende Panik vieler Nato-Mitglieder vor einem Sieg Donald Trumps gegen einen Joe Biden, der im Rennen um das Präsidentenamt kaum noch konkurrenzfähig zu sein scheint, die Allianz zunehmend schwächen könnte - zulasten der Bereitschaft, sein Land im Abwehrkampf gegen Russland ausdauernd zu unterstützen.
Dass der russische Präsident Wladimir Putin einen Wahlerfolg Trumps in den USA herbeisehnt, weil er in diesem Fall mit leider exzellent guten Gründen eine Schwächung der Allianz erwartet, ist gewiss. Gleichzeitig verstärkte der eine Spur zu pompöse Gipfel den Eindruck, dass sich die Nato endlich anschickt, sich von der Lähmung mit Blick auf den Wahltermin in vier Monaten zu befreien. Der Wille, das Bündnis „Trump-sicher“ zu machen, war deutlich spürbar.
Viele Nato-Mitglieder, die es sich über Jahrzehnte unter dem militärischen US-Schutzschirm bequem gemacht haben und - wie Deutschland - ihre Streitkräfte verkommen ließen, beginnen endlich mit der „Zeitenwende“. Die nun bekanntgewordenen Stationierungspläne weitreichender Waffen in Deutschland sind ein klares Signal der Abschreckung an Moskau. Sie sind die angemessene Reaktion auf eine russische Politik mit Krieg und wüsten Drohungen. Und sie sind defensiver Natur - auch wenn das diejenigen, die auch den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands als Teil einer gegen Russland gerichteten aggressiv-offensiven Einkreisungsstrategie der Nato missverstehen, anders sehen dürften.
Russische Mittelstreckenwaffen zielen von der Enklave Kaliningrad auf deutsche Städte
Eine Bedrohung wäre die Stationierung für Russland nur, wenn Moskau seinen Expansionskurs noch ausweiten sollte. Vergleichbare russische Waffen sind längst, beispielsweise von der Enklave Kaliningrad aus, auch auf deutsche Städte gerichtet. Und dies unter Missachtung des zwischen den USA und der früheren Sowjetunion geschlossenen INF-Vertrags zum Bann von landgestützten Marschflugkörpern und Raketen mittlerer Reichweite.
Putin führt einen heißen Krieg, droht dem Westen mit Nuklearschlägen, beklagt aber gleichzeitig einen von der Nato angezettelten neuen Kalten Krieg. Verdrehter geht es kaum.
Die Allianz will die Unterstützung der Ukraine verstetigen
Da ist es gut, dass die Allianz in Washington eben nicht bei der Ankündigung neuer Waffenlieferungen an Kiew stehen geblieben ist, sondern endlich die Verstetigung der Ukraine-Unterstützung in Angriff genommen hat, um die fatalen Durchhänger bei der Finanzierung der Hilfe zu vermeiden.
Die Nato mag oft etwas schwerfällig sein, gefangen im Klein-Klein, in der Rücksichtnahme auf die Interessen ihrer 32 Mitglieder. Tatsächlich dauerte es in der Vergangenheit oft zu lange, bis der Ukraine die je nach Kriegsverlauf adäquate militärische Unterstützung gewährt wurde. Doch das Bündnis scheint entschlossen, das Trauma der „Nahtoderfahrung“ während der Amtszeit Trumps - der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von „Hirntod“ - abzuschütteln. Die Nato bleibt unverzichtbar in einer immer unübersichtlicheren Welt - mit oder ohne den unkontrollierbaren Wüterich im Weißen Haus.
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