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Eine Frage des Wollens

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Eine Frage des Wollens

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    Eine Frage des Wollens
    Eine Frage des Wollens

    Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Drei Wochen nach der Wahl reden Konservative und Sozialdemokraten nicht nur ungewohnt freundlich miteinander und übereinander – auch in der Sache kommen die Gespräche über eine Große Koalition offenbar voran. Die SPD pocht nicht mehr auf Steuererhöhungen, die Union deutet dezent Kompromissbereitschaft beim Mindestlohn an und bei der Rente wollen beide Seiten ohnehin in etwa das Gleiche, nämlich eine bessere Absicherung von Geringverdienern. Die politischen Schnittmengen für ein gemeinsames Regierungsbündnis sind also groß genug – sofern die

    Eine Einigung auf einen gesetzlichen Mindestlohn hätte vor diesem Hintergrund besondere Symbolkraft. Mit ihr im Rücken könnte SPD-Chef Sigmar Gabriel beruhigt vor seine Partei treten und sich ihr Placet für Koalitionsverhandlungen holen. Dass ein einheitlicher Mindestlohn seine ökonomischen und ordnungspolitischen Tücken hat, wird die Union bei der zweiten Sondierungsrunde heute Nachmittag in Berlin zwar wortreich beklagen – tatsächlich jedoch geht es für sie nur noch um die Frage, wer diesen Mindestlohn am Ende festlegt: der jeweilige Sozialminister? Oder eine Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit der die Tarifautonomie noch halbwegs gewahrt bliebe?

    Angela Merkel und Horst Seehofer wissen, dass sie der SPD an der einen oder anderen Stelle ein Stück entgegenkommen müssen – und beim Mindestlohn oder dem Kampf gegen die ausufernde Zeit- und Leiharbeit fällt ihnen das ungleich leichter als beim Spitzensteuersatz, bei der Vermögensteuer oder gar beim Betreuungsgeld. Außerdem hat die Große Koalition in Thüringen schon eine Blaupause für einen Kompromiss geliefert: Ihr Modell, bei dem eine unabhängige Kommission einen einheitlichen, verbindlichen Mindestlohn festlegt, ist vor einem Jahr im Bundesrat zwar durchgefallen. Das aber bedeutet ja nicht, dass man es nicht noch einmal recyceln könnte.

    Auch sonst ist vieles eine Frage des Wollens. Mit etwas Mut und Geschick könnte eine Große Koalition, die nicht nur auf wechselseitigem Misstrauen fußt, den Reformstau der vergangenen vier Jahre schnell auflösen. Den Wildwuchs bei der ermäßigten Mehrwertsteuer, zum Beispiel, wollte die FDP nicht ausmisten, weil sie Angst hatte, dass ihr das als indirektes Plädoyer für Steuererhöhungen ausgelegt worden wäre. Die kalte Progression, die kleinere Lohnerhöhungen häufig auffrisst, hätte sich auch ein Kanzler Steinbrück vorgenommen – und auf die Förderung der erneuerbaren Energien wird eine Große Koalition ebenfalls einen kritischeren Blick werfen als eine schwarz-grüne.

    Ein Bündnis mit den Grünen mag strategisch reizvoller sein, für eine politische Pragmatikerin wie Angela Merkel aber ist die SPD im Moment der passendere Partner: Sie will nicht gegen einen von Sozialdemokraten dominierten Bundesrat und seine Schattenkanzlerin Hannelore Kraft regieren, sondern mit ihnen. Im Jahr 2019 läuft der Solidarpakt aus, bis dahin müssen die Beziehungen zwischen Bund und Ländern auf ein neues Fundament gestellt werden, außerdem spuckt und speit der Umverteilungsmotor des Länderfinanzausgleichs immer absurdere Ergebnisse aus.

    In der letzten Großen Koalition sind Union und SPD mit ihrer Föderalismusreform auf halbem Weg stehen geblieben, weil sie die heiklen finanziellen Fragen weitgehend ausgeklammert haben. Diesen teuren Fehler könnten sie nun ausbügeln. Verglichen mit dem Kraftakt, der sie dort erwartet, ist ein Kompromiss beim Mindestlohn allerdings ein politisches Kinderspiel.

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