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Der Kandidat verbiegt sich

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Der Kandidat verbiegt sich

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    Der Kandidat verbiegt sich
    Der Kandidat verbiegt sich

    Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, dann versuchen sich Sozialdemokraten und Grüne gerade am Unmöglichen. Ein Sozialminister, der die Rente mit 67 für einen Irrtum hält, ein Finanzminister, dem die Steuern gar nicht hoch genug sein können – und zwischen ihnen ein Kanzler, den mit Klaus Wiesehügel nicht viel verbindet und mit Jürgen Trittin noch viel weniger. Der Pragmatiker Peer Steinbrück an der Spitze einer rot-grünen Koalition? Verglichen mit diesem Experiment war das von Gerhard Schröder und Joschka Fischer 1998 noch eine der leichteren Übungen.

    Vier Monate vor der Wahl kommt die Operation Machtwechsel hier wie dort noch nicht wirklich voran. Die Grünen haben der Union und den Liberalen mit ihren überzogenen Steuerplänen ein Thema frei Haus geliefert – während die SPD, wie so oft, in einer für die Partei entscheidenden Phase an sich selbst leidet. Mal ist es Parteichef Sigmar Gabriel, der seinem Kandidaten wie zuletzt beim Tempolimit mit irrwitzigen Volten in den Rücken fällt. Mal ist es der Kandidat, der seine Überzeugungen auf den Altären der Taktik opfert, indem er einen Mann wie Wiesehügel in sein Team holt und ihm ganz nebenbei auch noch eines der wichtigsten Ministerien anträgt.

    Vor 15 Jahren war auch Gerhard Schröder auf der Suche nach einem Gewerkschafter für seine Mannschaft. Anders als Steinbrück aber entschied er sich nicht für die konventionelle Lösung, das Modell Wiesehügel sozusagen, sondern für den gebürtigen Kaufbeurer Walter Riester, dem der Ruf vorauseilte, bei der IG Metall weit über den Tellerrand der klassischen Sozialpolitik hinauszudenken. Diesmal jedoch trennen Schattenkanzler und Schattenminister gefühlte Welten. Ja, mehr noch: Steinbrück läuft Gefahr, mit Entscheidungen wie der für den strammen Linken Wiesehügel, genau die Beinfreiheit zu verlieren, die er vor seiner Kandidatur bei Gabriel für seinen Wahlkampf eingefordert hat. Er verbiegt sich, um der SPD und ihrer Stammkundschaft zu gefallen – und konterkariert damit seinen Ruf als sozialdemokratischer Freigeist, der ihn auch außerhalb dieses Milieus populär (und wählbar) gemacht hat.

    Auf den ersten Blick werden die Schnittmengen für ein rot-grünes Bündnis mit jedem Meter, den die SPD nach links rückt, zwar größer. Tatsächlich jedoch sind Sozialdemokraten und Grüne dabei, sich einzuigeln. Beide Parteien behaupten, auch um Stimmen aus dem bürgerlichen und dem liberalen Publikum zu werben – mit ihrer eindimensionalen Umverteilungslogik jedoch, die soziale Gerechtigkeit vor allem über den Steuersatz definiert, erreichen sie genau das Gegenteil. Schröder und Fischer waren 1998 auch für viele Nicht-Rote und Nicht-Grüne eine interessante Alternative. Steinbrück und Trittin sind das bislang noch nicht. Sie schmoren im eigenen Saft.

    Aus der einen oder anderen Umfrage lässt sich zwar eine gewisse Grundsympathie für höhere Einkommen- und Erbschaftsteuern in Deutschland herauslesen. Dieses Bild aber ist trügerisch. Wahltage sind immer auch Zahltage, das zeigen nicht zuletzt die 14,6 Prozent, die die Steuersenker von der FDP vor vier Jahren eingefahren haben.

    Viele Wähler, die sich heute bei Forsa, Infratest oder Emnid zu den Grünen bekennen, haben noch gar nicht nachgerechnet, wie teuer sie die Abschaffung des Ehegattensplittings oder der grüne Spitzensteuersatz von 45 Prozent zu stehen kämen, der schon bei einem zu versteuernden Einkommen von 60000 Euro fällig werden soll. Wer aber damit rechnen muss, bald 100 oder 200 Euro weniger netto im Monat zur Verfügung zu haben, wird sich sehr genau überlegen, ob er sich Rot-Grün überhaupt leisten kann.

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