Die Bewunderung für Guttenberg scheint ungebrochen, sie lässt sich von Enthüllungen und Geständnissen nicht erschüttern, ist aber begleitet von großen Emotionen. Alle Lebenserfahrung zeigt: Es kann sich nur um Liebe handeln.
Guttenberg, das sieht man jetzt, ist nicht wie ein normaler Politiker wahrgenommen worden. Er war (und ist) für viele ein Lichtblick in einer politikverdrossenen Dunkelheit. Die Sehnsucht nach einer neuen, glaubwürdigen Stimme ist auch sehr verständlich. Aber diese Sehnsucht darf nicht kopflos sein und die Erwartungen ins Messianische steigern. Vor allem aber: Diese Sehnsucht hat sich das falsche Objekt gesucht – und umgekehrt: hier hat jemand die Sehnsucht geschickt bedient, ohne zu halten, was er verspricht. Guttenberg ist ein Missverständnis. Doch weil Liebe blind macht, wehren sich viele gegen die drohende Enttäuschung.
Guttenberg hat genau die Tugenden verraten, die er verkörpern wollte: Bürgerlichkeit, Anstand, Aufrichtigkeit. Er ist ein Schwindler, der sich den Doktorgrad mit einer plagiierten Arbeit erschlichen hat und das nun als „Blödsinn“ abtut, als ginge es um einen jugendlichen Vollrausch, der jedem mal passieren könne.
Ihm kommt zugute, dass sein Vergehen für viele Menschen abstrakt bleibt. Ginge es um Steuerhinterziehung oder eine nächtliche Trunkenheitsfahrt – Guttenberg wäre längst geliefert. So aber hat er an einer Stelle betrogen, die von der Lebenswirklichkeit der Menschen weit entfernt ist. Mit Erfolg hat er den Tatbestand auf Fußnoten reduziert, und die kommen im wirklichen Leben nicht vor. Dass es tatsächlich um Hochstapelei geht, ist nicht überall verstanden worden.
Statt dessen stehen die Medien selbst in der Kritik, auch diese Zeitung. Eine Hetzkampagne? Unsinn. Wir sind nur die Überbringer der schlechten Nachricht. Unsere Aufgabe besteht aber nun einmal nicht darin, den Menschen nach dem Munde zu reden – wie es die Bild-Zeitung jetzt schamlos tut. Nein, wir berichten mit kühlem Kopf und ohne politische Ziele. Aber wir kommen zu dem nüchternen Ergebnis, dass Guttenberg seine Glaubwürdigkeit verspielt hat.
Alle, auch die Medien, hätten früher genauer hinhören müssen. Als Guttenberg im letzten Sommer nach seiner Ferienlektüre gefragt wurde, sagte er, er werde am Strand Platons Staat lesen, natürlich auf Altgriechisch und nur, „um mal den Kopf frei zu kriegen“. Was soll das? Was ist das anderes als die plumpe Angeberei eines Mannes, der zu allem anderen auch noch die Aura eines Intellektuellen haben wollte?
Hätte sich nicht lange vor den Plagiatsvorwürfen eine gesunde Skepsis in die Begeisterung mischen müssen? War nicht schon die Talkshow in Afghanistan billige Effekthascherei? Musste man nicht misstrauisch werden, als der höchste deutsche General dem Minister vorwarf, gelogen zu haben? Nein, Guttenberg ist nicht der Hoffnungsträger, für den ihn viele halten. Die Enttäuschung – im Wortsinne: das Ende einer Täuschung – ist unausweichlich. Ja, sie hat längst stattgefunden.