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Leitartikel: Wenn das Restrisiko zur Realität wird

Leitartikel

Wenn das Restrisiko zur Realität wird

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    Winfried Züfle
    Winfried Züfle Foto: Wagner

    Wenn es stimmt, dass Risiko zum Leben gehört – und dies ist unzweifelhaft richtig –, dann trifft dieses Prinzip erst recht auf alles zu, was von Menschenhand gefertigt wurde: auf die Technik und ihre Produkte. Im Alltag sind wir Menschen uns der potenziellen Gefahren gar nicht bewusst. Fast schon gedankenlos bewegen wir uns motorisiert durch die Welt, kommunizieren quer über den ganzen Globus, schätzen es, eine warme Wohnung zu haben, und nutzen den Strom, der aus der Steckdose kommt. Doch all dies ist nicht risikofrei zu haben.

    In Japan hat das verheerende Erdbeben mit dem nachfolgenden Tsunami nun einen Atomunfall verursacht, wie ihn die Welt seit dem Reaktorunglück von Tschernobyl vor 25 Jahren nicht erlebt hat. Die Katastrophe könnte sogar den bisher folgenschwersten Zwischenfall bei der zivilen Kernkraftnutzung noch übertreffen. Schlagartig ist das immense Risikopotenzial wieder sichtbar geworden, das in der Atomtechnologie steckt. Eine unsichtbare Gefahr, die atomare Strahlung, kann Menschen töten und ganze Landstriche unbewohnbar machen. In der Todeszone von

    Nur zu gerne hatte man sich in den westlichen Industriestaaten, zu denen auch Japan zählt, daran gewöhnt, der Stromproduktion mittels Kernspaltung ein „Restrisiko“ zuzubilligen. Darin sah man freilich nur eine theoretische Größe. Praktisch, so die Erwartung, spiele das keine Rolle. Schließlich betreibe man ja keine Reaktoren vom Tschernobyl-Typ, so ein beliebter Hinweis der Politiker.

    Doch die Havarien in den Reaktoren von Fukushima sprechen eine andere Sprache. Sie zeigen, dass auch die Sicherheit westlicher Meiler relativ ist. Weil die Menschheit nicht gelernt hat, das Undenkbare zu denken. Keiner hatte damit gerechnet, dass Japan von einem Erdbeben der dort noch nicht da gewesenen Stärke 9 erschüttert werden könnte. Jetzt ist es doch geschehen. Das Beben und der Tsunami haben Schäden angerichtet, die sogar die mehrfach vorhandenen Sicherheitssysteme der Atomreaktoren außer Kraft gesetzt haben. Das Unmögliche wurde plötzlich Realität. Es ist eine Lehre von

    Atomreaktoren werden betrieben, um billig Strom herzustellen. Angesichts des Desasters in Fukushima stellt sich die Frage: Geht der niedrige Preis auf Kosten der Sicherheit? In Deutschland ist die Erdbebengefahr gewiss nicht so hoch wie entlang des pazifischen Feuergürtels und mit einem Tsunami muss im Binnenland nicht gerechnet werden. Trotzdem ist eine erneute Sicherheitsüberprüfung aller Anlagen, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen hat, richtig. Hierzulande hängen die Risiken mit Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen zusammen. Aber könnte es nicht auch eine unterschätzte Erdbebengefahr geben?

    Besonders die Altanlagen aus den 1970er Jahren müssen genau überprüft werden (die Reaktoren in Fukushima stammen ebenfalls aus jener Zeit). Merkel und die schwarz-gelbe Koalition haben leider den Atomkonsens und den damit verbundenen Ausstieg in den 2020er Jahren aufgekündigt und eine Laufzeitverlängerung von durchschnittlich 12 Jahren beschlossen. Von dieser Regelung profitieren skandalöserweise sogar die ältesten deutschen Meiler Biblis A und Neckarwestheim I, die nach dem bis 2010 geltenden Atomgesetz zur Schließung anstanden. Merkel sollte einsehen, dass es unsinnig und unverantwortlich ist, störungsanfällige und technisch überholte Altanlagen nur um des Profits der Betreiber willen am Netz zu lassen.

    Der Korrektheit halber muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass jede Energieform ihre spezifischen Risiken hat, nicht nur die Kernspaltung. So belasten Kohle, Gas und Öl das Weltklima, bei Kohle fällt zusätzlich ins Gewicht, dass es immer wieder zu Grubenunglücken kommt, bei denen Bergleute sterben.

    Die erneuerbaren Energien sind mit dem „Risiko“ einer unregelmäßigen und zu teuren Stromproduktion behaftet. Doch diese „Gefahr“ ist geradezu vernachlässigbar, wenn man im Vergleich dazu die Ängste sieht, die das Atomdesaster in Japan auslöst. Eigentlich sollte sonnenklar sein, wie die Energiezukunft aussehen muss.

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