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Leitartikel: Was gesagt werden darf

Leitartikel

Was gesagt werden darf

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    Was gesagt werden darf
    Was gesagt werden darf

    Seit einer Woche führt Günter Grass mit seiner Israel-Schelte die Bestsellerliste in der Sparte Medienpräsenz an. Dass sich in dieser Zeitspanne einiges getan hat, lässt der Blick auf die Schlagzeilen erahnen: Hieß es anfangs noch „Grass löst eine hitzige Debatte aus“, vermeldeten die Nachrichtenagenturen nur sieben Tage später „Grass behält Nobelpreis“.

    Dazwischen lagen diverse Antisemitismusvorwürfe, das Einreiseverbot der israelischen Regierung, aber auch eine Flut von Leserbriefen und Internetkommentaren, in denen der 84-Jährige Unterstützung erfuhr. Reaktionen immerhin, die der gebürtige Danziger als Beweis dafür deuten kann, dass er der vorerst letzte deutsche Schriftsteller sein dürfte, der in der Lage ist, mit einem kurzen Text ein solches politisches Echo auszulösen.

    Doch nun, da die Erregungskurve sich abzuflachen scheint, sollte es wieder möglich sein, nüchtern zu bewerten, was Günter Grass mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ denn nun wirklich gesagthat. Der erwartbare Vorwurf, dass sich Grass „mit letzter Tinte“ selber glasklar als Antisemit demaskiert habe, verstellt nur den Blick auf den Text selber.

    Ein Text, der bestürzend schlecht ist, und das auf gleich zwei Ebenen. Literarisch gibt er außer reichlich Pathos und quälerischer Selbstgerechtigkeit nicht viel her. Das ist zu verschmerzen, da der Autor auf den politischen Effekt setzt. Wirklich ärgerlich sind dagegen die Verdrehungen und Unwahrheiten, die Grass auftischt.

    Er könne nicht mehr verschweigen, dass in Israel „Planspiele“ eingeübt würden, das „iranische Volk auszulöschen“. Ein Volk, das immerhin mehr als 75 Millionen Menschen zählt. Tatsächlich diskutiert wird in Israel ein Schlag gegen persische Atomanlagen. Sieht Grass den Unterschied nicht?

    Im selben Atemzug ist der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der gedroht hatte, „Israel von der Landkarte zu tilgen“, für Grass ein Maulheld. Ein Land mit einem Dampfplauderer an der Spitze kann man, so die Botschaft, nicht für voll nehmen. Doch dem Dichter ist entgangen, dass der Mann, der im Iran letzte Entscheidungen trifft, Ajatollah Ali Chamenei heißt. Der geistliche Führer des Landes ist alles andere als ein Maulheld. Es gilt als sicher, dass in dessen Kompetenz auch das Atomprogramm fällt. Mehrfach rief auch er zur Vernichtung Israels auf.

    Hat Grass einfach den Überblick verloren oder liegen die Gründe tiefer? „Warum schweige ich?“, fragt er sich selber in seinem Gedicht. Warum aber hat er seine SS-Mitgliedschaft so lange verschwiegen? Dass er als 17-Jähriger die schwarze Uniform getragen hat, ist eben nicht der Grund dafür, dass auch Freunde und Kollegen sich von Grass distanzierten. Das Problem ist, dass der stets streitbare, stets moralisch argumentierende Schriftsteller darüber 60 Jahre nicht gesprochen hatte. Das macht Grass noch lange nicht zu einem Antisemiten. Doch wie belastend muss dieses Schweigen für ihn selber gewesen sein? Welche Spuren hat es hinterlassen?

    Die noch frischen Tintenspuren sind nun auf dem Papier. Ja, sie sind buchstäblich in der Welt. Was bleibt ist ein in jeder Hinsicht schwaches politisches Gedicht. Doch auch schwache Gedichte sind erlaubt. Genau wie die Kritik an ihnen oder die Kritik an der Politik Israels. Warum sollte Deutschland damit nicht umgehen können, wenn es viele Israelis können. So steht der frühere israelische Botschafter in

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