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Leitartikel: Was der neue Papst leisten muss

Leitartikel

Was der neue Papst leisten muss

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    Walter Roller
    Walter Roller

    Der bayerische Papst Benedikt XVI. ist aus freien Stücken gegangen, weil er sich mit 85 überfordert fühlte. Und wer weiß, vielleicht war er ja auch der Machtkämpfe und Intrigen im Vatikan überdrüssig, die unter Kontrolle zu halten er offenkundig nicht mehr imstande war. Als Marionette von Strippenziehern jedenfalls wollte der große Theologe Joseph Ratzinger ganz gewiss nicht enden.

    Sosehr sich über die Hintergründe der Abdankung spekulieren lässt, so sicher ist doch, dass der Rücktritt des Oberhaupts der größten Glaubensgemeinschaft einen epochalen Einschnitt in der Geschichte der katholischen Kirche markiert. Wenn ein Traditionalist wie Benedikt mit einer uralten Tradition bricht, dann kommt dies einer Revolutionierung des Amtsverständnisses gleich. Das Papstamt ist zum Amt auf Zeit geworden. Ob daraus ein Präzedenzfall wird, ist zur Stunde nicht absehbar. Die kultische Überhöhung des Amtes jedoch, die mit nahezu unumschränkter Machtfülle einhergeht und den römischen Zentralismus der Weltkirche befördert hat, ist durch Ratzingers unerhörten Schritt in Frage gestellt.

    Der junge Ratzinger hat einst über die Frage philosophiert, ob sich der Bischof von Rom nicht auf seine primäre Rolle als Einheitsstifter und Brückenbauer konzentrieren sollte. Das hieße dann wohl, nicht die ganze Macht auf die Schultern eines Menschen zu legen und den Ortskirchen mehr Handlungsspielraum zu lassen. In dem veränderten Amtsverständnis, das in Ratzingers Rückzug steckt, liegt auch die Chance, den notwendigen inneren Erneuerungsprozess von der Spitze her zu betreiben.

    Es ist ratsam, von dem neuen Papst – ob er nun noch einmal aus dem glaubensmüden Europa oder aus einer der Wachstumsregionen der Kirche kommt – keine Umwälzungen zu erwarten. Das Räderwerk einer jahrtausendealten Institution dreht sich langsam. Auch wird das nach Ratzingers erzkonservativem Geschmack geformte Kardinalskollegium keinen ausgewiesenen Reformer küren. So oder so steht der Nachfolger vor der Herausforderung, nicht nur die in Grabenkämpfe verstrickte römische Kurie zu bändigen und den klerikalen Hofstaat zu reformieren. Er muss auch die auseinanderstrebenden Enden der Kirche zusammenhalten und gleichzeitig versuchen, sie näher an die Lebenswirklichkeit der Menschen heranzuführen.

    Dazu gehören die Pflege von Vielfalt und Dialog, die Stärkung der Ortskirchen, die Abkehr von starren Dogmen, das Sicheinlassen auf die Spielregeln säkularer, pluraler Gesellschaften. Die Botschaft des Glaubens, die ja weiter stark nachgefragt ist, wirkte überzeugender, wenn die Kirche näher bei den Menschen agierte und moderne Ideen wie die Emanzipation von Frauen aufgriffe.

    Deutsche und Europäer neigen irrtümlicherweise dazu, ihren Reformkanon für alleinverbindlich zu halten. Die Weltkirche hingegen tickt programmatisch in mancherlei Hinsicht anders. Die reformerische Kraft des neuen Papstes wird deshalb nicht ausschließlich an den Maßstäben des alten Europa, sondern daran zu messen sein, inwieweit ihm das Aufbrechen verkrusteter innerer Strukturen und eine Annäherung an das Lebensgefühl liberaler Gesellschaften gelingt.

    Dies erfordert keinen Kniefall vor dem Zeitgeist. Die Stärke der Kirche liegt ja gerade darin, christliche Werte und die Wahrheit des Glaubens unbeirrbar zu verteidigen – und sei es „vor dem Gerichtshof der Vernunft“, um ein von Ratzinger oft zitiertes Kant-Wort aufzugreifen. Doch wenn die Kirche ihren Bedeutungsverlust stoppen und wieder mehr Menschen erreichen will, dann muss sie endlich mehr mit der Zeit gehen.

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