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Leitartikel: Putin, geben Sie Freiheit!

Leitartikel

Putin, geben Sie Freiheit!

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    Winfried Züfle
    Winfried Züfle Foto: Wagner

    Wahlen sind ein sensibles Thema. Sie sind die Grundlage der Demokratie. Die Bürger entscheiden mit ihrer Stimmabgabe, wer in ihrem Auftrag Macht ausübt. Dazu müssen Wahlen frei und fair sein.

    „Wir haben in einem offenen und fairen Kampf gewonnen“, sagte am Wahlabend in Moskau ein zu Tränen gerührter Wladimir Putin. Doch mit dieser Beschönigung der wahren Umstände lügt sich Russlands starker Mann der vergangenen Jahre selbst in die Tasche. Trotz Überwachungskameras in den Wahllokalen stellten Beobachter Tausende Verstöße fest. Das Ergebnis kann daher den Wählerwillen nicht wahrheitsgetreu abbilden.

    Dennoch lässt sich nicht bezweifeln, dass Putin am Sonntag von einer Mehrheit der Russen zum dritten Mal nach 2000 und 2004 in den Kreml gewählt wurde. Die wahre Zustimmungsquote mag zwar niedriger sein als jene 63,65 Prozent, die von der Wahlkommission bekannt gegeben wurden. Aber die Majorität hat er wohl errungen. Auf dem Land besitzt Putin weiterhin viele Unterstützer, ebenso im militärisch-industriellen Komplex. Weite Kreise der Bevölkerung sehen in ihm den Politiker, der Russland nach den chaotischen 1990er Jahren wieder stark gemacht hat.

    Doch die gebildeten und erfolgreichen Großstädter denken nicht in solchen althergebrachten Kategorien. Für diese Schicht, die sich in den zwei Jahrzehnten seit dem Ende der Sowjetunion herausgebildet hat, steht nicht mehr die Größe der Nation im Vordergrund. Die jungen Erfolgreichen streben nach Freiheit. In ihren Kreisen musste zwangsläufig der Widerstand gegen Putins „gelenkte Demokratie“ wachsen. Dieses Modell hatte den Bürgern politische Abstinenz im Gegenzug für Stabilität und eine passable wirtschaftliche Entwicklung abverlangt. Doch die Opposition, die in den vergangenen Monaten zu einer mächtigen Bewegung anschwoll, will keine Bevormundung mehr, sondern echte Teilhabe an der Macht.

    Das entscheidende Instrument dafür sind Wahlen. Deswegen ist die Opposition auch nicht bereit, über Manipulationen großzügig hinwegzusehen. Den ganz großen Betrug leistete sich das „System Putin“ nicht bei der jetzigen Präsidentenwahl, sondern bereits vor drei Monaten beim Urnengang für das Parlament, die Duma. Die Kreml-Partei „Einiges Russland“ verbuchte damals zwar weniger als 50 Prozent, aber haarscharf dennoch die absolute Mehrheit – und dies zweifellos nur aufgrund massivster Fälschungen. Diese Vorgeschichte erklärt, warum die Opposition jetzt wieder auf die Straßen und Plätze zieht, um gegen Putins mit Makeln behafteten Sieg zu protestieren.

    Die Putin-Gegner haben allerdings – zumindest derzeit – die Mehrheit der Russen nicht auf ihrer Seite. Bei der Wahl konnten sie auch keine überzeugende personelle Alternative aufbieten. Bezeichnenderweise erhielt Kommunistenchef Gennadi Sjuganow, ein Mann von vorgestern, die zweithöchste Stimmenzahl.

    Aber der Ruf nach Freiheit ist laut und unüberhörbar. Putin wird darauf reagieren müssen, wenn er nicht als ein zweiter Leonid Breschnew in die Geschichte eingehen will. Die Spätphase jenes Sowjetherrschers war durch Stagnation gekennzeichnet. Solch lähmender Stillstand droht unter Putin abermals, wenn der Kreml eine Öffnung der russischen Gesellschaft weiter blockiert. In einer Phase nachlassender wirtschaftlicher Dynamik ist Moskau jedoch darauf angewiesen, die produktivsten Köpfe zur Entfaltung zu bringen – anstatt sie zu unterdrücken. Der Schlüssel dafür sind Reformen, die Freiheit bringen.

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